Die lebende, belebende seele ist den sprachen ein sanftes weibliches wesen: goth. sáivala, verwandt mit sáivs (mare), wogende, flutende kraft, ahd. sêola, sêla, mhd. sêle, ags. sâvl, engl. soul, altn. sâl, schwed. dän. själ, und daher finn. siclu; gr. ψυχή, lat. ital. anima, franz. âme, altfranz. zuweilen arme, span. alma, serb. russ. duscha, sloven. dusha, böhm. duše, poln. dusza, litth. duszia, lett. dwehsele. davon unterscheiden sie alle den männlichen athem und geist, spiritus, άνεμος den fühlbarer aus und eingehenden; oft liegen sich beide benennungen ganz nahe, wie im lat. animus und anima, im slav. duch, du und duscha [Fußnote].
Aber auch in den mythen zeigt sich dies band. die aus des leibes fessel gelöste seele gleicht jenen luftigen, geisterhaften wesen des xvii cap. (vgl. s. 363. 524). sie schwebt mit derselben leichtigkeit, erscheint und verschwindet, oft nimmt sie bestimmte gestalten an, in denen sie eine zeitlang zu verharren genöthigt ist [Fußnote].
Zwei anmutige vorstellungen sind es, welche die entweichende seele als blume aufblühen, als vogel auffliegen lassen. beide hängen zusammen mit der verwandlung in pflanzen und thiere überhaupt, und gründen sich auf die lehre von der seelenwandrung, der das frühe alterthum huldigte. in diesem sinn wurde unsterblichkeit angenommen, daß die seele blieb, sich aber einen neuen leib gefallen lassen muste.
Den übergang in die blume kann ich nur folgern. Ein kind trägt eine knospe heim, die ihm der engel im wald geschenkt hat: als die rose erblüht, ist das kind todt (kinderlegenden no. 3). rosenknospe ist die seele des gestorbnen jünglings. Rhesas dainos s. 307. Nach dem lied von Runzifal wächst aus leichen gefallner Heiden ein schwarzdorn (hagen), neben dem haupt gebliebner Christen eine weiße blume. Karl 118b. Aus dem grabe hingerichteter sprießen weiße lilien zum zeichen ihrer unschuld, aus dem des mädchens drei lilien (Uhland volksl. 241), die kein andrer als der geliebte brechen soll, aus den hügeln liebender winden sich blumensträuche, deren äste sich verflechten. auch in schwed. liedern wachsen lilien und linden aus gräbern. sv. vis. 1, 101. 118. Im lied von fair Margaret und sweet William:
out of her brest there sprang a rose
and out of his a briar;
they grew till they grew unto the churchtop,
and there they tyed in a true lovers knot [Fußnote].
in der sage von Tristan halte ich schon für spätere änderung, daß rose und rebe, die sich über ihrem grab zusammenwinden, erst darauf gepflanzt werden. Ein serb. volkslied läßt aus dem leichnam des jünglings einen grünen tannenbaum (zelen bor), aus dem der jungfrau eine rothe rose (rumena ruschitza) wachsen (Vuk 1 no. 137), so daß sich auch in den blumen das geschlecht forterhält [Fußnote]; um den tannenbaum windet sich die rose, wie um den strauß die seide. Alle diese beispiele sehen die blume nur symbolisch an, oder als nachwirkung der innersten gesinnung des todten: die aufgehende rose gleicht dem aufgehenden geist des kindes, der leichnam muß erst begraben liegen, bevor die erde, wie aus dem samen ein neues gewächs aufsteigen läßt. vgl. cap. XXXVII. Ursprünglich mag aber die idee eines unmittelbaren schnellen übertritts der seele in die gestalt der blume zum grund liegen, wie aus bloßen blutstropfen, die nur kleinen theil des lebens enthalten, eine blume entspringt, im blut hat die seele sitz, mit seinem verströmen flieht sie hin. Griechische fabeln berichten, wie der leib verfolgter, gemordeter menschen, zumal frauen, alsobald die gestalt einer blume, staude, eines baums annahm (s. 544), ohne daß verwesender oder verbrennlicher stof zurückblieb, ja das leben, selbst die sprache kann haften während die umgestaltung erfolgt. so wandeln sich Daphne und Syrinx, als sie der nachstellung Apolls und Pans nicht entrinnen können, in laurus und schilf; solange spricht die sich verwandelnde frau, als ihr die harte rinde noch nicht zum mund gestiegen ist. Vintler erzählt, die wegewarte (ahd. wegawartâ, wegapreitâ), plantago, sei eine frau gewesen, die ihres bulen am wege wartete; keine ursache der verwandlung gibt er an, vgl. Km. no. 160 [Fußnote]
sîn tiost doch valte den edeln môr,
daz er die bluomen mit bluote begôz:
die gote des valles sêre verdrôz,
daz der minnaere sus belac,
und waen daz vür den selben tac
nâch der âventiure sage
daz selbe velt niht wan rôsen trage.
