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6-Viertes Kapitel. Ich falle in Ungnade.
日期:2013-11-09 17:30  点击:212
Wenn die Stube, in der jetzt mein Bett stand, ein Wesen mit Bewußtsein wäre, und Zeugnis ablegen könnte, so möchte ich sie heute – wer mag wohl jetzt dort schlafen? – auffordern, zu sagen, mit wie schwerem Herzen ich zu ihr hineintrat. Wie ich die Treppe hinaufging, hörte ich den Hund hinter mir her bellen, und drinnen sah ich die Stube eben so verständnislos und befremdlich an, wie sie mich, und ich setzte mich, die kleinen Hände gefaltet, nieder und sann.
Ich dachte an die seltsamsten Sachen: an die Form des Zimmers, an die Sprünge an der Decke, an die Tapeten an den Wänden, an die Blasen und Höcker im Fensterglas, die alle Gegenstände draußen wunderlich verzerrten und verschoben, an den Waschtisch, der auf seinen drei Beinen wackelte und etwas Unzufriedenes hatte, was mich an Mrs. Gummidge erinnerte, wenn sie wieder an den Alten dachte. Dabei weinte ich die ganze Zeit über, aber ich weiß gewiß, daß ich außer die Empfindung von Kälte und Verlassenheit zu haben, keinen Augenblick daran dachte, warum ich weinte. Ich fing endlich in meiner Einsamkeit an zu denken, daß ich schrecklich verliebt in die kleine Emilie sei, und daß man mich gewaltsam von ihr getrennt habe, um mich hierher zu bringen, wo sich niemand halb so sehr wie sie um mich zu kümmern schien. Das machte mich vollends so unglücklich, daß ich mich in einen Teil der Bettdecke einwickelte und mich in Schlaf weinte.
Ich wachte auf, als jemand sagte: »Da ist er ja!« und meinen brennenden Kopf aufdeckte. Meine Mutter und Peggotty hatten mich gesucht, und eine von beiden war es gewesen.
»Davy«, sagte meine Mutter. »Was fehlt dir.«
Es kam mir seltsam vor, daß sie mich fragte, und ich antwortete: »Nichts.« Ich besinne mich auch noch, ich legte mich wieder aufs Gesicht, damit sie meine zitternden Lippen nicht sähe, die ihr wahrere Auskunft gegeben hätten. »Davy«, sagte meine Mutter. »Davy, mein Kind!«
Ich kann wohl sagen, kein Wort konnte mich damals mehr rühren, als daß sie mich, Kind nannte. Ich verbarg meine Tränen im Bettzeug und drängte mein Mutter mit der Hand von mir weg, als sie mich emporheben wollte.
»Daran bist du schuld, Peggotty, du grausames Mädchen!« sagte meine Mutter. »Ich zweifle nicht im geringsten daran. Wie kannst du das mit deinem Gewissen abmachen, mein eigenes Kind gegen mich aufzuhetzen, oder gegen jemand, den ich lieb habe? Was soll das heißen,, Peggotty?«
Die arme Peggotty. erhob beteuernd Hände und Augen und antwortete nur mit einer Art Umschreibung des Gebets, das ich nach dem Essen hersagte: »Gott verzeihe Ihnen, Mrs. Copperfield, was Sie diesen Augenblick gesagt haben, und mögen Sie es niemals ernstlich bereuen!«
»Es ist rein zum Wahnsinnigwerden«, rief meine Mutter. »Und noch dazu in meinen Flitterwochen, wo mein bitterster Feind Erbarmen und Einsicht haben und mir das bißchen Ruhe und Glück nicht mißgönnen sollte! Davy, du ungezogenes Kind! Peggotty, du unbarmherziges Geschöpf! Ach Gott, ach Gott!« rief meine Mutter, sich bald an mich, bald an Peggotty wendend, »was ist das für eine schlimme Welt, gerade wenn man das höchste Recht hätte, zu erwarten, daß sie so angenehm wie möglich sei!«
Ich fühlte die Berührung einer Hand, der ich sogleich anmerkte, daß es weder meiner Mutter noch Peggottys Hand war, und schlüpfte rasch bis ans Fußende des Bettes. Es war Mr. Murdstone, der seine Hand auf meinem Arm ruhen ließ, als er sagte:
»Was ist das? Liebe Klara, hast du es vergessen? – Festigkeit, meine Liebe!«
»Es tut mir recht leid, Eduard!« begann meine Mutter. »Es sollte recht gut gehen, aber nun ist alles so unbehaglich!« »Wirklich?« erwiderte er. »Das ist schlimm, Klara, und schon gleich im Anfang!«
»Es ist recht grausam, daß es mich jetzt so treffen muß«, sagte meine Mutter schmollend. »Sehr, sehr hart, nicht wahr?«
Er zog sie an sich, flüsterte ihr etwas ins Ohr und küßte sie. Als ich sah, daß meine Mutter ihren Kopf an seine Schulter legte und ihr Arm seinen Hals berührte, da wußte ich damals schon, daß er ihrem weichen Charakter jede beliebige Form geben konnte, wie ich es jetzt weiß, daß er es getan hat!
»Geh hinunter, liebes Kind!« sagte Mr. Murdstone- »David und ich werden nachher auch hinunter kommen.«
»Meine Gute«, sagte er mit einem finstern Gesicht zu Peggotty, als er meine Mutter an die Tür begleitet und sich mit einem Nicken und einem Lächeln verabschiedet hatte. »Wissen Sie den Namen Ihrer Herrin?« ,
»Sie ist seit langer Zeit meine Herrin, Sir«, erwiderte Peggotty. »Ich sollte ihn wissen.«
»Das ist richtig«, antwortete er, »Aber mir kam es vor, wie ich die Treppe herauf kam, als ob Sie meine Frau mit einem Namen anredeten, der nicht der ihrige ist. Sie werden aber wissen, sie trägt jetzt den meinen. Vergessen Sie das nicht.«
Mit einem besorgten Blick auf mich knickste Peggotty, ohne zu antworten, aus dem Zimmer, denn sie sah, man erwarte ihre Entfernung, und sie hatte keine Entschuldigung, zu bleiben. Als wir beide allein waren, machte er die Tür zu, setzte sich auf einen Stuhl, stellte mich aufrecht vor sich hin, während er mich immer noch am Arme hielt, und sah mir fest in die Augen. Ich fühlte die meinigen nicht weniger fest zu den seinigen hingezogen. Wenn ich mir zurückrufe, wie wir uns Auge in Auge gegenüberstanden, kommt es mir vor, als hörte ich noch einmal mein Herz schneller und lauter schlagen.
»David,« sagte er und preßte seine Lippen zusammen, »wenn ich ein ungehorsames Pferd oder einen störrischen Hund habe, was meinst du wohl, was ich mit ihnen mache?« »Das weiß ich nicht.«
»Ich prügle sie.«
Ich hatte ihm in einem schier tonlosen Geflüster geantwortet, aber ich fühlte, daß jetzt mein Atem ganz stockte.
»Ich schlage sie, daß sie sich krümmen. Ich sage zu mir, ich will diese Geschöpfe gehorchen lehren; und wenn's ihnen alles Blut in ihrem Leibe kosten sollte, fügen müßten sie sich doch. Was hast du im Gesicht?«
»Es ist Schmutz«, sagte ich.
