Maere bedeutet aber nicht allein fama sondern auch fabula und hier bieten sich andere noch anziehendere personificationen dar.
Wir gewahren, daß wesen, anstalt und fülle der poesie wie der sprache selbst in hohes alterthum reichen, daß mittel und vorzüge beider allmälich schwinden und auf anderm wege ersetzt werden müssen. die alte dichtkunst war ein heiliges, zu den göttern unmittelbar in bezug stehendes, mit weissagung und zauber zusammen hängendes geschäft.
Bevor die namen dichter (Ducange s. v. dictator) und poet uns aus der fremde zugeführt wurden, gebrach es nicht an einheimischen schöneren. anfangs scheinen gedicht und vortrag ungetrennt, der sänger (ahd. sangari, mhd. senger und singer) ist zugleich dichter, es wird nicht gefragt, wer das lied gemacht habe. Ulfilas nennt den άδων liuþareis (ahd. liodari?) und würde ihn vielleicht vom saggvareis (praecentor) unterscheiden. auch αοιδός stammt von αείδω, wie οι̃δα von είδω, das digamma, erkennbar aus video und goth. váit, ist abgefallen, folglich muß ein früheres αfωείδω und αfοιδός angenommen werden, sänger und göttlicher seher (μάντις, lat. vates) sind dasselbe; ich halte hinzu das goth. inveita (adoro s. 24), aus dem begrif des lobpreisens und feierlichen singens kann der des ehrens und anbetens hervorgehn. den Slaven heißt slava gloria, slaviti venerari, slavik der lobsingende, jubelnde vogel, wie αηδάν zu αείδω gehört, unser nahtigala zu galan canere. bezeichnet αοιδός einen sehenden, wissenden sänger, dichter, weissager, warum hätte nicht ein goth. inváits, falls es ein solches wort gab, ähnliches dürfen ausdrücken?
Soll nun die kraft des schaffens und erfindens, wie in ποιητής d. h. faber (und auch unser smid galt vom fertiger des lieds, altn. liođasmiđr) hervorgehoben werden, so diente dafür das ahd. scuof, alts. ags. scôp (s. 338), das zugleich an den höchsten schöpfer aller dinge und an die schaffende norn erinnert. in altn. sprache kenne ich kein solches skôpr [Fußnote]. dafür gewährt sie ein neutrales skâld, das ich nur unsicher im ahd. nachzuweisen suche (s. 77. 541) und dessen ursprung dunkel bleibt [Fußnote]. skâldskapr ist poesis, wie das ags. scôpcräft. Die romanische dichtkunst des mittelalters entnimmt ihre technische benennung vom prov. trobar, it. trovare, franz. trouver [Fußnote] finden, erfinden, und der trobaire, trovatore, trouvere ist erfinderisch, wie der scuof schöpferisch. Eigenthümlich steht das ags. gid, gidd (cantus, oratio) Beov. 2124. 3446. 4205. 4212. 4304. 4888, giedd cod. exon. 380, 25; giddian (canere, fari) Cædm. 127, 6. cod. exon 236, 8. Beov. 1253; gidda (poeta, orator) vgl. gidda snotor El. 419, giedda snotor cod. exon. 45, 2. 293, 20. Leo hat es in dem ir. hat cit, git (carmen dictum) nachgewiesen [Fußnote].
Berühmt ist das celtische bard, ir. bard pl. baird, welsh bardh, schon Festus: ›bardus gallice cantor, qui virorum fortium laudes canit‹; Lucan. phars. 1, 447: ›plurima securi fudistis carmina bardi‹; bardaea oder bardala (Ducange s. v.) hieß die lerche, gleich αηδών, nahtigala und slavik sängerin. kein denkmal überweist der deutschen sprache oder sitte solche barden [Fußnote].