sô grôz wart al der gote klage. Türl. Wh. 36a.
blutstropfen wandeln sich in gelbe blümchen, wie aus des Ajax blut ein kraut sprießt. konst en letterb. 1843 s. 76b. mannabod (sambucus ebulus) bei Kalmar wuchs aus dem blut erschlagner helden. Fries bot. udfl. 1, 110. Die wegewarte heißt auch wegetritt, Hänsel am weg, feldblume auf der wegscheide. Meinert kuhl. s. 6. wegeluoge heliotropium. Mone 8, 401.
.
Nicht anders gilt die seele der kindlichen fantasie des volks für einen vogel, der aus des sterbenden munde geflogen kommt. darum sind in alten grabsteinen häufig tauben eingehauen, die der christliche glaube noch näher auf den geist bezieht [Fußnote]. Ein schif versinkt, vom meeresufer gewahrt man der untergegangnen seelen in gestalt weißer tauben aus der flut gen himmel steigen [Fußnote]. die romanische legende von der gemarterten Eulalia sagt: ›in figure de colomb volat a ciel‹. Aus dem machandelbom (KM. 47) fliegt das geschlachtete brüderchen als vogel. im räthsel von dem grünen und dürren baum, auf deren jeglichem ein vöglein sitzt, wird ausgelegt: ›ir (der Christen) sêle zen vogelen sî gezalt‹. Ms. 2, 248b. In der unterwelt fliegen versengte vögel, die seelen waren (sviđnir fuglar er sâlir voro) gleich fliegenschwärmen (Sæm. 127a). Nach ansicht der heidnischen Böhmen schwebte die seele als vogel aus des sterbenden munde so lange irr auf den bäumen herum, bis der leichnam verbrannt war: dann erlangte sie ruhe. Finnen und Litthauer nennen die milchstraße den weg der vögel (s. 296) d. i. der seelen.
Vor Mahomed glaubten die alten Araber, aus dem blut eines ermordeten werde ein klagender vogel, der um das grab fliege, bis für den todten rache genommen sei.
Nach einer polnischen volkssage wandelt sich jedes glied aus dem geschlechte Herburt, sobald es stirbt, in einen adler. die erstgebornen töchter des hauses Pileck wandelten sich, wenn sie unverheiratet starben, in tauben, die verheirateten aber in eulen, und durch ihren biß kündeten sie jedem gliede des geschlechts seinen tod vorher (Woycickis klechdy 1, 16).
Als der räuber Madej unter einem apfelbaum beichtete und seiner sünden entbunden wurde, flog ein apfel nach dem andern in weiße taube verwandelt in die luft. es waren die seelen der von ihm ermordeten, nur ein apfel blieb übrig, die seele seines vaters, weil er dessen mord verhehlt hatte; als er endlich auch diese schwere schuld bekannte, flog der letzte apfel in graue taube verwandelt den übrigen nach (daselbst 1, 180). das stimmt zu den irrenden vögeln der böhm. sage. in einem podolischen volkslied sprießt auf dem grabhügel ein eichbäumchen und ein schneeweißes täublein sitzt darauf [Fußnote]. (daselbst 1, 209).