Er wußte so gut wie ich, daß es die Spuren von Tränen waren. Aber wenn er mich zwanzigmal gefragt hätte, jedesmal mit zwanzig Hieben, so glaube ich doch, mein Kinderherz wäre eher zersprungen, als daß ich es gesagt hätte.
»Du bist ziemlich gescheit für einen kleinen Jungen«, sagte er mit seinem düstern Lächeln, wie es ihm eigen war, »und ich sehe, du hast mich recht gut verstanden. Wasche dir nun das Gesicht und komm mit mir hinunter.«
Er wies nach dem Waschtisch, der mir wie Mrs. Gummidge vorkam, und machte eine Bewegung mit seinem Kopf, die mich ohne Verzug gehorchen ließ. Ich zweifelte damals ebensowenig, und jetzt noch weniger, daß er mich ohne das geringste Erbarmen zu Boden geschlagen hätte, wenn ich nicht gehorcht hätte.
»Meine liebe Klara,« sagte er, als ich es auf sein Geheiß getan hatte und er, mich immer noch am Arm haltend, mit mir in die Wohnstube trat. »Du wirst hoffentlich keinen Verdruß in Zukunft haben. Wir wollen unser junges Freundchen bald bessern.«
Gott verzeihe mir's, aber ich hätte für mein ganzes Leben gebessert werden, ich hätte ein ganz anderer Mensch werden können, wenn man mir damals ein einziges freundliches Wort gesagt hätte, ein Wort der Ermutigung und der Aufklärung, ein Wort des Mitleids mit meiner kindischen Unwissenheit oder ein Wort der Bewillkommnung in der Heimat, ein Wort der Versicherung, daß das alte, mütterliche Haus noch ganz dasselbe sei, solcher Worte ein paar hätten mich zu einem gehorsamen Sohne gemacht, anstatt daß ich jetzt Gehorsam heuchelte, und hätten mich ihn achten anstatt hassen gelehrt. Mir kam es vor, als wenn es meiner Mutter wehe täte, mich so scheu und fremd im Zimmer stehen zu sehen, und daß sie, als ich nach einem Stuhle schlich, mir mit betrübten Blicken folgte: aber keines jener Worte wurde gesprochen, und die Gelegenheit dazu war bald vorüber.
Wir aßen allein, wir drei zusammen. Er schien meine Mutter sehr gern zu haben, und ich fürchte fast, er war mir deshalb nur um so mehr zuwider, – und sie war gleichfalls sehr zärtlich gegen ihn. Aus ihren Reden merkte ich, daß eine ältere Schwester meines Stiefvaters heute abend kommen und hier bleiben sollte, Ich weiß nicht, ob ich schon damals oder erst später entdeckte, daß er, ohne selbst ein Geschäft zu haben, einen Gewinnanteil an einer Weinhandlung in London hatte, die mit seiner Familie schon vom Urgroßvater her in Verbindung gestanden hatte und bei der seine Schwester in gleicher Weise beteiligt war; aber ich kann es gleich hier bemerken.
Als wir nach Tische vor dem Feuer saßen und ich auf eine Flucht zu Peggotty sann, ohne den Mut zu haben, fortzuschlüpfen, aus Furcht, den Herrn vom Hause zu erzürnen, fuhr ein Wagen vor der Gartentür vor, und Mr. Murdstone ging hinaus, den Besuch zu empfangen. Meine Mutter folgte ihm. Ich ging ihr schüchtern nach, und als sie sich in der Stubentür umdrehte und mich in der Dämmerung ans Herz drückte, wie sie es früher zu tun pflegte, flüsterte sie mir zu, ich solle meinen neuen Vater lieben und ihm gehorsam sein.
Sie tat dies in großer Eile und sehr geheimnisvoll, als ob es ein Unrecht wäre, aber voller Zärtlichkeit; dann gab sie mir ihre Hand und führte mich hinter sich her in den Garten, wo er stand. Hier ließ sie mich wieder los und legte ihren Arm in den seinen.
Der Ankömmling war Miß Murdstone: eine recht finster aussehende Dame. Sie war so schwarz wie ihr Bruder, dem sie in Gesicht und Summe sehr ähnelte, und hatte ganz buschige Augenbrauen, die über ihrer großen Nase fast zusammenliefen, als ob sie, durch die Schwäche ihres Geschlechts des Vorzugs eines Backenbarts beraubt, ihn über die Augen versetzt hätte. Sie brachte ein paar scharfkantige, ungefüge, schwarze Koffer mit, auf deren Deckel in harten Messingnägeln ihre Anfangsbuchstaben standen. Als sie dm Kutscher bezahlte, holte sie ihr Geld aus einer harten stählernen Börse, und sie trug die Börse in einem wahren Kerker von einem Strickbeutel, der an einer schweren Ketteln ihrem Arme hing und wie ein scharfes Gebiß auf- und zuschnappte. Ich hatte damals noch nie eine in allen Einzelheiten so harte metallene Dame gesehen, als Miß Murdstone eine war.
Sie wurde mit vielen Zeichen der Bewillkommnung in die Wohnstube geführt und erkannte hier förmlich meine Mutter als eine neue und nahe Anverwandte an. Dann fiel ihr Auge auf mich, und sie sagte:
»Ist das Ihr Junge, Schwägerin?«
Meine Mutter gab ein bejahendes Zeichen.
»Im allgemeinen kann ich Jungens nicht leiden«, sagte Miß Murdstone. »Wie geht dir's, Bube?«
Unter diesen entmutigenden Verhältnissen erwiderte ich, daß ich mich wohl befinde und daß ich von ihr das gleiche hoffe, aber mit so wenig Wärme, daß mich Miß Murdstone mit zwei Worten abfertigte:
»Schlechte Manieren!«
Nachdem sie dies ganz unverblümt festgestellt hatte, wünschte sie nach ihrem Zimmer gewiesen zu werden, das für mich von da an ein Ort der Scheu und des Grauens wurde, wo die beiden schwarzen Koffer stets verschlossen dastanden und wo (denn ich guckte ein- oder zweimal in ihrer Abwesenheit hinein) am Spiegel in Ehrfurcht gebietenden Reihen eine Menge kleiner Stahlkettchen und Pflöckchen hingen, mit denen sich Miß Murdstone zu schmücken pflegte. Soviel ich herausbringen konnte, war sie in der löblichen Absicht gekommen, uns niemals wieder zu verlassen! Schon am nächsten Morgen fing sie an, meiner Mutter zu »helfen«, und ging den ganzen Tag über in der Vorratskammer aus und ein, um alles zurechtzusetzen und die alte liebe Ordnung umzustürzen. Die erste bemerkenswerte Eigenschaft, die mir an Miß Murdstone auffiel, war die, daß sie beständig von dem Verdacht beherrscht war, die Dienstmädchen hätten irgendwo im Hause einen Mann versteckt. Von diesem Wahne besessen, stürzte sie zu den allerungewöhnlichsten Zeiten in den Kohlenkeller und öffnete kaum ein einziges Mal die Tür eines dunkeln Schrankes, ohne daß sie ihn wieder zuschlug in der Meinung, sie habe den Mann nun glücklich dann gefangen.