Gesang, spiel und tanz erfreuen (τέρπουσιν) der menschen herz, sind die zierde des mahls (αναθήματα δαιτός Od. 1, 152. 21, 430), kummer stillend und bezaubernd (βροτω̃ν θελκτήρια Od. 1, 337). selbst der kranke gott stieg vom himmel herab und ließ sich durch die lieder der sänger erheitern (s. 275). Die dichtkunst heißt darum die frohe kunst, gesang die freude und wonne. bekannt ist das gai saber der trobadore, und joculator, joglar, jongleur aus jocus, joc, jeu spiel, scherz abzuleiten. aber schon den Angelsachsen war lied und spiel gleo (gaudium, engl. glee) vynn (wonne) oder dreám (jubilum): ›scôp hvîlum sang hâdor on Heorote, þa vas häleđa dreám‹. Beov. 987; ›gidd and gleo‹ Beov. 4205 werden verbunden, der gesang ist healgamen (aulae gaudium), die harfe heißt gamenvudu, gleobeám (freudenholz, freudenbaum), spielen und singen ›gomenvudu grêtan‹ (grüßen, rühren, erregen) Beov. 2123. 4210; ›gleobeám grêtan‹ cod. exon. 42, 9; ›hearpan grêtan‹ cod. exon. 296, 11; ›hearpan vynne grêtan‹ cod. exon. 296, 11; ›hearpan vynne grêtan‹ Beov. 4209; außer grêtan wird vrecan (d. i. ciere, excitare) verwandt: ›gid vrecan‹ (cantum excitare) Beov. 2123. 4304. 4888; ›gid âvrecan‹ (lied erwecken) Beov. 3445. 4212; ›vordgid vrecan‹ Beov. 6338; ›geomorgidd vrecan‹ Andr. 1548. gleoman, gligman ist spielmann, gleocräft die fröhliche kunst, lied und spiel. im Wigal. s. 312 geigen sechs fiedler allen kummer vom herzen. wer sie doch stets zu gebot hätte! und fornald. sög. 1, 315 heißt es: leika hörpu ok segja sögur svâ at gaman þaetti at. Ich will eine merkwürdige einstimmung der finnischen poesie anführen. zwar heißt das lied runo, der dichter runolainen, runoan dichten und singen, der gesang laulu, der sänger laulaja, laulan ich singe; in den epen aber finde ich ilo (gaudium) vom gesang und teen iloa (gaudium cieo) vom singen gebraucht [Fußnote] [Fußnote].
Was so hohe bedeutung hat kann nicht unter den menschen selbst entsprungen sein, muß als himmlische gabe angesehn werden. dichten und singen ist von den göttern eingegeben, der sänger gottbegeistert: θέσπις αοιδή Od. 1, 328. 8, 498, αοιδή θεσπεσίη Il. 2, 600, θέσπις αοιδός Od. 17, 385, ό κεν τέρπησιν αείδων. die obersten götter zeigen sich als bewahrer und pfleger der göttlichen kunst, bei den Griechen Zeus und Apollo, bei uns Wuotan und Bragr, bei den Finnen Wäinämöinen. Saga war Wuotans tochter (s. 258) wie die Muse des Zeus; der Freyja gefiel minnesang: ›henni lîkađi vel mansöngr‹. Sn. 29.
Die edda liefert einen reichhaltigen mythus von der dichtkunst ursprung Sn. 82–87, auf welchen ältere anspielungen schon in Hâvamal Sæm. 12. 23. 24 anzutreffen sind. Einst schlossen die Aesir und Vanir frieden und bezeichneten ihn so, daß sie von beiden seiten an ein gefäß traten und darin ihren speichel [Fußnote] fallen ließen, wie sonst sühne und bund durch blutmischung geweiht wurde (RA. 193. 194); der heilige speichel steht hier dem blute gleich und wird sogar in blut gewandelt, wie der verfolg ausweist. das friedenszeichen (griđamark) sollte nicht verloren gehn und die götter schufen aus dem speichel einen mann namens Kvâsir, das weiseste, verständigste aller wesen [Fußnote]. dieser Kvâsir zog weit durch die welt und lehrte die menschen weisheit (frœđi, ahd. fruotî). als er auch zur wohnung zweier zwerge Fialar und Galar (ahd. Filheri, Kalheri?) kam, erschlugen ihn diese und ließen sein blut in zwei gefäße und einen kessel rinnen, welcher Ođhrœrir, die gefäße Sôn und Bođn genannt wurden. die zwerge mengten aber das blut mit honig und daraus wurde ein kostbarer meth [Fußnote], der jedem, wer davon kostete, die gabe der dichtkunst und weisheit verlieh: er wurde skâld oder frœđamađr (weiser mann). eine spur dieser bluthonigtonne bei den zwergen ist s. 387 aufgezeigt.
