Volle sieben glückliche Jahre bin ich Herrin von Bleakhaus gewesen. Die wenigen Worte, die ich dieser Niederschrift noch hinzuzufügen habe, sind bald geschrieben. Dann werde ich das Buch schließen und von den Freunden und Freundinnen, für die ich schreibe, für immer scheiden. Nicht ohne manche teure Rückerinnerung meinerseits, und nicht ohne so manche, hoffe ich, ihrerseits.
Sie legten mir meinen schönen Liebling ans Herz, und viele Wochen lang verließ ich meine liebe Ada auch nicht einen Tag. Der Säugling, auf den sie so viel Hoffnung gesetzt, kam zur Welt, ehe der Rasen seines Vaters Grab bedeckte. Es war ein Knabe; mein Mann, mein Vormund und ich gaben ihm den Namen Richard.
Die Hilfe, auf die meine liebe Ada so gebaut, wurde ihr zuteil, wenn auch von der ewigen Allweisheit zu einem andern Zweck bestimmt. Als ich sah, wie die kleine schwache Hand des Kindchens mit seiner Berührung das wunde Herz meiner lieben Ada genesen machte und wieder Hoffnung in ihr aufkeimen ließ, fühlte ich in einer neuen Bedeutung die Güte und Barmherzigkeit Gottes walten.
Allmählich sah ich meine Herzens-Ada in meinen ländlichen Garten kommen und dort, mit dem Kinde auf dem Arm, umherwandeln. Ich war nun verheiratet und die Glücklichste der Glücklichen.
Um jene Zeit kam mein Vormund zu uns und fragte Ada, wann sie zu ihm kommen würde.
»Beide Häuser sind jetzt dein Heim, mein Kind«, sagte er, »aber das ältere Bleakhaus hat den Vorrang. Wenn du und dein Knabe kräftig genug sind, kommt ihr und nehmt Besitz von ihm.«
Ada nannte ihn ihren lieben, teuern Vetter John; aber er bat sie, in ihm ihren Vormund zu sehen. Und er war von da an ihr und dem Knaben ein Vormund und fühlte sich glücklich, sich so nennen zu hören. So nannte sie ihn denn Vormund und hat ihn seitdem stets so genannt. Die Kinder kennen ihn unter keinem andern Namen – ich sage die Kinder, denn ich habe zwei kleine Töchter.
Es ist kaum zu glauben, daß Charley, die immer noch runde Augen macht und immer noch schwach in der Grammatik ist, mit einem Müller unsrer Gegend verheiratet ist, und doch ist es wahr. Selbst jetzt, in diesem Augenblick, wenn ich von meinem Schreibtisch im Morgensonnenschein zum Fenster hinausschaue, sehe ich, wie ihre Mühle zu gehen anfängt. Ich hoffe nur, der Müller verdirbt mir Charley nicht, denn er hat sie sehr gern. Charley ist etwas eitel seinetwegen, denn er hat sein gutes Auskommen, und es war ein großes Gereiße um ihn. Was die Erinnerung an die Zeit, wo sie meine kleine Zofe war, betrifft, so möchte ich fast meinen, daß die Zeit sieben Jahre lang ebenso still gestanden haben müßte wie die Mühle noch vor einer halben Stunde, denn die kleine Emma, Charleys Schwester, ist ganz ihr früheres Ebenbild. Wie weit es Tom, Charleys Bruder, in der Schule im Rechnen gebracht hat, wage ich nicht zu entscheiden, aber ich glaube, bis zu den Dezimalbrüchen. Aber wie weit es auch gewesen sein mag, jedenfalls ist er jetzt Lehrling bei dem Müller und ein guter, schüchterner Junge, der immer in irgendein Mädchen verliebt ist und sich jedes Mal mächtig darüber schämt.