Obgleich Miß Murdstone nichts sehr Lustiges hatte, war sie doch in betreff ihres Aufstehens eine wahre Lerche. Sie war auf den Beinen (und ich glaube es heute noch, nur um den versteckten Kerl einmal zu finden), ehe sich, jemand im Hause regte. Peggotty war der Meinung, daß sie stets mit einem offenen Auge schliefe; aber ich konnte mich dieser Meinung nicht anschließen, denn ich hatte es selbst versucht, als sie diese Vermutung ausgesprochen hatte, und fand, daß es auf keine Weise möglich war.
Am allerersten Morgen nach ihrer Ankunft hörte man ihre Klingel schon mit dem ersten Hahnenschrei. Als meine Mutter zum Frühstück herunterkam und den Tee bereiten wollte, fuhr Miß Murdstone mit dem Mund nach ihrer Wange, was bei ihr einen Kuß bedeuten sollte, und sagte:
»Liebe Klara, Sie wissen ja, ich bin hergekommen, um Ihnen alle beschwerlichen Arbeiten abzunehmen, die ich nur abnehmen kann. Sie sind viel zu hübsch und flattersinnig« – meine Mutter errötete, lachte und schien sich diese Charakterisierung nicht ungern gefallen zu lassen – »als daß Ihnen Pflichten auferlegt werden dürften, die ich erfüllen könnte. Wenn Sie so gut sein wollen, mir Ihre Schlüssel zu geben, meine Liebe, so will ich alles das in Zukunft selber besorgen.« Von dieser Zeit an hielt Miß Murdstone die Schlüssel den Tag über in ihrem Beutelverlies und die Nacht über unter ihrem Kopfkissen und meine Mutter hatte also fortan nicht mehr damit zu tun als ich selbst.
Meine Mutter ließ sich jedoch ihre Herrschaft nicht ohne den Versuch eines leisen Widerstandes rauben. Eines Abends, als Miß Murdstone ihrem Bruder gewisse Haushaltungspläne entwickelt hatte, denen er seine Zustimmung gab, fing meine Mutter an zu weinen und sagte, man hatte sie doch wohl auch zu Rate ziehen können.
»Klara!« versetzte Mr. Murdstone streng. »Klara, ich muß mich ungemein über dich wundern.«
»Ach, du hast gut von Wundern sprechen, Eduard!« rief meine Mutter »und du hast sehr gut von Festigkeit sprechen, aber du würdest dir dies selbst nicht gefallen lassen.«
Ich will bei dieser Gelegenheit bemerken, daß Festigkeit die große Eigenschaft war, auf die Mr. und Miß Murdstone mit bedeutendem Nachdruck fußten. Wie ich damals den Begriff dieses Wortes erläutert hätte, wenn jemand auf den Gedanken gekommen wäre, mich danach zu fragen, weiß ich nicht; aber jedenfalls sah ich in meiner Weise vollkommen ein, daß es nur ein anderer Name für Tyrannei war und für einen gewissen finstern, anmaßenden knechtungsfrohen Zug, die in beiden lag. – Die Sache verhielt sich, wie ich sie mir heutzutage zurechtlege, so: Mr. Murdstone war »fest«; niemand auf der Welt war so fest wie er. Niemand in seiner speziellen Welt war überhaupt fest, denn seiner Festigkeit mußte sich alles unterjochen. Nur Miß Murdstone durfte davon eine Ausnahme bilden. Sie durfte zwar auch fest sein, aber nur in geringerem, mehr abhängigem Grade, gleichsam nur infolge ihrer Verwandtschaft mit ihm. Meine Mutter sodann war die zweite Ausnähme. Sie durfte und sollte auch »fest« sein, aber nur in der Art, daß sie die Festigkeit dieser beiden Tyrannen ertrug, und fest glauben sollte, es gebe sonst keine andere Festigkeit auf Erden. »Es ist sehr hart,« sagte meine Mutter, »daß ich in meinem eigenen Hause –«
»In meinem eigenen Hause?« wiederholte Mr. Murdstone vorwurfsvoll. »Klara!«
»In unserm eignen Hause meine ich«, stotterte meine Mutter ganz eingeschüchtert – »du weißt ja, was ich meine, Eduard – es ist sehr hart, daß ich in deinem eignen Hause nicht ein Wort über häusliche Angelegenheiten haben soll. Ich habe recht gut gewirtschaftet, bevor wir uns heirateten, das glaube mir! Ich habe Zeugen,« sagte meine Mutter schluchzend; »frage Peggotty, ob es nicht recht gut ging, wenn man mich allein machen ließ.«
»Eduard, wir wollen der Sache ein Ende machen«, sagte Miß Murdstone. »Ich reise morgen ab.«
»Jane Murdstone,« sagte ihr Bruder, »schweig! Wie kannst du dir erlauben, meinen Charakter nicht besser zu kennen, als deine Worte andeuten?«
»Ich will gewiß niemand verdrängen«, sagte meine arme Mutter unter vielen Tränen. »Es würde mich sehr unglücklich machen, wenn jemand fortgehen sollte. Ich verlange nicht viel. Ich mache keine unvernünftigen Forderungen, man soll mich nur manchmal zu Rate ziehen. Ich bin jedem dankbar, der mir beisteht, und ich verlange nur, daß man mich manchmal der Form wegen zu Rate zieht. Ich dachte, es hätte dir früher gefallen, daß ich ein wenig unerfahren, und fast wie ein halbes Kind war, Eduard – gesagt hast du das – aber du scheinst mich deshalb jetzt nicht leiden zu können, denn du bist so streng gegen mich.«
»Eduard«, sagte Miß Murdstone wieder. »Wir wollen der Sache ein Ende machen. Ich reise morgen.«
»Jane Murdstone«, donnerte Mr. Murdstone. »Willst du schweigen? Wie kannst du so etwas sagen?«
Miß Murdstone riß ihr Taschentuch aus dem kerkerartigen Beutel, in dem es in Verwahrsam lag, und hielt es sich vor die Augen. »Klara«, fuhr er fort und sah meine Mutter an, »du setzt mich wirklich in Verwunderung! Ja, ich fand Freude an dem Gedanken, ein unerfahrenes argloses Mädchen zu heiraten und seinen Charakter zu bilden und ihm etwas von der Festigkeit und Entschiedenheit zu geben, die ihm fehlten, und die er haben muß. Aber wenn Jane Murdstone so gütig ist, mir in diesem Unternehmen beizustehen, und sich meinetwegen zu einer Stellung gleich der einer Haushälterin herabläßt und dafür schlechten Dank erntet –«
»O bitte, bitte, Eduard,« rief meine Mutter, »beschuldige mich nicht des Undanks. Ich bin gewiß nicht undankbar. Das hat mir noch niemand gesagt. Ich habe viele Fehler, aber nicht diesen. O bitte, lieber Mann!«
»Wenn Jane Murdstone, sage ich,« fuhr er fort, nachdem er gewartet hatte, bis meine Mutter schwieg, »schlechten Dank dafür erntet, so erkältet und verändert sich dieses Gefühl in meinem Herzen.«
»O bitte, lieber Mann, sage das nicht!« flehte meine Mutter ganz erweicht. »O bitte, Eduard! Ich kann es nicht hören. Wie ich auch immer sein mag, ich habe ein liebevolles Herz. Ich weiß, ich habe ein liebevolles Herz. Ich würde es nicht sagen, wenn ich es nicht genau wüßte. Frage Peggotty. Sie wird es gewiß bestätigen, daß ich liebevoll bin!«
»Bloße Schwäche, wie groß sie auch sein mag, hat bei mir nicht das mindeste Gewicht, Klara«, erwiderte Mr. Murdstone. »Du verschwendest nur Worte.«
»Komm, wir wollen uns wieder versöhnen«, sagte meine Mutter. »In Unfreundlichkeit oder Kälte kann ich nicht leben. Es tut mir so herzlich leid. Ich habe sehr viele Fehler, das weiß ich, und es ist sehr freundlich von dir, Eduard, daß du dir mit deinem starken Charakter die Mühe gibst, mich zu bessern. Jane, ich mache gar keine Einwendungen mehr. Es würde mich ganz unglücklich machen, wenn Sie noch ein einziges Mal ans Abreisen dächten«, – meine Mutter konnte nicht weiter sprechen; sie war zu sehr gerührt. »Jane Murdstone,« sagte Mr. Murdstone zu seiner Schwester, »harte Worte sind zwischen uns selten. Es ist nicht meine Schuld, daß sich heute ein so ungewöhnlicher Vorfall ereignet hat. Jemand anders hat mich dazu fortgerissen. Aber es ist auch nicht deine Schuld. Auch dich hat jemand anders dazu hingerissen. Wir wollen beide suchen, es zu vergessen. Und du, David, geh zu Bett«, setzte er nach diesen großmütigen Worten hinzu, »denn das ist kein geeignetes Schauspiel für den Knaben da!«
Ich konnte kaum die Tür finden, so voll standen meine Augen von Tränen. Ich fühlte meiner Mutter Schmerz so tief, aber ich schlich hinaus und tappte im Dunkeln die Treppe hinauf in mein Schlafstübchen, ohne auch nur das Herz zu haben, Peggotty gute Nacht zu sagen oder mir ein Licht geben zu lassen. Als sie vielleicht eine Stunde später hereintrat, um nach mir zu sehen, wachte ich darüber auf. Sie sagte, meine Mutter sei sehr betrübt zu Bett gegangen und Mr. und Miß Murdstone saßen unten noch allein.