Fialar und Galar suchten den mord zu hehlen und gaben vor, Kvâsir sei in der fülle seiner weisheit erstickt; es verlautete aber schnell, daß sie im besitz seines blutes waren. bei einem handel, den sie mit dem riesen Suttûngr hatten, wurden sie genöthigt, den theuren meth diesem als wergeld für die tödtung seines vaters herauszugeben. Suttûngr verwahrte ihn sorgsam in Hnitbiörg und setzte ihm Gunnlöđ, seine schöne tochter zur hüterin.
Die götter musten alles aufbieten sich in den wiederbesitz des heiligen blutes zu setzen. Ođinn selbst kam vom himmel auf die erde, er sah neun knechte heu mähen und fragte, ob sie ihre sicheln gewetzt haben wollten? als sie es bejahten, zog er einen wetzstein [Fußnote] aus dem gürtel und wetzte; weil die sicheln nun schärfer schnitten, feilschten die mäher um den stein, Ođinn warf ihn in die luft, und indem ihn jeder fangen wollte schnitten sie einander mit den sicheln die hälse ab [Fußnote]. Ođinn kehrte nachts bei einem andern riesen, dem bruder Suttungs, namens Baugi, ein, der ihm verdrießlich erzählte, daß heute seine neun knechte umgekommen seien und er jetzt keine arbeiter habe. Ođinn nannte sich Bölverkr und war erbötig neun männer arbeit zu übernehmen, wofür er sich nichts bedung, als einen trunk aus Suttungs meth [Fußnote]. der meth, sagte Baugi, gehöre seinem bruder, doch wolle er bei diesem versuchen den trunk zu erlangen. Bölverkr verrichtete nun im sommer die neunmännerarbeit und forderte im winter seinen lohn. beide fuhren darauf zu Suttung, der aber jeden tropfen meths weigerte. Bölverkr meinte, hier müsse list versucht werden, was auch Baugi sich gefallen ließ. Da zog Bölverkr einen bohrer namens Rati [Fußnote] hervor und verlangte, daß Baugi damit den berg durchbohre, welches dieser dem anschein nach that; Bölverkr blies aber in das gebohrte loch und die spähne flogen ihm entgegen, woraus er entnahm daß Baugi mit trug umgehe. er ließ ihn also zum andern mal bohren und blies, da flogen die spähne hinein. Jetzt wandelte sich Bölverkr in einen wurm und schlof durch das gebohrte loch, Baugi stach mit dem bohrer nach, fehlte ihn aber. Bölverkr brachte im berg bei Gunnlöđ drei nächte zu und sie gelobte ihm drei trünke des meths: im ersten trunk trank er Ođhrœrir leer, im andern Bođn, im dritten Sôn, und so hatte er allen meth. Da nahm er adlergestalt an und entflog auf das schnellste, Suttung folgte als zweiter adler nach. Die Aesir sahen Ođinn geflogen kommen und setzten gefäße im hof von Asgarđ aus, da spie Ođinn von Suttung gedrängt den meth in die gefäße, der also wieder zu speichel wurde, was er anfangs gewesen war [Fußnote]. Den meth aber gab Ođinn den Asen und den menschen die dichten können, daraus erklären sich wechselnde benennungen der dichtkunst: sie heißt Kvâsis blôđ (Kv. sanguis), dverga drecka, fylli (nanorum potus, satietas), Ođhrœris, Bođnar, Sônar laug (O. B. S. aqua), Hnitbiarga laug (Hn. aqua), Suttûngs miöđr (S. mulsum), Ođins fengr, fundr, dryckr (Odini praeda, inventio, potus), Ođins giöf (Odini donum), dryckr Asanna (Asarum potus).
