Brabantio, Othello, Cassio, Jago, Rodrigo und Officiers, zu den Vorigen.
Herzog. Tapfrer Othello, wir sind im Begriff Eurer gegen unsern allgemeinen Feind Ottoman vonnöthen zu haben. (Zu Brabantio.) Ich sah euch nicht gleich; willkommen, werther Signor; wir mangelten euern Rath und eure Hülfe diese Nacht.
Brabantio. Und ich die eurige; vergebet mir, Durchlauchtigster; weder mein Plaz, noch was mir von einem vorschwebenden Staats-Geschäfte gesagt wurde, hat mich aus meinem Bette aufgewekt; das gemeine Wesen ficht mich izt wenig an; mein Privat-Schmerz ist von einer so wüthenden und ungestümen Art, daß er alle andre Sorgen verschlingt, und mich nichts anders fühlen läßt.
Herzog. Wie? Was kan die Ursach seyn?
Brabantio. Meine Tochter! O! meine Tochter! – –
Senator. Gestorben?
Brabantio. Für mich wenigstens; sie ist verführt, von mir weggestohlen, mißbraucht worden, durch Zauber-Mittel und Liebes-Tränke, den Kram von Markt-Schreyern, zu Grunde gerichtet worden – – Denn auf eine so widernatürliche Art konnte die Natur (da sie weder dumm, noch blind, noch schwach von Sinnen ist,) nicht ausschweiffen – – Zauberey allein konnte sie dahin bringen – –
Herzog. Wer der auch seyn mag, der durch so schändliche Mittel eure Tochter, sich selbst, und euch entführt hat, dessen Urtheil sollt ihr selbst in dem blutigen Gesez-Buch lesen, und selbst der Ausleger des strengen Buchstabens seyn; ja, und wenn unser eigner Sohn der Thäter wäre.
Brabantio. Ich danke Eu. Durchlaucht unterthänig. Hier ist der Mann, dieser Mohr, den nun eben, wie es scheint, euer Befehl, in Geschäften des Staats hieher gebracht hat.
Alle. Das thut uns herzlich leid.
Herzog (zu Othello.)
Und was könnt ihr, eurer Seits, hierauf antworten?
Brabantio. Nichts, als daß es so ist.
Othello. Erlauchte und Großmächtigste Herren, meine sehr edle, geliebte und gnädige Gebieter; daß ich dieses alten Mannes Tochter entführt habe, ist wahr; und wahr ist's, daß ich mit ihr vermählt bin – – So weit erstrekt sich die äusserste Linie meines Verbrechens, und weiter nicht – – Ich bin kein Redner, und wenig geübt in der friedsamen Kunst, die Zuhörer durch Worte zu gewinnen – – Seitdem diese meine Arme siebenjähriges Mark hatten, bis izt, die leztverfloßnen neun oder zehen Monate ausgenommen, sind die Arbeiten des Kriegs meine einzige Beschäftigung gewesen – – in diesen Kreis ist alle meine Wissenschaft eingeschlossen, und das ist alles, wovon ich reden kan. Ich werde also, indem ich für mich selbst rede, meiner Sache wenig Vortheil verschaffen. Und doch will ich, mit eurer Erlaubniß, eine aufrichtige ungeschminkte Erzählung von dem ganzen Hergang meiner Liebes-Geschichte machen; damit ihr sehet, durch was für Tränke, Zauber-Formeln, Beschwörungen und übernatürliche Künste, (weil ich doch solche Mittel gebraucht zu haben beschuldiget werde,) ich seine Tochter gewonnen habe.
Brabantio. Ein unschuldiges junges Mädchen, die immer das zärtlichste, schüchternste Kind von der Welt war; eine so sanfte und ruhige Seele, das jede ihrer Bewegungen über sich selbst zu erröthen schien – – und sie sollte, troz Natur, Jugend, Geburt, Ehre, allem in der Welt, in einen Mann verliebt werden, den sie zu furchtsam war nur anzusehen – – Was für eine Art zu schliessen muß der haben, der sich vorstellen kan, daß die Natur so weit von ihren eignen Gesezen abweichen sollte – – Es ist unmöglich; aus der Hölle mußten die verdammten Künste hergeholt werden, die das zuwegebringen konnten. Ich behaupte also noch einmal, daß er sie durch Tränke, die das Blut in gewaltsame Unordnung sezen, oder durch irgend ein andres übernatürliches Mittel mißbraucht und zu Falle gebracht habe.