Am nächsten Morgen ging ich etwas zeitiger hinunter als gewöhnlich und blieb draußen vor der Stubentür stehen, als ich drinnen meiner Mutter Stimme hörte. Sie bat Miß Murdstone dringend und sehr zerknirscht um Verzeihung, wozu sich diese Name großherzig verstand, und dann fand eine vollständige Aussöhnung statt. Seitdem habe ich meine Mutter nie wieder über irgend etwas eine Meinung aussprechen hören, ohne daß sie sich erst an Miß Murdstone gewendet oder durch ein sicheres Mittel in Erfahrung gebracht hatte, was Miß Mudstones Meinung über die Sache war; und nie wieder sah ich Miß Murdstone, wenn sie übler Laune war (und das passierte ihr zuweilen), nach dem harten Beutel greifen, als ob sie die Schlüssel herausnehmen und sie meiner Mutter übergeben wollte, ohne daß diese in große Angst geraten wäre.
Das schwarze Etwas, das in den Adern der Murdstones floß, gab auch der Religion der Murdstones eine düstere Färbung von Strenge und Zorn. Ich habe später einsehen gelernt, daß sie diesen Charakter annehmen mußten infolge der Festigkeit von Mr. Murdstone, die es nicht erlaubte, daß er irgend jemand die härtesten Strafen erlassen konnte, wenn er einen Vorwand dafür gefunden hatte. Sei dem wie ihm wolle, so kann ich mich noch recht gut der entsetzlich feierlichen Gesichter erinnern, mit denen wir in die Kirche gingen, und des veränderten Eindrucks, den die Kirche jetzt auf mich machte. Wieder kommt der gefürchtete Sonntag, und ich marschiere zuerst in den alten Kirchenstuhl wie ein bewachter Gefangener, der zu einem Sträflings-Gottesdienst geführt wird. Dicht hinter mir folgt Miß Murdstone in einem schwarzen Samtkleide, das aussieht, als ob es aus einem Bahrtuche gemacht wäre; dann kommt meine Mutter, dann ihr Gatte. Peggotty geht jetzt nicht mehr mit wie früher. Wieder höre ich, wie Miß Murdstone die Responsen der Liturgie brummelt und auf alle strafenden Worte mit grausamem Behagen besonderen Nachdruck legt. Wieder sehe ich, wie ihre dunklen Augen in der Kirche umherschweifen, wenn sie sagt: »Elende Sünder«, als wenn sie die ganze Gemeinde unter diesem Namen begreifen wollte. Deutlich sehe ich ab und zu meine Mutter, die, zwischen beide eingeklemmt, schüchtern ihre Lippen bewegt, während ihr von rechts und links das Gemurmel wie ferner Donner in die Ohren schallt. Wieder überkommt mich eine plötzliche Angst, ob vielleicht doch unser guter Pfarrer unrecht und Mr. und Miß Murdstone recht haben und alle Engel im Himmel rächende Vernichtungsengel sein könnten? Und wieder, wenn ich einen Finger bewege oder mit einem einzigen Muskel meines Gesichts zucke, stößt mich Miß Murdstone mit ihrem Gebetbuch in die Seite, daß es mich schmerzt.
Ja, und wieder bemerke ich auf dem Nachhauseweg, wie einige Nachbarn mich und meine Mutter ansehen und untereinander tuscheln. Und wieder, wie die drei Arm in Arm vor mir gehen und ich allein hinterher komme, folge ich der Richtung dieser Blicke und frage mich, ob meiner Mutter Gang wirklich nicht mehr so leicht ist und heiter wie früher, und ob das lächelnde Glück ihres hübschen Gesichts wirklich fast ganz verschwunden ist? Dann frage ich mich, ob sich wohl einer der Nachbarn noch daran erinnert, wie vergnügt sie, ehedem mit mir nach Hause ging? Und ich grüble darüber mit dumpfen Sinnen den ganzen freudlosen, langweiligen Tag hindurch.
Von Zeit zu Zeit war davon die Rede gewesen, mich in eine Erziehungsanstalt zu schicken. Mr. und Miß Murdstone hatten den Gedanken angeregt, und meine Mutter hatte natürlich beigestimmt. Die Sache gedieh jedoch für jetzt noch nicht zum Abschluß. Mittlerweile hatte ich Lehrstunden zu Hause.
Werde ich jemals diese Lehrstunden vergessen? Angeblich führte meine Mutter die Aufsicht, aber tatsächlich Mr. Murdstone und seine Schwester, die immer anwesend waren und dabei eine günstige Gelegenheit fanden, meiner Mutter Unterricht in der von ihnen so sehr mißverstandenen Festigkeit zu geben, die uns das Leben vergiftete. Ich glaube, man behielt mich nur deshalb zu Hause! Ich hatte gut und willig gelernt, als meine Mutter und ich noch allein miteinander lebten. Ich kann mich noch schwach erinnern, wie ich auf ihrem Schoß das Alphabet lernte. Wenn ich noch heutigestags auf die großen schwarzen Buchstaben einer Fibel sehe, so steht mir die verwirrende Neuheit ihrer Gestalten wieder vor Augen, und ich sehe die leicht zu unterscheidenden O's und Q's so deutlich, wie ich sie zuerst kennen lernte. Aber sie rufen mir keine Empfindung des Abscheus oder Widerwillens wach. Im Gegenteil scheint es mir, als sei ich einen Blumenpfad gewandelt bis zu dem Krokodilbuch, und wäre dabei durch die sanfte Stimme und Art meiner Mutter zum Vorwärtsschreiten ermuntert worden. Aber die feierlichen Lektionen, die nach diesen kamen, treten vor mich hin als der Tod meines Seelenfriedens und als eine tägliche, jämmerliche Plage und als ein tägliches Elend. Sie waren sehr lang, sehr zahlreich, sehr schwer – einige vollkommen unverständlich für mich – und sie verblüfften mich meistens ebensosehr wie wahrscheinlich meine arme Mutter selber. Ich will mir einmal ein Beispiel, wie es dabei an einem solchen Morgen zuzugehen pflegte, in meine Erinnerung zurückrufen.