Unter diesen namen sind einige gar werth näherer beleuchtung. Bođn wird ausgelegt oblatio, Sôn reconciliatio, beide können wenigstens als sich die zwerge ihrer zuerst bedienen einen solchen sinn noch nicht haben. bei bođn wäre leicht an das ags. byden, ahd. putin (Graff 3, 87) zu denken: sôn stimmt allerdings zum ahd. suona (emendatio), nicht zum goth. sáun (lytrum). Sæm. 118b 234a steht Sônar dreyri im sinn von sühnungsblut, sônar dreyri (vgl. sônar göltr s. 41). deutsamer und wichtiger ist die benennung des kessels, der wir auch Sæm. 23b 28a 88a, in der letzten stelle mit richtiger schreibung begegnen. um das wort auszulegen muß ich anführen, daß ein goth. adj. vôþs dulcis dem ahd. wuodi, alts. wôthi, ags. vêde entspricht, das bald von der süßigkeit des geruchs bald des tons gilt, ags. ›svêg þäs vêđan sanges‹, sonus dulcis cantilenae. aber noch mehr, das ags. subst. vôđ (m.) ist carmen, facundia: vôđa vynsumast, carmen jucundissimum, cod. exon. 358, 9; vôđa vlitegast, carmen pulcherrimum El. 748; vôđ vera, prophetia virorum Cædm. 254, 23; vôđbora (carmen ferens) bald poeta cod. exon. 295, 19. 489, 17, bald orator, propheta 19, 18. 346, 21; vitgena vôđsong cantus prophetarum cod. exon 4, 1; vôđcräft poesis cod. exon. 234, 30. 360, 7 jenem scôpcräft und gleocräft gleichbedeutend; vynlicu vôđgiefu, jocundum poeseos donum cod. exon. 414, 10, auf die frohe kunst wie auf Ođins gabe bezüglich. mag nun in vôđ selbst die vorstellung des süßen, sanften liegen, oder diese erst in dem abgeleiteten adj. sich entfalten, welches richtiger scheint, da vôđ in einigen stellen des cod. exon. 118, 4. 125, 31. 156, 8 auch einen lauten schall, clamor ohne allen bezug auf ein lied bezeichnet; klar ist, daß ihm das altn. ôđr (masc.) entspricht, welches sowohl poema als ingenium, facundia ausdrückt. in jener bedeutung begegnet es bloß zufällig dem lat. oda, gr. ωδή (verkürzt aus αοιδή) wie schon das abweichende genus erkennen läßt. merkwürdig wird Sæm. 3b bei erschaffung von Askr und Embla gesagt, daß ihnen Hœnir den mangelnden ôđ verliehen habe, was ich s. 465 vernunft übersetzte: richtiger wäre vielleicht rede, gabe der rede? [Fußnote] wie dem auch sei, Ođhrœrir scheint deutlich poesin ciens, dulcem artem excitans, was überraschend zu jenem ags. gid vrecan oder dem finn. teen iloa stimmt, hrœra, ahd. hruoran, mhd. rüeren ist tangere, ciere, und der kessel würde ahd. Wuodhruori, ags. Vôđhrêre geheißen haben. Ođr, Freyjas gemahl (Sæm. 5b Sn. 37), den sie in der weiten welt aufsuchte und mit goldnen thränen beweinte, könnte personification der dichtkunst sein [Fußnote], war Ođr eins mit Kvâsir, der die welt durchzog und von den zwergen ermordet wurde?
Ođhrœrir enthielt also den süßen trank göttlicher dichtkunst, der unsterblichkeit verlieh, und aus dem bestreben der götter, namentlich Ođins sich ihn wieder zu verschaffen, nachdem er in die hände der zwerge und riesen gerathen war, ergibt sich seine identität mit amrita, ambrosia und nectar (s. 264. 265); der göttliche ichor ist dem lauteren speichel der Asen und Vanen ähnlich.
Die reine noch aus dem paradies verbliebne biene [Fußnote] trägt honig des gesanges dem schlafenden in den mund (s. 579) [Fußnote]
Kvâsir Sn. 69 ist = anhelitus creber. Biörn s. v. qvâsir. Ođins speichel macht das bier gähren (s. 857). der speichel, der blutstropfe spricht. KM. anm. zu no. 56. Lisch mecklenb. jb. 5, 82. die gespuckte thür antwortet. Müllenhoff s. 399. vgl. fugls hrâki (s. 568). über blut und schnee s. Dybeck 1845 s. 69: som blod på snö. das ganze mittelalter trug sich mit einer scherzhaft gewendeten fabel von einem kind, das aus schnee oder eis hervorgieng; schon im 10. jh. hatte man den modus Liebinc, ein altfranz. gedicht dieses inhalts steht bei Méon 3, 215, ein mhd. Ls. 3, 513 und Haupts zeitschr. 7, 377; in scherz und ernst cap. 251 (1550, 183) heißt das kind eisschmarre (eisbissen) vgl. Burc. Waldis 4, 71 und Weisens erznarren s. 23. Franciscus macht sich frau und kind aus schnee. Pfeiffer myst. 1, 215. Jeder, der vom dŷri miöđr, von dem mit Kvâsirs blut gemischten honig, trank, wurde skâld. so bittet der dichter nur um einen trahen aus dem brunnen der Kamênen. Trist. 123, 38.