Beispiele von verwandlungen in vögel sind oben s. 561. 563. 568 bei specht und kukuk gegeben. die griech. mythologie ist reich an andern [Fußnote].
Auch der griech. volksansicht erschien die seele als geflügeltes wesen, ψυχὴ πνευ̃μα καὶ ζωΰφιον πτηνόν [Fußnote], sagt Hesych, aber schmetterling, und das ist noch treffender als vogel, weil sich das insect aus der larve, wie die seele aus dem leichnam, entwickelt. ψυχή heißt daher schmetterling. Eine in Spanien gefundne röm. grabschrift hat die worte: M. Porcius M. haeredibus mando etiam cinere ut meo volitet ebrius papilio [Fußnote]. baskisch arima seele (vgl. arme, alme s. 689), astoaren arima (eselsseele) schmetterling. Wir werden diesen schmetterlingen noch als irwischen (ziebold, vesha), und im cap. von den hexen als elbischen wesen begegnen [Fußnote]
Die puppe, der schmetterling heißt ο νεκύδαλος. schwed. käringsjäl anima anus = sommervogel. Ihre 2, 529. ir. heißt der schmetterling anamandé anima dei. vgl. den faun als nachtschmetterling anm. 1203. wenn ein nachtfalter um das licht flattert, sagen die Litthauerinnen, daß jemand sterbe und die seele von hinnen gehe. n. preuß. prov. bl. 5, 160.
.
Aus entzückten, schlafenden menschen entlauft die seele in gestalt einer schlange, wiesel, maus (cap. XXXIV [Fußnote]
Die guten seelen schweben eine zeitlang auf der wiese des Hades. Plutarch 4, 1154. die seele nährt sich auf dem feld, der wiese der wahrheit, αληθείας πεδίον, λειμών. Platons Phaedr. 248 (sie schaut, im gefolge gottes, συμπορευθει̃σα θεω̃, die wahrheit. das. 248). die seele setzt sich aufs grüne gras. Feifalik Musp. s. 5. ›er will sterben‹ wird auch wol ausgedrückt durch: ›er ist am abflattern‹. seelen verstorbner hängen an einem schwachen halm über einem abgrund. Holtzmann ind. sag. 3, 174. ein mittel, das ihr die seele bis auf die spitze der zunge getrieben. Rommel 4, 771. vulgo dicitur, quod triginta animae super acumen acus possunt sedere. Chmel notizenbl. 6, 386 aus Nicol. v. Siegen chron. (a. 1489) ed. Wegele 1855 s. 344. wie viel seelen auf einem nagel sitzen. Wigands arch. 4, 321.
).
Von den irwischen wird ein folgendes cap. handeln; gleichbedeutig damit finde ich wiesenhüpfer, wiesenhüpferin, z. b. in dem 1688 gedruckten mägdelob p. 46; die erklärung, weil sie auf sumpfigen wiesen hüpfen ist ganz passend, vielleicht aber zu eng. Hans Sachs denkt nicht an irlichter, wenn er sich mehrmals der formel bedient: ›mit im schirmen (fechten) daß die seel in dem gras umbhupfen‹ III. 3, 13a. IV. 3, 28a, ›und schmitz ihn in ein fiderling, daß sein seel muß im gras umbhupfen‹ IV. 3, 51b, er will nichts sagen, als daß ihm die seele ausfährt, daß er stirbt. Wieder also der volksglaube, daß die seele des sterbenden (als vogel oder schmetterling) auf der wiese flattre, d. h. der wiese der unterwelt, von welcher ich s. 686 redete [Fußnote]. gerade so lassen die Böhmen die seele auf bäumen fliegen (königinh. hs. p. 88. 106), darum tanzen und weben seelen und elbe nachts auf den wiesen. Seltsam, daß schon ein minnesänger die seele des trunknen, gleichsam entzückten hüpfen läßt: ›mîn sêle ûf eime rippe stât, wâfen, diu von dem wîne darûf gehüppet hât‹. Ms. 2, 105b [Fußnote]. so hüpfen der ertrunknen seelen aus den töpfen in die höhe (s. 411). Fallende sternschnuppen gelten für die seelen sterbender (s. 602) und viele menschen und helden, ja einzelne glieder ihres leibs wurden als sterne an den himmel gesetzt (cap. xxii).