Caddy Jellyby verlebte die eben verflossenen Feiertage bei uns und war liebenswürdiger als je. Beständig tanzte sie mit den Kindern im Hause herum, als ob sie nie in ihrem Leben Lektionen gegeben hätte. Sie hat jetzt ihren eignen Wagen anstatt des gemieteten und ist von Newman-Street zwei ganze Meilen weiter westlich gezogen. Sie arbeitet sehr angestrengt, denn ihr Mann, ein vortrefflicher Gatte, ist gelähmt und kann nur sehr wenig tun. Dennoch ist sie zufriedener als je und kommt allen ihren Pflichten getreu und freudig nach. Mr. Jellyby verbringt seine Abende in ihrem neuen Hause und lehnt den Kopf an die Wand, genau wie im alten. Mrs. Jellyby soll lange Zeit sehr unter der Mesalliance und dem »entwürdigenden« Beruf ihrer Tochter gelitten haben, wie ich hörte, aber ich hoffe, sie hat sich mit der Zeit von ihrem Verdruß erholt. Mit Afrika hat sie Pech gehabt, denn das Unternehmen schlug fehl, weil der König von Borriobula-Gha jeden, den das Klima am Leben ließ, für Schnaps zu verkaufen strebte. Sie ist jetzt tätig, der Frau das Recht, im Parlamente zu sitzen, zu erwirken, und Caddy sagt mir, daß diese Mission einen noch größeren Briefwechsel nach sich zieht als die alte.
Fast hätte ich Caddys armes kleines Mädchen vergessen. Es ist nicht mehr so winzig klein, aber taubstumm. Ich glaube, es hat nie eine bessere Mutter gegeben als Caddy, die in ihren kargbemessenen Mußestunden unzählige Taubstummenkünste lernt, um dem Kinde sein Los erträglicher zu gestalten.
Als ob ich niemals mit Caddy fertig werden sollte, fallen mir hier Peepy und der alte Mr. Turveydro ein. Peepy ist beim Zollamte angestellt und befindet sich dabei außerordentlich wohl. Der alte Mr. Turveydrop, sehr apoplektisch geworden, trägt seinen Anstand immer noch in der Stadt spazieren, genießt das Leben auf die alte Weise und wird immer noch wie ehedem mit Ehrfurcht und gläubigen Auges angesehen. Er ist ein großer Gönner Peepys und soll ihm seine Lieblingsstutzuhr im Ankleidezimmer, die nicht ihm gehört, vermacht haben.
Mit dem ersten Gelde, das wir uns ersparten, bauten wir an unser hübsches Haus ein kleines Brummstübchen für meinen Vormund an, das wir dann, als er uns besuchen kam, mit großem Glänze einweihten. Ich versuche, alles das leichten Sinnes hinzuschreiben, weil mein Herz jetzt, wo es zu Ende geht, übervoll ist; aber wenn ich von ihm schreibe, treten mir immer wieder die Tränen in die Augen.
Nie kann ich ihn ansehen, ohne daß ich nicht im Geiste unsern armen, lieben Richard ihn einen guten Menschen nennen höre. Ada und ihrem hübschen Knaben ist er der zärtlichste Vater, mir, was er mir immer gewesen ist, und mit welchem Namen kann ich das ausdrücken! Er ist meines Mannes bester und teuerster Freund, er ist der Liebling unsrer Kinder, der Mittelpunkt unsrer innigsten Liebe und Verehrung. Aber trotzdem ich fast ein höheres Wesen in ihm sehe, bin ich doch so vertraut und unbefangen zu ihm, daß es mir fast wie ein Wunder vorkommt. Wir beide, sowohl er wie ich, haben unsre alten Namen noch, und wenn er bei uns zu Besuch ist, nehme ich keinen andern Platz als meinen alten auf dem Stuhle neben ihm ein. Mütterchen Hubbard, Frau Spinnweb, kleines Frauchen, so heißt es immer noch; und ich antworte: Ja, lieber Vormund, ganz wie früher.