Nach dem Frühstück trete ich in unser zweitbestes Wohnzimmer mit meinen Büchern, einem Übungsheft und einer Schiefertafel. Meine Mutter erwartet mich bereits an ihrem Schreibtische, aber viel mehr noch erwarten mich Mr. Murdstone in seinem Lehnstuhl am Fenster, obwohl er anscheinend ein Buch liest und Miß Murdstone, die in der Nähe meiner Mutter sitzt und Stahlperlen auf einen Faden reiht. Der bloße Anblick der beiden Geschwister übt einen so verwirrenden Einfluß auf mich, daß ich fühle, wie die von mir mit unsäglicher Qual eingebüffelten Worte unwiederbringlich entschwinden. Nebenbei gesagt: ich möchte wirklich wissen, wohin sie eigentlich immer verschwinden?
Ich überreiche das erste Buch der Mutter, vielleicht ist es Geographie, Grammatik oder Geschichte, und werfe schnell noch einen verschwimmenden letzten Blick auf die aufgeschlagene Seite, dann leiere ich im raschesten Tempo her, was mir noch frisch im Gedächtnisse haftet. Da stolpere ich über ein Wort. Mr. Murdstone blickt auf. Ich stolpere über ein zweites. Miß Murdstone blickt auf. Ich werde rot, mache noch ein halb Dutzend Schnitzer und bleibe stecken. Ich glaube, meine Mutter möchte mich ins Buch sehen lassen, wenn sie sich nur getraute, aber sie getraut es sich nicht und sagt nur sanft:
»O Davy, Davy!«
»Jetzt, Klara, sei fest mit dem Jungen. Sage nicht: o Davy, Davy! Das ist kindisch. Entweder kann er seine Lektion oder er kann sie nicht!«
»Er kann sie nicht!« fällt Miß Murdstone in schrecklichem Tone ein.
»Ich fürchte, er kann sie nicht«, sagt Meine Mutter.
»Also, Klara, mußt du ihm das Buch zurückgeben und es ihm begreiflich machen.« »Ja, liebe Jane, das will ich. Also, Davy, versuchen wir's noch einmal, und sei recht gescheit.«
Aber ich bin nichts weniger als gescheit. Bei der Wiederholung verwickele ich mich an einer Stelle, über die ich vorhin glatt hinwegkam und noch dazu in einem Stück, das ich sonst sehr gut konnte. Aber nun halte ich an, sitze fest und habe keine Gedanken mehr für meine Lektion. Ich denke darüber nach, wieviel Ellen Spitzen wohl Miß Murdstones Haube enthält, was Mr. Murdstones Ausgehrock kosten mag, oder über etwas ähnlich Albernes, was mich gar nichts angeht und womit ich auch gar nichts zu tun haben will. Mr. Murdstone macht eine Bewegung der Ungeduld, was ich längst erwartet habe. Miß Murdstone desgleichen. Meine Mutter sieht unterwürfig zu ihnen hinüber, klappt das Buch zu und legt es einstweilen als rückständige Leistung beiseite, die abgearbeitet werden muß, bevor ich andere Aufgaben erledigt habe.
Aber der Stoß des »einstweilen beiseite Gelegten« wird immer größer und wächst an wie ein gewälzter Schneeball, und je größer er wird, desto dümmer werde ich. Der Fall ist so hoffnungslos, und ich fühle mich so tief in einem wahren Morast von Unsinn stecken, daß ich alle Gedanken auf ein Entrinnen aufgebe und mich meinem Schicksal überlasse. Es ist ein gar melancholischer Anblick, wie wir beide, ich und meine Mutter, uns mit kläglichen Blicken anschauen, während ich immer weiter holpre und stolpre. Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet wähnt, versucht es meine Mutter, mir das, was ich nicht weiß, durch lautloses Sprechen mit der Lippenbewegung anzudeuten. Aber sofort läßt Miß Murdstone, die nur darauf gelauert hat, ihre tiefe, warnende Stimme vernehmen: »Klara!«
Meine Mutter schrickt zusammen, errötet und lächelt verlegen. Mr. Murdstone erhebt sich aus seinem Stuhle, packt das Buch, wirft es nach mir oder schlägt es mir um die Ohren, und führt mich beim Kragen aus dem Zimmer. Selbst wenn ich die Lektion einigermaßen hergesagt habe, wartet meiner noch das Schlimmste in Gestalt eines schauerlichen Rechenexempels, das Mr. Murdstone eigens für mich erdacht hat, und das so anfängt: Wenn ich zum Käsehändler gehe und fünftausend Doppel-Gloucester-Käse kaufe, das Pfund zu 4 1/2 Pence usw. –« wobei sich Miß Murdstone vor Freude nicht zu fassen weiß. Ich sitze und druckse auf diesen Käsen, ohne die geringste Aussicht auf ein günstiges Resultat, bis Mittag, wo ich dann, zum Mulatten verwandelt, da ich mir den Schmutz von der Schiefertafel ins Gesicht gerieben habe, zu den gedachten Käsen nur eine Brotschnitte erhalte und für den ganzen übrigen Tag in Ungnade verfallen bin.
Mir scheint fast, daß meine Studien in jener fernliegenden Zeit fast regelmäßig derart verliefen:
Und ich hätte ohne die Murdstones so gut arbeiten können, aber ihre Gegenwart war von einem Einfluß auf mich gleich dem Zauber zweier Schlangen auf ein junges Vöglein. Selbst wenn ich leidlich gut am Vormittag abgeschnitten hatte, gewann ich damit kaum etwas anderes, als das Mittagbrot. Denn, sowie mich Miß Murdstone nur ein Weilchen ohne Aufgabe sah, sogleich lenkte sie ihres Bruders Aufmerksamkeit darauf, indem sie sagte: »Klara, meine Liebe, es geht nichts über die Arbeit – gib deinem Jungen eine Übung auf.« – Und flugs wurde mir eine neue Aufgabe aufgehalst. Von einer Erholung unter Altersgenossen war daher bei mir so gut wie nicht die Rede, denn die düstere Religion der Murdstones hielt bereits die Kinder für ein so verdorbenes Otterngezücht (und doch ward einst ein Kind in die Mitte der Jünger gestellt!), daß sie untereinander die gegenseitige Verderbnis nur förderten.
Die natürliche Folge dieser Behandlungsweise, die vielleicht ein halbes Jahr gedauert haben mochte, war die, daß ich ein Kind von schweren Begriffen und von mürrischer und verstockter Gemütsart wurde. Und was nicht wenig dazu beitrug, war das Gefühl, daß ich mich meiner Mutter täglich mehr entfremdete: ich glaube, ohne einen glücklichen Umstand wäre ich fast blödsinnig geworden.