Das sind die einfachsten, wenn man will rohesten vorstellungen von dem wesen der seele, denen ich hohes alter beimesse.
Mehr ausgebildet, tiefer in alten mythen wurzelnd ist die meinung von einer überfahrt der seelen in das gebiet der unterwelt durch ein wasser, welches das reich der lebenden menschen von dem der todten trennt.
Die nordische erzählung von Baldrs tod hat den merkwürdigen zug, daß die Asen seine leiche auf ein schif brachten, in dem schif den scheiterhaufen errichteten, anzündeten und so der flutenden see überließen. Sn. 66 [Fußnote]. Nicht anders wird der leichnam des vergötterten helden Scild (s. 305) geschmückt auf das schif getragen, das schif von dem meer weggetrieben, niemand weiß wohin. Beov. 55–105. Sigmundr trägt des Sinfiötli, seines geliebten sohnes leichnam, am seeufer hält ein mann mit kleinem nachen, und erbietet sich zur überfahrt; Sigmundr legt den todten ins schif, da war es voll geladen, der unbekannte stößt ab vom ufer und fährt mit der leiche dahin. Sæm. 170. 171. fornald sög. 1, 142. Frothos gesetz unterschied nach den ständen: centurionis vel satrapae corpus rogo propria nave constructo funerandum constituit; dena autem gubernatorum corpora unius puppis igne consumi praecepit; ducem quempiam aut regem interfectum proprio injectum navigio concremari. s. 87. Der todte Iarlmâgus wird von seiner witwe auf einem schif in ein heiliges land gebracht (Iarlm. saga cap. 45). Eine schwedische volkssage (Afzelius 1, 4) weiß von einem goldnen schif, das in Runemad beim schlüsselberge versenkt liege, auf diesem schif soll Ođin die erschlagnen von Bråvalla nach Valhall geführt haben. Im altfranz. roman Lancelot du lac, ed. 1591 p. 147 verfügt die demoiselle d'Escalot, wie es mit ihrem leichnam gehalten werden solle: le pria, que son corps fût mis en une nef, richement equippée, que l'on laisseroit aller au gré du vent sans conduite [Fußnote]. auch im roman von Gawan führt ein schwan einen nachen, worin ein todter ritter liegt. Kellers Romvart 670. Herschte der glaube, daß die leiche, preisgegeben dem heiligen meer und den winden von selbst einlaufen würde in das menschlicher führung unnahbare land des todes?
Hier werden die leichname übergeschift, in andern sagen bloß die von dem leib entbundnen seelen; es ist wieder der vorhin angemerkte unterschied (s. 690). ja der alte lebensmüde Flosi soll sich nach Nialssaga cap. 160 in ein schlechtes schif gelegt und den meereswogen überlassen haben: ›bar â skip ok lêt î haf, ok hefir til þess skips aldri spurt sîđan‹.
Nach dem griechischen glauben fährt Charon die seelen in einem schmalen, zweirudrigen boot, über den Styx, Acheron oder Cocytus in das reich der unterwelt. er empfängt dafür ein fährgeld τὰ πορθμία und darum legte man den todten einen obolos (die δανάκα) in den mund [Fußnote]. Diese sitte dem leichnam eine kleine münze in den mund zu legen kommt auch unter Deutschen vor, vgl. abergl. no. 207, wo ihr ein späterer falscher grund untergeschoben ist: ursprünglich sollte das geld nichts anders sein als jenes naulum.