Ođinn gewann den Ođhrœrir von Suttung, von dem er verfolgt wurde, wie Wäinämöinen, als er Sampo erbeutet, von Louhi als adler verfolgt ward. Ođinn selbst sagt im Hâvamâl 23b: Ođhroerir er nu uppkominn â alda ves iarđar und 24a heißt es von ihm: Suttûng svikinn hann lêt sumbli frâ ok graetta Gunnlöđu. der trank hat auch die namen: Yggs full. Egilss. 656. Yggjar miöđr. 657. Viđris full. 665. Viđris þŷfi. 608. zu arnar leir vgl. leirskâld ein dreckpoet, dän. skarnspoet. Olafsens preisschrift s. 5. gleich dem meth wird die seele des spielhansl unter die spieler vertheilt.
Zu vôđbora stellt sich sôđbora vates. das goth. veitvôds testis scheint wegen des d unverwandt, aber d und þ schwanken. Ođhroerir übersetzt Finn Magnusen: ingenii excitator, nach Biörn ist hræri obturaculum lebetis. über das verhältniss von Ođr zu Ođinn s. anm. 787.
Ođinn gibt dem Starkarđr die gabe des dichtens. Apes Platonis infantuli mel labiis inferebant. Joa. Sarisber. de nug. cur. 1, 13. als der heilige Ambrosius in der wiege lag, setzte sich ein bienenschwarm an seinen mund. dem hirten Komatas träufelte die Muse nectar in den mund, und die bienen trugen blumenseim dazu. Theocr. 7, 60–89. wen die Musen bei der geburt ansehen, der hat süße rede in seiner gewalt. Hesiod. theog. 81–84. den dichter hauchen die götter an. Ovid. met. I. 2–4.
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Es zieht mich an noch andere sagen zusammenzustellen, wie großen dichtern die eingebung des liedes über nacht im schlafe gekommen sei, was von Pindar wird auch von Homer und Aeschylus in andrer weise erzählt.
Vor Homer soll Helena erschienen sein: λέγουσι δέ τινες καὶ τω̃ν ‛Ομηριδω̃ν ως επιστα̃σα (‛Ελένη) τη̃ς νυκτὸς ‛Ομήρω προσέταξε ποιει̃ν περὶ τω̃ν στρατευσαμένων επὶ Τροίαν, βουλομένη τὸν εκείνων θάνατον ζηλωτότερον ὴ τὸν βίον τω̃ν άλλων καταστη̃σαι. καὶ μέρος μέν τι διὰ τὴν ‛Ομήρου τέχνην, μάλιστα δὲ διά ταύτην ούτως επαφρόδιτον καὶ παρὰ πα̃σιν ονομαστὴν αυτου̃ γενέσθαι τὴν ποίησιν. Isocrates ‛Ελ. εγκώμιον (oratt. att. ed. Bekker 2, 245).
Dem Aeschylus offenbarte sich Dionysus: έφη δὲ Αισχύλος μειράκιον ὼν καθεύδειν εν αγρω̃ φυλάσσων σταφυλὰς καὶ οι Διόνυσον επιστα̃ντα κελευ̃σαι τραγωδίαν ποιει̃ν. ως δὲ η̃ν ημέρα (πείθεσθαι γάρ εθέλειν) ρα̃στα ήδη πειρώμενος ποιει̃ν. ου̃τος μὲν ταυ̃τα έλεγεν. Pausanias 1. 21, 2. ρα̃στα, wie es von den göttern re~ia heißt (s. 266).
Aeschylus hütete des weinbergs, deutsche hirten weideten schafe oder rinder, als die gabe Wuotans ihnen nahte.
Hallbiörn wünschte das lob Thorleifs eines verstorbnen sängers zu dichten und vermochte es lange nicht, bis ihm bei nächtlicher weile Thorleif erschien, die zunge löste, und verschwindend noch an der schulter sichtbar wurde (s. 271). fornm. sög. 3, 102.
Der heidnische mythus fand auch auf christliche dichter seine anwendung. ein armer hirte vernimmt im schlaf eine stimme, die ihn auffordert ungesäumt die heilige schrift in sächsischer sprache zu dichten; des sanges vorher unkundig verstand ers von diesem augenblicke an und vollzog den auftrag. opusc. Hincmari remensis. Par. 1615 p. 643. Ausführlicher meldet ähnliches von dem berühmten ags. dichter Cædmon Beda hist. eccl. 4, 24 [Fußnote]. allen diesen dichtern gelingt frühmorgens beim erwachen das vorher ungeübte geschäft [Fußnote]
mirabar, quidnam misissent mane Camenae,
ante meum stantes sole rubente torum,
natalis nostrae signum misere puellae,
et manibus faustos ter crepuere sonos. Prop. IV. 9, 1.
vgl. die sage von dem kalmückischen dichter. Klemm 3, 209. 210 und die gesichte armer hirten vom kirchenbau (anm. 248). GDS. 821.