Ich wüßte nicht, daß der Wind auch nur einen einzigen Augenblick aus Osten geweht hätte seit dem Tage, wo er mich an unsre Pforte, auf der das Wort Bleakhaus stand, geführt. Ich brachte einmal gelegentlich die Sprache darauf, daß jetzt niemals mehr Ostwind zu herrschen scheine, und er sagte: Nein, gewiß nicht; er habe seit jenem Tage aufgehört, aus dieser Himmelsrichtung zu wehen.
Ich glaube, mein Herzenskind ist schöner als je. Der Gram, der eine Zeit in ihrem Gesicht gelegen – er ist jetzt verschwunden –, scheint sogar seinen unschuldigen Ausdruck noch geläutert und ihm etwas Heiliges gegeben zu haben. Manchmal, wenn ich sie in ihrem Trauerkleid, das sie immer noch trägt, meinen Richard unterrichten sehe, kommt es mir vor – wie soll ich nur sagen –, als ob es gut wäre, zu wissen, daß sie ihrer lieben Esther in ihren Gebeten gedenkt.
Ich nenne ihn meinen Richard! Aber er sagt, er hätte zwei Mamas, und ich sei die eine.
Wir sind nicht reich an Geld, aber es ist uns stets gut gegangen, und wir haben, was wir brauchen. Nie gehe ich mit meinem Gatten aus, ohne zu hören, wie ihn die Leute segnen. Nie trete ich in ein Haus, vornehm oder gering, ohne sein Lob zu hören oder in dankerfüllten Augen zu lesen. Nie lege ich mich nachts nieder, ohne zu wissen, daß er im Laufe des Tages Schmerzen gelindert oder einem Nebenmenschen in seiner Not beigestanden hat. Ich weiß, daß von dem Lager hoffnungslos aufgegebener Kranker oft in Sterbestunden ein Dankgebet für seine geduldige Pflege zum Himmel geschickt worden ist. Heißt das nicht reich sein?
Die Leute preisen mich, bloß weil ich seine Frau bin! Sogar mich haben die Leute gern, wenn ich zu ihnen komme, und machen soviel Aufhebens mit mir, daß ich mich ordentlich schäme. Und das verdanke ich alles ihm, meinem Geliebten, meinem Stolz! Sie haben mich seinetwegen gern, wie ich alles, was ich auf Erden tue, seinetwegen tue.
Vor ein oder zwei Abenden, nachdem ich für meine Herzens-Ada und für meinen Vormund und den kleinen Richard, die morgen kommen, allerlei vorgerichtet hatte, saß ich vor der Tür, die ich in so teuerm Andenken halte, als Allan nach Hause kam. Er sagte: »Nun, mein kleines Frauchen, was machst du hier?« und ich erwiderte, »der Mond scheint so hell, und die Nacht ist so köstlich, daß ich mich hergesetzt und nachgedacht habe.«
»Und worüber hast du nachgedacht, mein Schatz?«
»Wie neugierig du bist. Ich schäme mich fast, es zu sagen, aber du sollst es wissen. Ich habe an mein altes Gesicht gedacht, wie es früher war.«
»Und was hast du davon gedacht, mein kleines fleißiges Bienchen?« fragte Allan.
»Ich habe mir gedacht, daß ich für unmöglich hielte, du könntest mich mehr lieben, selbst wenn ich mein altes Gesicht behalten hätte.«
»Wie es früher war?« sagte Allan lachend.
»Natürlich, wie es früher war.«
»Mein liebes Mütterchen«, fragte Allan und zog meinen Arm durch den seinen, »schaust du manchmal in den Spiegel?«
»Du weißt, daß ich es tue; du siehst es ja.«
»Und du weißt nicht, daß du hübscher bist als je?«
Ich wußte es nicht; ich weiß nicht einmal, ob ich es jetzt weiß. Aber ich weiß, daß meine lieben Kleinen sehr hübsch sind, und daß meine Herzens-Ada sehr schön ist, und daß mein Mann sehr hübsch ist, und daß das Gesicht meines Vormundes von Heiterkeit und Herzensgüte strahlt wie kein andres auf der Welt, und daß sie sehr gut ohne viel Schönheit bei mir auskommen können – selbst vorausgesetzt –.