In stürmischer nacht weckt eine mönchsgestalt einen schlaftrunknen schiffer, legt ihm fährlohn in die hand und verlangt über den strom gebracht zu werden. erst steigen sechs mönche in den nachen, kaum aber ist er gelöst und auf der flut, als ihn plötzlich eine menge schwarzer und weißer herren füllt und der fährmann fast keinen raum für sich behält. mit mühe rudert er hinüber, die ladung steigt und das fahrzeug wird von jähem sturm zurückgeworfen an die stelle der abfahrt, wo schon wieder neue reisende harren, welche den kahn einnehmen, und deren vorderster mit eiskalten fingern dem schiffer den fährgroschen in die hand drückt. die rückfahrt des schifs erfolgt auf dieselbe gewaltsame weise [Fußnote]. Ähnliches, minder vollständig, wird erzählt von mönchen, die nachts bei Speier über den Rhein fahren [Fußnote]. In beiden geschichten ersieht man keinen zweck des überschiffens: es scheinen uralte heidnische erinnerungen, die um nicht ganz zu erlöschen sich veränderten [Fußnote].
Procop de bello goth. 4, 20 (ed. bonn. 2, 567) von der insel Brittia redend meldet eine sage, die er selbst öfters aus dem mund der einwohner vernommen hatte. Sie glauben, daß die seelen verstorbner menschen nach jener insel übergefahren werden. am ufer des festen landes wohnen unter fränkischer oberherschaft, aber von alters her aller abgaben entbunden, fischer und ackerleute denen es obliegt die seelen überzuschiffen [Fußnote]. das amt geht der reihe nach um. welchen es in jedweder nacht zukommt, die legen sich bei einbrechender dämmerung schlafen. mitternachts hören sie an ihre thüre pochen und mit dumpfer stimme rufen. Augenblicklich erheben sie sich, gehen zum ufer, und erblicken dort leere nachen, fremde, nicht ihre eigne, besteigen sie, greifen das ruder und fahren. dann merken sie den nachen gedrängt voll geladen, so daß der rand kaum fingerbreit über dem wasser steht. Sie sehen jedoch niemand, und landen schon nach einer stunde, während sie sonst mit ihrem eignen fahrzeug nacht und tag dazu bedürfen. In Brittia angelangt, entlädt der nachen sich alsogleich und wird so leicht, daß er nur ganz unten die flut berührt. weder bei der fahrt noch beim aussteigen sehen sie irgendwen, hören aber eine stimme jedem einzelnen namen und vaterland laut abfragen. schiffen frauen über, so geben diese ihrer gatten namen an.
Brittia liegt dem Procop 2, 559 nicht weiter als 200 stadien oder 5 deutsche meilen von der küste, zwischen Britannia und Thule, der Rheinmündung gegenüber, drei völker, Angeln, Friesen und Britten wohnen auf ihr. unter Britannien versteht er die westliche küste des gallischen festlandes (?), deren eines ende noch jetzt Bretagne heißt, die sich aber im 6 jh. weiter über die spätere normandische und flandrischfriesische gegend bis zur mündung der Schelde und des Rheins hin ausdehnte; Brittia ist ihm Großbritannien, Thule Scandinavien.