Es war dies folgender. Mein Vater hatte eine kleine Büchersammlung in einem Zimmerchen neben meiner Schlafstube hinterlassen, zu der ich Zutritt hatte und um die sich niemand kümmerte als ich. Aus diesem gesegneten kleinen Stübchen kam eine erhabene Schar von Helden zu mir: Roderick Random, Peregrine Pickle, Humphrey Clinker, Tom Jones, der Vicar von Wakefield, Don Quixote, Gil Blas und Robinson Crusoe, eine herrliche Schar, um mir Gesellschaft zu leisten. Sie erhielten meine Phantasie und meine Hoffnungen lebendig darauf, daß es noch etwas jenseits dieses Ortes und dieser Zeit gäbe – sie, und Tausend und eine Nacht und die persischen Märchen – und taten mir keinen Schaden, denn das Unreine, das in einigen war, war für mich nicht da, weil ich nichts davon wußte. Ich muß mich wirklich noch jetzt wundern, wie ich in meiner Plackerei über anstrengende und obendrein unlösbare Aufgaben noch Zeit fand, diese Bücher so zu lesen, wie ich es tat. Es kommt mir wunderbar vor, wie für mich in meinen kleinen Leiden (es waren aber damals für mich sehr schwere Leiden) ein Trost war, wenn ich die Rollen meiner Lieblingscharaktere in diesen Geschichten auf mich übernahm und Mr. und Miß Murdstone die Rollen von Bösewichtern übertrug. Ich bin eine ganze Woche lang Tom Jones gewesen – ein sehr kindlicher harmloser Tom Jones! – Die Rolle Roderick Randoms, wie er mir erschien, habe ich einen Monat lang gespielt. Einen wahren Heißhunger hatte ich auf ein paar Bände Reisebeschreibungen in diesem Bücherschrank! Ich weiß nicht mehr, wie sie hießen.
Tage und Tage lang ging ich durch meine Region des Hauses bewaffnet mit dem Mittelstück aus einem alten zerbrochenen Stiefelständer, als leibhaftiges Ebenbild von Kapitän X. der königlich britischen Marine, der in Gefahr ist, von Wilden überfallen zu werden und sein Leben teuer zu verkaufen beabsichtigt. Es tat der Würde dieses Kapitäns keinen Abbruch, daß er fast täglich mit der lateinischen Grammatik geohrfeigt wurde. Diese Schande traf nur mich: der Kapitän selbst blieb Kapitän und war ein Held trotz allen Grammatiken in sämtlichen lebenden und toten Sprachen.
Das war mein einziger und beständiger Trost. Wenn ich daran denke, tritt mir immer ein Sommerabend vor Augen, wie die Kinder draußen auf dem Kirchhofe spielten und ich auf dem Bette saß und so eifrig las, als ob es das Leben gelte. Jede Scheune in der Nachbarschaft, jeder Stein in der Kirche, jeder Fußbreit Erde auf dem Kirchhofe stand in meiner Seele mit diesen Büchern in ganz besonderer Verbindung und vertrat die Stelle einer in ihnen berühmt gewordenen Örtlichkeit. Tom Pipes kletterte auf unsern Kirchturm, Strap mit dem Ränzel auf dem Rücken lehnte sich an unsere Gartentür, und ich war davon durchdrungen, daß Kommodore Trunnion und Mr. Trunnion ihre Klubsitzungen in der Gaststube unserer kleinen Dorfschenke abhielten.
Der Leser weiß jetzt so gut wie ich, wie und was ich war, als das Ereignis eintrat, das für meine Jugendgeschichte zum Wendepunkt wurde und das ich jetzt erzählen will.
Eines Morgens, als ich mit meinen Büchern in die Wohnstube trat, bemerkte ich, daß meine Mutter sehr verängstigt und Miß Murdstone sehr fest aussah, und Mr. Murdstone etwas um das untere Ende eines Rohrstöckchens wickelte. Es war ein geschmeidiges und schmächtiges Röhrchen, das er soeben gebrauchsfertig hergerichtet hatte und wie ich eintrat, in der Hand wog und auf und ab schwippen ließ.
»Ich sage dir, Klara,« sagte Mr. Murdstone, »ich habe selbst oft Schläge gekriegt.«
»Allerdings, natürlich«, bestätigte Miß Murdstone.
»Gewiß, liebe Jane«, stammelte meine Mutter demütig. »Aber – aber meinst du, daß es Eduard gut getan hat?«
»Meinest du, daß es Eduard geschadet hat, Klara?« fragte Mr. Murdstone feierlich. »Das ist eben die Frage!« sagte seine Schwester.
Darauf wiederholte meine Mutter: »Gewiß, liebe Jane!« und sagte weiter nichts.
Mich überschlich das Gefühl, daß ich bei dem Zwiegespräche persönlich beteiligt sei, und ich suchte Mr. Murdstones Blick, der sich drohend auf mich heftete.
»Nun, David,« sagte er – und wieder mit jenem schielendfalschen Blick – »du mußt dich heute viel mehr in acht nehmen als gewöhnlich.« Er wog das Röhrchen gleichsam noch einmal in der Hand und ließ es wieder auf und nieder wippen. Dann legte er es mit einem ausdrucksvollen Blick neben sich bereit und nahm das Buch zur Hand.
Als Anfang war dies schon ein vortreffliches Auffrischungsmittel für meine Geistesgegenwart. Ich fühlte, wie die Worte meiner Lektion unaufhaltsam dem Gedächtnis entschlüpften, nicht einzeln oder zeilenweise, sondern gleich seitenweise. Ich versuchte, ihrer wieder habhaft zu werden, aber es war gerade, wenn ich mich so ausdrücken darf, als ob die infamen Worte Schlittschuhe anhätten und mit einer unaufhaltsamen Schnelligkeit hinwegglitten.
Die Sache fing schon schlecht an und ging noch schlechter fort. Ich war mit dem Gedanken ins Zimmer getreten, mich heute recht auszuzeichnen, denn ich glaubte, recht gut vorbereitet zu sein; aber es stellte sich als ein vollständiger Irrtum heraus. Ein Buch nach dem andern türmte sich auf und vermehrte den Haufen der Rückstände, und Miß Murdstone wendete die ganze Zeit über das Auge nicht von uns weg. Und als wir endlich zu den fünftausend Käsen kamen (diesmal machte er fünftausend Rohrstöckchen daraus, wie ich mich wohl erinnere), fing meine Mutter zu weinen an.
»Klara!« rief Miß Murdstone warnend.
»Ich fürchte, ich bin nicht ganz wohl, liebe Jane«, sagte meine Mutter.
Ich sah, wie er seiner Schwester bedeutungsvoll zublinkte, als er aufstand, das Rohr nahm und sagte: »Jane, wir können kaum erwarten, daß Klara mit vollkommener Festigkeit den Ärger und die Qual erträgt, die David ihr heute verursacht hat. Das wäre wahrhaft stoisch. Klara hat sich sehr gebessert, aber wir können kaum so viel von ihr erwarten. David, Junge, komm, wir wollen beide hinaufgehen.«
Als er mich beim Kragen zur Tür hinausschob, eilte meine Mutter uns nach. Miß Murdstone sagte: »Klara, du bist doch eine vollständige Törin!« und hielt sie auf. Ich sah, wie meine Mutter sich die Ohren zuhielt, und hörte sie weinen.