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Aber nicht allein das dichten selbst geht von den göttern aus, sie ersinnen auch die werkzeuge, auf welchen zu dem liede gespielt wird.
Apoll, der bei Homer die phorminx spielt, soll nach Callimachus die lyra mit sieben saiten bezogen haben; erfindung der lyra wird jedoch dem Hermes beigelegt, der sie Apoll schenkte. dies ist für uns bedeutsam, da Wuotan auf Hermes und Apoll bezogen werden darf, so daß jener überwiegt. das erfinderische ist ein zeichen Mercurs, und kaum zweifle ich, daß in unserm alterthum wie Wuotan schrift und maß so auch irgend ein den gesang begleitendes spielwerkzeug erfunden haben werde.
Darin bestärkt die fünfsaitige harfe (kantelo) der Finnen, deren erfindung ihrem höchsten gott Wäinämöinen gehört, und er vertritt überall unsern Wuotan. zuerst bildete er kantelo aus eines hechts gräten und als sie ins meer gefallen war zum zweiten mal aus birkenholz, ihre schrauben aus eichenast, ihre saiten aus eines mächtigen hengstes schweif. So hatte auch Hermes die chelys (schildkröte) ausgenommen und mit saiten bezogen (hymn. in Merc. 24 ff.). Schwed. und schottische volkslieder erzählen wie ein spielmann aus dem brustbein einer ersäuften jungfrau eine harfe, aus ihren fingern die schrauben, aus ihren goldgelben haaren die saiten machte und der harfenschlag die mörderin tödtete. sv. folkvisor 1, 81. Scotts minstr. 3, 81. Ein kindermärchen no. 28 läßt aus dem knochen eines erschlagnen eine hirtenpfeife werden, die so oft sie geblasen wird die begangne unthat aussagt; ähnliches steht in einer schweizerischen sage von einer flöte (Haupts zeitschr. 3, 36). Die gewalt des spiels und gesangs wurde daraus erklärt, daß man den werkzeugen übernatürlichen ursprung beimaß und sicher brachte das höhere alterthum götter dabei in rechnung.
Wenn Wäinämöinen seine harfe rührt, lauscht ihm die ganze natur, alle vierfüßigen thiere des waldes laufen herzu, alle vögel kommen geflogen, alle fische im wasser fließen heran, aus des gottes augen dringen thränen der wonne auf die brust, von der brust auf die knie, von den knien zu den füßen, netzen ihm fünf mäntel und acht röcke. seine thränen wandeln sich in perlen des meeres. Kalewala rune 22. 29. Solche thränen vergießt Freyja (grâtfögr s. 270), die gesangliebende, dem Ođr vermählte; im kindermärchen haben glückliche jungfrauen die gabe rosen zu lachen, perlen zu weinen,
Auch der strömkarl bricht in weinen aus, wenn er zur harfe singt (s. 408). Wie aber die gesamte natur, belebte und unbelebte, ihr mitgefühl an den klagen der menschen bezeigt (s. 537), so wird erzählt, daß bei dem bezaubernden albleich (s. 389) der strom sein rauschen einhielt, die fische in der flut schnalzten, die vögel des waldes zwitscherten. Nächst den göttern scheinen elbe und wassergeister in die geheimnisse der musik eingeweiht und der sanglehrende Hnikarr berührt sich mit Ođinn selbst (s. 404).
Von den göttern gieng sodann die gabe des lieds auf einzelne helden über, und die wirkung ihres gesangs wird in gleicher weise geschildert. zwei helden der deutschen sage ragen als sänger vor, Horant [Fußnote], von welchem es Gudr. 388. 389 heißt, daß er alle menschen, gesunde wie kranke durch seine lieder fesselte, und
diu tier in dem walde ir weide liezen stên,
die würme die dâ solten in dem grase gên,
die vische die dâ solten in dem wâge vliezen,
die liezen ir geverte.
des Hiarrandahliođ gedenkt saga Herrauđs ok Bosa (fornald. sög. 3, 323) neben dem entzückenden gŷgjar. slagr (harfenschlag der riesin). Den Nibelungen fiedelte held Volkêr (Folhheri) 1772:
under die türe des hûses saz er ûf den stein
küener videlære wart noch nie dehein:
dô klungen sîne seiten, daz al daz hûs erdôz,
sîn ellen zuo der fuoge diu wârn beidiu grôz,
süezer unde senfter gîgen er began:
do entswebete er an den betten vil manegen sorgenden man.