An welcher stelle die todtenüberfahrt, ob sie längs der ganzen gallischen küste statt hatte? lasse ich unentschieden. nach Villemarqué (barzas brciz 1, 136) war sie an Armorikas fernster spitze, bei Raz, wo eine bucht der seelen (baie des ames, boé ann anavo) liegt. In Bretagne, am flusse Treguier in der gemeinde Plouguel soll auf den heutigen tag die sitte herschen, die leichname in einem nachen nach dem kirchhof über einen kleinen arm des meers, passage de l'enfer genannt, zu schiffen, statt sie den kürzeren landweg dahin zu tragen; und in ganz Armorica glaubt das volk überdem, die seelen der verstorbnen begeben sich im augenblick ihrer trennung zu dem pfarrer von Braspar, dessen hund sie nach Großbritannien geleite; in der luft hört man die räder des wagens knarren, der mit seelen überladen ist, ein weißes tuch deckt ihn, er heißt carr an ancou, carrikel an ancou, seelenwagen [Fußnote]. Lauter volksmäßige abweichungen. es war den Christen nicht mehr gestattet, ihre leichen nach der insel überzufahren: wenigstens bringen sie sie noch zu wasser nach dem kirchhof und lassen, in ihrer tradition, die überfahrt statt im schif durch die luft (wie beim wütenden heer) auf einem wagen vor sich gehn. Nähere forschungen müsten lehren, ob sich in der Normandie, in Flandern und Friesland ähnliche sagen erhalten haben? mir fällt dabei wieder jenes Helium und Helvoet (s. 262. 670) ein.
Procops nachricht wiederholt im 12 jh. Tzetzes zum Lycoph. 1204, aber schon früher, im beginn des fünften wuste Claudian (in Rufinum 1, 123–133) daß jene gallischen ufer ein sammelplatz der wandernden seelen seien:
est locus, extremum qua pandit Gallia littus,
oceani praetentus aquis, ubi fertur Ulixes
sanguine libato populum movisse silentem.
illic umbrarum tenui stridore volantum
flebilis auditur questus. simulacra coloni
pallida, defunctasque vident migrare figuras.
von der gegend liege Britannien, das land der Senonen und der Rhein nicht fern. dies leise rauschen der fliegenden seelen stimmt fast zu dem luftwagen der Bretagner. Die britischen barden lassen die seelen, um in die unterwelt zu gelangen, durch den weiher der angst und der gebeine, durch das thal des todes in das meer schiffen, an dessen gestade sich der mund des höllenabgrundes öfnet [Fußnote] [Fußnote]. Ein nordengl. lied, das man sonst bei der leichenwache sang, nennt ›the bridge of dread, no brader than a thread‹ (die angstbrücke nicht breiter als ein drath), über welche die seele in der unterwelt zu schreiten hat. (J. Thoms anecd. and trad. s. 89. 90). diese brücke erwähnt auch die legende von Tundalus (Hahns ausg. s. 49. 50). die seele muß eine gestolne kuh darüber treiben [Fußnote].
Gleichen sinn zu haben mit der reise der seelen zu schif über den strom oder das gewässer der unterwelt scheint es, wenn sie die brücke des stroms überschreiten. Merkwürdig sind die worte der brückenhüterin zu Hermôđr: ›unter dir einem (lebendigen) tönt meine brücke mehr, als unter den fünf haufen todter männer, die gestern darüber ritten‹. Sn. 67. Ich finde darin die größte ähnlichkeit mit dem sachten getrippel der fortziehenden zwerge über die brücke, mit ihrer überschiffung in dem nachen (s. 228. 380), und die verwandtschaft der seelen mit den elbischen wesen zeigt sich auf das deutlichste. Als die zwerge aus dem Voigtland zogen, setzten sie eine ganze nacht hindurch über die Elster (Jul. Schmidt p. 143. 148). bei ihrem abzug vom Harz war man übereingekommen, daß sie über eine schmale brücke bei Neuhof gehen und jeder in ein aufgestelltes gefäß einen zoll werfen, aber kein landeseinwohner zugegen sein sollte. neugierige standen unter der brücke und hörten stundenlang ihr getrappel, als gienge eine heerde schafe darüber (deutsche sagen no. 152. 153). Auch der geldzoll gemahnt an das fährgeld der seelen. Und zu allem dem halte man nun die fabel von dem nachts im kahn überschiffenden alb (deutsche sag. no. 80). Jene drathschmale angstbrücke ist aber wieder eine verwandte idee und berührt sich noch mit der eisernen schwertbrücke, über welche die aus schlafenden menschen gegangne seele schreitet [Fußnote].