Er führte mich in mein Zimmer: langsam und feierlich – ich bin überzeugt, es machte ihm teuflische Freude, die Exekution mit solchen Förmlichkeiten auszustatten – und als wir oben angekommen waren, packte er plötzlich meinen Kopf, zwängte ihn unter seinen Arm und hielt ihn dort fest.
»Mr. Murdstone! Sir!« rief ich. »Bitte, schlagen Sie mich nicht! Ich habe mir alle Mühe gegeben, zu lernen, Sir, aber ich kann nicht lernen, wenn Sie und Miß Murdstone da sind! Ich kann es wirklich nicht!«
»Kannst du es wirklich nicht, David?« sagte er. »Wirklich nicht? Nun, wir wollen das einmal versuchen.«
Er hielt meinen Kopf fest wie in einem Schraubstock, aber es gelang mir doch noch einmal, mich umzudrehen und ihn einen Augenblick hinzuhalten, um ihn nochmals zu bitten, mich nicht zu schlagen. Doch das war nur ein augenblicklicher Aufschub, denn gleich darauf versetzte er mir einen derben Schlag, und in demselben Augenblick haschte ich seine Hand, mit der er mir den Mund zuhielt, faßte sie zwischen die Zähne und biß sie durch und durch. Es knirscht mir jetzt noch in den Zähnen, wenn ich daran denke.
Nun hieb er auf mich los, als ob er mich zu Tode prügeln wollte. Über all den Lärm, den wir machten, hörte ich die andern die Treppe hinaufgestürzt kommen und schreien. Ich hörte meine Mutter schreien und Peggotty. Dann war er fort, und die Tür wurde von draußen verschlossen, und ich lag fieberheiß und zerbläut und wund und bebend auf den Dielen und raste in ohnmächtiger Wut.
Wie gut ich mich noch erinnere, als ich wieder ruhig wurde, welche unnatürliche Stille im ganzen Hause zu herrschen schien! Wie gut ich mich erinnere, als sich Schmerz und Leidenschaft in mir legten, wie schlecht ich mir vorkam.
Ich saß lange Zeit still da, aber es war kein Laut zu vernehmen. Ich krabbelte mich mühsam vom Erdboden auf und sah im Spiegel mein Gesicht so geschwollen und rot und häßlich, daß ich mich davor förmlich entsetzte. Die Striemen waren wund und geschwollen und ich mußte aufschreien, wenn ich mich rührte; aber dieser Schmerz war nichts gegen mein Schuldgefühl. Es lag schwerer auf meiner Brust, als wenn ich der abscheulichste Verbrecher gewesen wäre.
Es fing an dunkel zu werden, und ich hatte das Fenster zugemacht (ich hatte die meiste Zeit mit dem Kopf auf dem Fensterbrett gelegen und abwechselnd geweint, abwechselnd halb geschlafen oder gedankenlos hinausgesehen), als sich der Schlüssel im Schlosse drehte und Miß Murdstone mit Brot, Fleisch und Mich hereintrat. Das setzte sie ohne ein Wort zu sprechen auf den Tisch, starrte mich während der ganzen Zeit mit unnachahmlicher Festigkeit an, entfernte sich wieder und schloß die Tür hinter sich zu.
So saß ich noch lange nach dem Dunkelwerden da und grübelte, ob noch sonst jemand kommen werde. Als dies für diesen Abend unwahrscheinlich wurde, zog ich mich aus und ging zu Bette; und hier fing ich an mich zu ängstigen über das, was mit mir geschehen werde und zu überlegen, ob ich ein Verbrechen begangen hatte? Ob man mich verhaften und ins Gefängnis stecken werde? Ob man mich am Ende gar hängen könnte?
Ich werde niemals das Erwachen am nächsten Morgen vergessen, wo ich mich für den ersten Augenblick froh und erleichtert fühlte, und wie mich dann plötzlich wieder die aufwachende Erinnerung niederdrückte. Miß Murdstone erschien wieder, ehe ich aufstand, sagte mir mit kurzen Worten, daß ich eine halbe Stunde aber nicht länger, im Garten spazieren gehen dürfe, und ging wieder. Sie ließ diesmal die Tür offen, damit ich von der Erlaubnis Gebrauch mache.
Ich benutzte diese Erlaubnis wie an jedem Morgen meiner Gefangenschaft, die fünf Tage dauerte. Wenn ich meine Mutter allein hätte sehen und sprechen dürfen, so wäre ich vor ihr auf die Knie niedergefallen und hätte sie um Verzeihung gebeten; aber ich sah während der ganzen Zeit niemand außer Miß Murdstone. Eine Ausnahme bildete die Stunde des Abendgebetes in der Wohnstube; dorthin spedierte mich Miß Murdstone, nachdem alle ihre Plätze eingenommen hatten, und ich mußte als junger Sträfling ganz allein an der Tür stehen bleiben, und ehe sich die andern wieder erhoben hatten, transportierte mich meine Kerkermeisterin mit pompöser Feierlichkeit ins Gefängnis zurück. Ich bemerkte nur, daß meine Mütter am allerweitesten von mir postiert war und ihr Gesicht von mir abgewendet hatte, so daß sie mich nicht sehen konnte, und daß Mr. Murdstones Hand mit einem Leinwandstreifen verbunden war.
Die entsetzliche Länge dieser fünf Tage kann ich niemand begreiflich machen. Sie nehmen in meiner Erinnerung den Raum von Jahren ein. Die Spannung, mit der ich allen Vorgängen im Hause, die sich hörbar machten, lauschte, dem Schellen der Klingeln, dem Öffnen und Zumachen der Türen, dem Stimmengemurmel, dem Tritt auf der Treppe, dem Lachen, Pfeifen oder Singen draußen, was mir in meiner Einsamkeit und Verbannung trübseliger klang als alles andere – die völlige Unwissenheit über das Vorrücken der Zeit, die mit ihren Stunden, vorzüglich des Nachts, zu schleichen schien und wo ich oft im Glauben aufwachte, es sei Morgen, während die Familie noch gar nicht zu Bette gegangen war und ich also noch die ganze lange Nacht vor mir hatte – die bösen Träume, die mich quälten – die Wiederkehr von Tag, Mittag, Nachmittag und Abend, wo die Knaben draußen auf dem Friedhof spielten und ich sie vom Hintergrunde des Zimmers aus beobachtete, weil ich mich schämte, mich am Fenster zu zeigen, damit sie nicht merkten, ich sei ein Gefangener – das seltsame Gefühl, mich niemals sprechen zu hören – die schnell entschwindenden Augenblicke erleichterter Stimmung, die mit dem Essen und Trinken kamen und wieder mit ihm gingen – der Regen eines Abends mit seinem frischen Geruch, wie er immer dichter und dichter niederging zwischen mir und der Kirche, bis er und das wachsende Dunkel mich wie in Nacht und Angst und Reue zu hüllen schienen – alles das scheint Jahre – anstatt Tage gedauert zu haben, so lebendig und tief ist es meiner Erinnerung eingeprägt.
In der letzten Nacht meiner Haft erweckte mich das Rufen meines Namens im Flüsterton. Ich richtete mich im Bette auf, breitete meine Arme im Dunkeln aus und sagte:
»Bist du's, Peggotty?«
Es kam nicht sogleich eine Antwort, aber nicht lange darauf hörte ich wieder meinen Namen in einem so geheimnisvollen und schauerlichen Tone, daß ich vor Schrecken Krämpfe bekommen hätte, wenn es mir nicht eingefallen wäre, daß es durch das Schlüsselloch kommen müßte.