Herzog. Behaupten ist nicht Beweisen – – es gehören stärkere Beweisthümer hiezu als die blossen nakten Vermuthungen, die ihr, in ein dünnes Gewand einer schaalen Wahrscheinlichkeit gekleidet, gegen ihn aufzustellen vermeynt.
1. Senator. Redet dann, Othello; brauchtet ihr krumme und gewaltsame Kunstmittel, die Neigungen dieser jungen Tochter zu erzwingen; oder erhieltet ihr sie durch Bitten, und auf diejenige Weise, wie eine Seele die andre anzuziehen pflegt?
Othello. Ich bitte euch, laßt die junge Dame aus dem Schüzen herholen, und sich selbst in Gegenwart ihres Vaters erklären; findet ihr, daß ihre Erzählung seine Anklage rechtfertiget, so entsezet mich nicht nur aller Ehren und Würden, die ich von euch empfangen habe, sondern laßt mein Leben selbst der strengen Gerechtigkeit verfallen seyn.
Herzog. Holet Desdemona hieher.
(Zween oder drey gehen ab.)
Othello (zu Jago.)
Fähndrich, weiset ihnen den Weg, ihr kennt den Ort am besten – – (Jago geht ab.) – – Und indessen bis sie kommt, will ich, so aufrichtig als ich dem Himmel selbst die Vergehungen meines Blutes bekenne, dieser ehrwürdigen Versammlung anzeigen, wie ich das Herz der schönen Desdemona gewonnen habe.
Herzog. Redet, Othello.
Othello. Ihr Vater liebte mich, lud mich oft ein, fragte mich immer nach der Geschichte meines Lebens, von Jahr zu Jahr, und ließ mich alle Schlachten, Belagerungen und Abentheuer, durch die ich passiert bin, erzählen. Das that ich nun, und durchlief mein ganzes Leben, von meinen kindischen Tagen an bis auf den nemlichen Augenblik, worinn er mich erzählen hieß: Und da sprach ich ihm also von den verschiedenen seltsamen Glüks-Wechseln, die ich erfahren, von hunderterley tragischen und herzbrechenden Unfällen, die mir zu Wasser und Land aufgestossen, und wie oft ich kaum noch auf der Breite eines Haars dem eindringenden Tod entgangen; und wie ich in die Hände grausamer Feinde gefallen, und zum Sclaven verkauft worden; und wie ich wieder in Freyheit gekommen, und dann die ganze Geschichte meiner irrenden Ritterschaft – – als von ungeheuern Grotten, und unterirdischen Gewölben, einöden Inseln, Steinbrüchen, Felsen und Gebürgen, die mit dem Kopf am Himmel anstossen, und von Cannibalen die einander aufessen und von Anthropophagen, und von Leuten, die die Köpfe unter den Schultern tragen, – – und was der Dinge mehr war, womit ich ihn zu unterhalten pflegte. Allem diesem hörte dann Desdemona mit grosser Aufmerksamkeit zu; und obgleich die Hausgeschäfte sie von Zeit zu Zeit wegrieffen, so machte sie sich doch so schnell als sie konnte, davon los, kam wieder zurük und verschlang meine Erzählung mit gierigem Ohr: Ich bemerkte dieses, und da sich einst eine günstige Stunde anbot, wußte ich bald Anlas zu machen, daß sie mich recht von Herzen bat, ihr die ganze Geschichte meiner Reisen, wovon sie nur einzelne, zerrißne Stüke gehört hatte, vollständig und im Zusammenhang zu erzählen: Ich willigte ein, und lokte manche Thräne aus ihren schönen Augen, wenn ich auf die verschiednen Trübsalen und Unfälle kam, die meine Jugend ausgestanden. Wie ich mit meiner Geschichte fertig war, belohnte sie meine Mühe mit einer Welt voll Seufzer [Fußnote] – – sie schwur bey ihrer Treu, es sey ausserordentlich, über die Maassen ausserordentlich – – es sey rührend, zum Verwundern rührend – – Sie wünschte, sie hätte nichts davon gehört – – und doch wünschte sie, der Himmel hätte einen solchen Mann für sie gemacht – – und endlich dankte sie mir, und sagte, wenn ich einen Freund hätte, der in sie verliebt wäre, so möcht' ich ihn nur meine Geschichte erzählen lehren, und er würde sie damit gewinnen. Auf diesen Wink fieng' ich dann an zu reden, – – und so verlohren wir beyde unsre Herzen – – Sie liebte mich aus Mitleiden mit den Gefahren die ich ausgestanden, und ich liebte sie um dieses Mitleidens willen: Das ist die ganze Zauberey die ich gebraucht habe. Aber hier kommt sie selbst, laßt sie Zeugniß geben.