Genaue untersuchung der vielfachen leichengebräuche bei europäischen völkern, die ich hier nicht beabsichtige, würde noch mehr aufschlüsse über die altheidnischen vorstellungen vom wesen der seele und ihrem schicksal nach dem tode gewähren. So wurde den leichen, außer dem fährgeld und dem schif, auch ein besondrer todtenschuh, altn. helskô, zum antritt der langen wanderung mitgegeben und an die füße gebunden. in der Gisla Surssonarsaga heißt es: þat er tîđska at binda mönnum helskô, sem menn skulo â gânga til Valhallar, ok mun ek Vesteini þat giöra [Fußnote]. W. Scott (minstrelsy 2, 357) führt einen aberglauben aus Yorkshire an: ›they are of beliefe, that once in their lives it is good to give a pair of new shoes to a poor man, for as much, as after this life they are to pass barefoote through a great launde, full of thornes and furzen, except by the meryte of the almes aforesaid they have redemed the forfeyte; for at the edge of the launde an oulde man shall meet them with the same shoes that were given by the partie when he was lyving, and after he hath shodde them, dismisseth them to go through thick and thin, without scratch or scalle.‹ das land, wodurch die seele wandern muß, heißt auch whinny moor (der pfriemen sumpf, whin ist gleichviel mit furz, ginster, pfrieme). Thoms a. a. o. 89. Im Hennebergischen und vielleicht an andern orten nennt man noch jetzt die dem verstorbnen erwiesne letzte ehre den todtenschuh (Reinwald 1, 165) ohne daß der gebrauch selbst fortdauerte, ja das leichenmal wird so geheißen. recht heidnisch klingt und dem kriegerischen sinn des alterthums angemessen, was Burkard von Worms p. 195c berichtet: quod quidam faciunt homini occiso cum sepelitur. dant ei in manum unguentum quoddam, quasi illo unguento post mortem vulnus sanari possit, et sic cum unguento sepeliunt [Fußnote]. in gleicher absicht wurden mit den leichen knechte, pferde und hunde verbrannt, deren sie sich im künftigen leben bedienen könnten. könig Ring ließ den könig Harald in einem großen hügel beisetzen, das pferd tödten, auf dem er in Bråvallaschlacht geritten hatte und den sattel mit begraben, daß er nach Walhalla reiten könne. Man glaubte, abfahren der leiche auf einem nicht hergebrachten wege (d. h. auf anderm als dem hellwege s. 669) schade der seele der verstorbnen. Ledeburs archiv 5, 369 [Fußnote].
In den dichtungen des mittelalters wird verschiedentlich ein streit der engel und teufel um die ausfahrende seele geschildert; beide wollen sie in empfang nehmen. an der engel spitze steht ein erzengel, gewöhnlich Michael, der, wie wir cap. XXVIII sehn werden, auch die seelen zu wägen beauftragt ist; zuweilen wird er Cherubim genannt. ›vor dem tievel nam der sêle war der erzengel Kerubîn‹. Wh. 49, 10.
lâzâ lâzâ tengeln!
dâ wart von den engeln
manec sêle empfangen
ê der strît was zegangen.
daz weinete manec amie:
von wolken wart nie snîe
alsô dicke sunder zal
beidiu ûf bergen und ze tal,
als engel unde tievel flugen,
die dô ze widerstrîte zugen
die sêle her und widere,
d' einen ûf, die ander nidere. Geo. 1234.
der engelfürste Michahêl.
empfienc des marcgrâven sêl
und manec engel liehtgevar,
die kâmen mit gesange dar
und fuorten in vrœliche
inz schœne himmelrîche. Geo. 6082. vgl. Diut. 1, 470.