Ich tappte bis an die Tür, legte den Mund an das Schlüsselloch und flüsterte:
»Bist du's, liebe Peggotty?«
»Ja, mein lieber, guter Herzens-Davy«, erwiderte sie. »Sei stille wie ein Mäuschen, sonst hört uns die Katze.«
Ich verstand sogleich, daß sie Miß Murdstone meinte, und fühlte die Notwendigkeit größter Vorsicht, denn ihr Zimmer war dicht nebenan.
»Was macht Mama, liebe Peggotty? Ist sie recht böse auf mich?«
Ich hörte Peggotty auf ihrer Seite des Schlüssellochs leise weinen, gleich mir, ehe sie antwortete: »Nein, nicht sehr.«
»Was wird denn mit mir geschehen, liebe Peggotty? Weißt du's?« »Schule. Nicht weit von London«, war Peggottys Antwort. Sie mußte es noch einmal wiederholen, denn sie hatte es zuerst in meine Kehle hineingesprochen, weil ich vergessen hatte, den Mund vom Schlüsselloche zu nehmen und das Ohr daran zu legen, und obgleich mich ihre Worte sehr im Halse kitzelten, konnte ich doch nichts davon verstehen.
»Wann, Peggotty?«
»Morgen.«
»Hat deswegen Miß Murdstone meine Kleider aus der Kommode genommen?« Sie hatte das nämlich getan, obgleich ich vergessen hatte, es zu erwähnen.
»Ja,« sagte Peggotty, »Koffer.«
»Werde ich Mama nicht wiedersehen?«
»Ja«, sagte Peggotty. »Morgen früh.«
Dann legte Peggotty die Lippen so dicht an das Schlüsselloch und sprach die folgenden Worte mit solchem Gefühl und solcher Innigkeit, wie kaum jemals Worte durch ein Schlüsselloch befördert worden sind, indem sie jeden abgebrochenen kleinen Satz nach einer kurzen Pause ohne Rücksicht auf den Sinn hindurchpustete.
»Guter Davy! Wenn ich letzthin nicht mehr ganz so zutunlich – mit dir bin wie früher – so geschah das nicht, weil ich dich nicht – so sehr und noch mehr liebe, als früher mein Herzenspüppchen – sondern nur weil ich glaube, es ist besser für dich, mein Herzchen–und für jemand anders. Lieber, guter Davy, hörst du mir zu? Verstehst du mich?«
»Ja, ja, ja, Peggotty!« schluchzte ich.
»Mein Herzenskind!« sagte Peggotty mit unendlichem Mitleid. »Ich will dir nur das sagen – du darfst mich nie und niemals vergessen – denn ich werde dich auch nie und niemals vergessen. – Und, Davy, ich will deine Mama so sehr in acht nehmen, als ich dich in acht genommen habe – und ich werde sie nie verlassen – der Tag wird wohl noch kommen, wo sie gern ihren armen Kopf auf den Arm ihrer einfältigen mürrischen alten Peggotty legen wird. – Und ich werde dir schreiben, gutes Herz – obgleich ich nicht mit der Feder umzugehen weiß. Und ich will – ich will« – Peggotty fing an das Schlüsselloch zu küssen, da sie mich nicht küssen konnte.
»Danke, liebe Peggotty!« sagte ich. »O, ich danke dir! Ich danke dir! Willst du mir eins versprechen, Peggotty? Willst du an Mr. Peggotty und die kleine Em'ly und Mrs. Gummidge und Ham schreiben, daß ich nicht so schlecht bin, als sie denken könnten, und daß ich sie alle herzlich grüßen lasse –besonders die kleine Em'ly? Willst du das tun, liebe Peggotty?«
Die gute Seele versprach es mir, und wir beide küßten das Schlüsselloch mit der größten Zärtlichkeit – ich streichelte es sogar mit der Hand, wie ich mich noch entsinne, als ob es ihr ehrliches Gesicht wäre – und dann trennten wir uns. Seit dieser Nacht entstand in mir ein Gefühl für Peggotty, das ich nicht recht beschreiben kann. Sie trat etwa nicht an die Stelle der Mutter, denn das konnte niemand tun, aber sie füllte doch eine Leere in meinem Herzen aus und ich fühlte für sie etwas, was ich für kein anderes menschliches Wesen gefühlt habe. Es war eine auch mit dem Gefühl des Komischen vermischte Zärtlichkeit, und dennoch kann ich mir nicht denken, was ich hätte tun, oder wie ich den Schmerz hätte ertragen sollen, wenn sie gestorben wäre.
Früh morgens erschien Miß Murdstone wie gewöhnlich, und kündigte mir an, daß ich von jetzt an auf eine Schule kommen sollte, was mich natürlich nicht so sehr überraschte, als sie voraussetzte. Sie sagte mir auch, wenn ich angezogen sei, sollte ich hinunter in die Wohnstube zum Frühstück kommen. Dort fand ich meine Mutter sehr blaß und mit roten Augen. Ich eilte in ihre Arme und, bat sie aus tief zerknirschter Seele um Verzeihung.
»O Davy!« sagte sie. »Daß du jemand verwunden konntest, den ich liebe! Versuche, ein besseres Kind zu sein, ich bitte dich; ein besseres Kind! Ich verzeihe dir, aber es schmerzt mich so sehr, Davy, daß du ein böses Herz hast!« Sie hatten ihr eingeredet, ich wäre ein tückischer Junge, und das schmerzte sie mehr als mein Fortgehen. Auf mich machte es einen tiefen Eindruck. Ich versuchte mein Abschiedsfrühstück zu essen, aber die Tränen liefen mir auf meine Butterschnitte und tröpfelten in meinen Tee. Ich sah, wie mich meine Mutter manchmal anblickte und dann einen Blick auf die lauernde Miß Murdstone warf, und dann die Augen niederschlug oder wegsah.
»Master Copperfields Koffer bringen!« sagte Miß Murdstone, als draußen ein Wagen vorrollte. Ich sah mich nach Peggotty um, aber weder sie noch Mr. Murdstone erschien. Meine frühere Bekanntschaft, der Fuhrmann, stand an der Tür; er nahm den Koffer in Empfang und hob ihn in den Wagen.
»Klara!« sagte Miß Murdstone warnend.
»Ich bin bereit, liebe Jane«, sagte meine Mutter. »Leb' wohl, Davy. Du gehst um deines eigenen Besten willen. Lebe wohl, mein Kind. Du wirst die Feiertage wiederkommen und ein besserer Sohn sein.«
»Klara!« wiederholte Miß Murdstone.
»Ja, ja, liebe Jane«, entgegnete meine Mutter, die meine Hand noch immer festhielt. »Ich verzeihe dir, mein geliebtes Kind. Gott segne dich!«
»Klara!« wiederholte Miß Murdstone.
Miß Murdstone hatte die Gewogenheit, mich bis an den Wagen zu führen und mir unterwegs zu sagen, sie hoffe, ich werde bereuen, ehe ich zu einem schlechten Ende komme, und dann stieg ich in den Wagen, und der träge Gaul setzte sich langsam in Schritt. 

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11/24 21:53