In der griech. mythologie haben Orpheus und Amphion des sanges gewalt. Amphion sang, daß seiner leier die steine folgten und sich zur mauer fügten. dem Orpheus giengen felsen und bäume nach und die wilden thiere wurden ihm zahm; selbst die Argo lockte er vom land in die flut und schläferte drachen ein (entswebete). da gleich ihm Hermôđr den gang in die unterwelt thut, und gerade um Balder alle wesen weinen, sollte man meinen, auch Hermôđr könne durch gesang und spiel auf sie gewirkt haben, wovon uns aber nichts überliefert ist [Fußnote]
den ene begyndte en vise at qväde,
saa faart over alle qvinder,
striden ström den stiltes derved,
som förre vor vant at rinde. DV. 1, 235.
ein lied macht tisch und bank tanzen. fornald. sög. 3, 222. KM. no. 111. sv. fornvis. 1, 73. Stolts Karin macht durch ihren gesang schlafen und aufwachen. sv. vis. 1, 389 und tanzen. das. 394. 396. beispiele von der macht des gesangs über vögel und thiere. DV. 1, 282. sv. vis. 1, 33. über Orpheus s. Horat. carm. I. 12, 7 ff. vgl. die spanische romanze vom conde Arnaldos.
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War nun die dichtkunst den menschen mit den göttern gemein, von göttern erfunden und übertragen worden, so folgt nothwendig, daß sie dem alterthum auch für ein amt und geschäft der priester galt und die begriffe von priester, weissager und dichter an einander rührten. hierbei lege ich einiges gewicht auf das vorkommen des ags. namens bregovine (s. 76. 195), der einen diener und freund des dichtergottes anzuzeigen scheint, wie wir noch heute den sänger einen freund oder günstling der Musen nennen. In ländern und zeiten, die der dichtkunst hold waren, darf man auch den sängern, namentlich den höfischen eigenthümliche tracht, gleich den priestern, zutrauen; hier sind zumal die nachrichten belehrend, welche uns die welschen gesetze über stellung und vorrecht der barden am königshofe liefern, alle nordischen sagen bezeugen, in welcher ehre die skalden gehalten wurden. den dichtern des mittelalters widerfuhr an romanischen und deutschen fürstenhöfen ähnliche auszeichnung, und eine genaue untersuchung dieses anziehenden gegenstandes könnte noch in den jüngeren gebräuchen vieles hervorheben, was schon in der ältesten zeit seinen grund hat [Fußnote] [Fußnote].
Zu beachten sind äußerungen mhd. dichter, worin die kunst des gesangs nicht als angelernt, sondern angeboren, d. h. von gott eingegeben, dargestellt wird, wie schon Od. 22, 347: αυτοδίδακτος δ'ειμί, θεὸς δέ μοι εν φρεσὶν οίμας παντοίας ενέφυσε. Heinrich von Morunge 1, 53a sagt: ›wan ich durch sanc bin ze der werlte geborn‹, gesang ist ihm auferlegt, seine bestimmung. Walth. 26, 4 in bezug auf gott: ›sît ich von dir beide wort hân unde wîse‹. im Wartb. kr. jen. 102: ›gab iu got sinne und sanges site‹. noch die späteren meistersänger drücken sich darüber aus: ›es trieb der heilig geist also zwölf männer froh, die fiengen an zu dichten‹. warum sollten heidnische dichter nicht ebenso ihre gabe auf Wuotans meth zurück geführt haben?