im Brandan (bei Bruns s. 192. 193) heißt es: ›de duvele streden umme de sêle mit sunte Michaêle‹; vgl. fundgr. 1, 92.
gebt mir eine gâbe,
daz des küniges sêle
von sante Michahêle
hiute gecondwieret sî. gute frau 2674;
Michael ist in Mercurs oder der Walchure amt getreten. er heißt in einer urkunde des 13 jh. (MB. 7, 371) praepositus paradisi et princeps animarum. Eine noch wichtigere stelle, worauf ich schon s. 369 gewiesen habe, findet sich Morolt 28a. b, hier treten drei schaaren, die schwarze, weiße und bleiche auf: ›den strît mahtu gerne schouwen, dens umb die sêle suln hân‹. Auch die älteren franz. dichter beschreiben ähnliches, vgl. Méon 1, 239. 4, 114. 115. 3, 284.
Und schon im 8. 9 jh. gleich zu eingang des bruchstücks von Muspilli:
wanta sâr sô sih diu sêla in den sind arhevit
enti sî den lîhhamun likkan lâzit,
sô quimit ein heri fona himilzungalon
daz andar fona pehhe; dar pâgant siu umpi.
ich habe s. 349 gezweifelt ob dieser ›pâc umpi dia sêla‹ zwischen dem heer des himmels und der hölle aus christlicher überlieferung stamme. zwar der brief Judae v. 9 erzählt von einem zank des erzengels Michael und der teufel um den leichnam Mose [Fußnote], und daraus scheint wenigstens jener christliche vorkämpfer, Michael, herzuleiten. eifersucht und streit über die theilung der seelen kann aber auch schon als heidnische vorstellung angenommen werden, da sich im Norden Ođinn, Thôrr und Freyja, jedes gewisse theile der gefallnen aneigneten. Freyja ist s. 50 und 253 mit Gertrud zusammengestellt worden: etliche sprechen, wenn sich die seele von dem leichnam scheide, sei sie die erste nacht bei sanct Gerdraut, die zweite bei sanct Michael, die dritte da, wo sie hin verdient habe (abergl. F. 24). da nun Michael im weltkampf den Antichrist erlegt (s. 676), mit Surtr aber Ođinn und Thôrr streiten, so lassen sich Gerdrut und Michael füglich in Frowa, Wuotan (oder Donar) zurückübersetzen. auch s. 164 wurde mons sancti Michaelis auf Wuotan oder Zio gedeutet [Fußnote]
got sante eine engellische schar,
die nâmen dô der sêlen war;
si empfiengen an der selben stunde
iegelîches sêle von sînem munde
unde vuorten wirdecliche
si in daz êwige himelrîche. Oswalt 3097. 3455.
aus jedem sterbenden alten nehmen die engel die seele als ein kind (anm. 2270). ir engel vil wol wisten, war ir sêle solten komen. kl. 922. die engel freuen sich, wenn Christen, die teufel, wenn Heiden im kampfe fallen, weil sie deren seelen holen. Türl. Wh. 22b. 23a. zwei jünglinge (engel) und zwei schwarze teufel sitzen am bett des todten. Grieshaber 1, 93. engel und teufel nehmen der schächer seele. Mones schausp. 2, 321. 322. Die seele herbergt zuerst bei S. Gerdrud, dann fährt sie über das lebermeer. Gryse Ee 1111b. vgl. Gefken catal. s. 54.
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Nach einem irischen märchen führen die geister des stillen volks am kreuzweg drei nächte langen heftigen streit, auf welchem kirchhof eine menschliche leiche begraben werden solle [Fußnote]. wie also die elbe und zwerge lebende kinder und jungfrauen stehlen (s. 386–388), scheint ihnen auch an den leichen und seelen der menschen gelegen. seelen ertrunkner hält der wassermann in seinem haus (s. 411).
Dies alles leitet zu einer näheren betrachtung der vorstellungen von dem tod.