Auch die wettgesänge scheinen aus der einfachsten natur der poesie selbst hervorgegangen. Wie weise männer des alterthums ihr wissen einander abfragten, helden die kraft ihrer waffen aneinander prüften, sangen auch hirten und dichter um den preis des liedes. Ođinn wollte die weisheit (orđspeki) des klugen riesen; Vingþôrr die des klugen zwergs erkunden, der blinde gast [Fußnote] die des königs Heiđrekr; da werden lieder gesungen und räthsel vorgelegt, Vafþrûđnir bedingt ausdrücklich ›höfdi veđja viđ scolom höllo î, gestr, um geđspeki‹ Sæm. 33b. ums haupt soll gewettet werden wie sonst beim streit künstlicher schmiede oder schachspieler. Auch in dem krieg der sänger auf Wartburg wird das leben eingesetzt: ›nu wirt gesungen âne vride . . . stempfel muoz ob uns nu beiden stân alhie mit sînem swerte breit, er rihte ab unser eime in roubes site dem man valles jehe!‹ als räuber mit dem schwert soll der erliegende gerichtet werden. nicht der geschichte, der sage fällt diese begebenheit anheim, aber sie lehrt uns, mit welchem ernst man die dichtkunst gewohnt war anzusehn.
Hier sei auch des weit verbreiteten mythus gedacht von dem dichter, der sein eigenthum gefährdet sieht, weil das gedächtniß eines andern sich seiner lieder bemächtigt hat. was zwischen Virgil und Bathyll ergieng wird verändert von Arnoldo Daniello und einem jongleur (Diez leben der tr. s. 352) berichtet, aber schon von dem indischen Kalidasa, dessen gedicht vier brahmanen auswendig gelernt hatten. Dieser Kalidasa und Valmiki galten für incarnationen Brahmas selbst; was konnte das ansehen der dichter fester stellen, als daß sie ein avatâra des erhabnen gottes gewesen sein sollen?
Mit den göttern theilen göttinnen, mit helden und priestern weise frauen macht und einfluß. unter den asinnen wird Saga Sn. 36 gleich nach Frigg, Sn. 212 neben Sôl genannt, ihr aufenthalt heißt Sökqvabeckr, der sinkende bach, eine große, geräumige stätte. auch Sagones (nes Sago) Sæm. 154b scheint von ihr den namen zu haben. Söcqvabeckr wird Sæm. 41a als ein ort geschildert, wo kalte wogen rauschen, da sollen Ođinn und Saga alltäglich froh aus goldnen schalen trinken. Das ist der unsterblichkeit, zugleich der dichtkunst trank. Saga muß entweder als gemahlin oder tochter Ođins aufgefaßt werden, in einem wie dem andern fall ist sie ihm als gott der dichtkunst identisch. den Griechen war die Musa tochter des Zeus, oft aber wurden drei oder neun Musen angenommen, die sich weisen frauen, nornen und schöpferinnen gleichen und an quellen oder brunnen hausen [Fußnote]. Die kühle flut eignet sich für schwanfrauen, des Wunsches töchter. Saga kann nicht anders sein als sage und erzählung, das personificierte, göttlich gedachte mære (s. 747).
Unsere dichter des 13 jh. personificieren die âventiure und lassen eine frau Aventiure gleich der norn über land zu der hütte des sängers ziehen, wo sie anklopfen und einlaß begehren [Fußnote]. noch heute erzählt man wie das märlein von haus zu hause wandert, wenn die reihe des erzählens von einem an den andern gelangt. Suchenwirt no. XXV stellt eine erscheinung der frau Aventiure im wald auf blühender aue dar, sie war als frau Ehren bote durch das land zu königen und fürsten gewandert und stattet bericht ab; einen goldnen ring an den finger steckend verschwindet sie. Zu bemerken finde ich noch, daß mnl. dichter die aventure persönlich im sinn der mhd. frau Sælde verwenden; ›die Aventure wacht‹ Maerl. 2, 14; ›dat rat van Aventuren‹ Rein. 6183, ganz wie diu Sælde wachet, Saelden rat (s. 721. 722). ich wüste nicht, daß ihnen dabei romanische gedichte zum vorbild dienten [Fußnote].
Jenes wechselnde erzählen und umgehn des märchens oder der sage war schon römischer, griechischer brauch, wie aus Ovids met. buch IV zu ersehen ist, wo die Minyaden unter dem weben und spinnen sich durch erzählungen die zeit kürzen, 39:
›utile opus manuum vario sermone levemus,
perque vices aliquid, quod tempora longa videri
non sinat, in medium vacuas referamus ad aures‹.
dicta probant, primamque jubent narrare sorores.
dann 167:
desierat, mediumque fuit breve tempus, et orsa est
dicere Leuconoe, vocem tenuere sorores.
274:
poscitur Alcithoe, postquam siluere sorores.