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经典小说德语版:简爱-Siebzehntes Kapitel
日期:2013-11-02 17:10  点击:208
Das Herrenhaus von Ferndean war ein Gebäude von beträchtlichem Alter, mittlerer Größe und durchaus keiner architektonischen Schönheit. Es lag mitten im Walde. Früher hatte ich oft davon reden gehört, Mr. Rochester sprach häufig von Ferndean und begab sich auch zu wiederholten Malen nach dort. Sein Vater hatte die Besitzung um ihrer ausgebreiteten Jagdgründe willen gekauft. Er hatte das Haus gern vermietet, konnte aber seiner ungesunden und unbequemen Lage wegen keinen Mieter finden. Daher blieb Ferndean unmöbliert und unbewohnt, mit Ausnahme von zwei oder drei Zimmern, welche zur Aufnahme des Gutsherrn bereit waren, wenn er während der Jagdsaison dorthin kam.
Am Abende eines Tages, dessen Charakteristik trüber Himmel, kalter Wind und ununterbrochener feiner, durchdringender Regen gewesen, kam ich an dies Haus. Die letzte Meile hatte ich zu Fuß zurückgelegt, nachdem ich sowohl Postkutsche wie Postillon mit dem Doppelten des versprochenen Preises entlassen hatte.
Selbst wenn man schon nahe vor dem Herrenhause stand, konnte man es nicht sehen, so dicht standen die Bäume des düsteren Waldes um dasselbe. Ein eisernes Thor zwischen zwei Granitpfeilern zeigte mir, wo ich eintreten mußte, und als ich es durchschritten, befand ich mich sofort wieder unter dem dicken Laubdach langer Baumreihen. Zwischen alten, bemoosten Baumstämmen und dichtem Unterholz zog sich ein grasbewachsener Pfad hin. Diesen verfolgte ich in der Erwartung, bald an menschliche Wohnungen zu kommen; aber er schlängelte sich weiter und weiter; nirgend eine Spur vom Hause oder vom Park.
Ich glaubte, daß ich die falsche Richtung eingeschlagen und den Weg verfehlt habe. Die Dunkelheit des Abends wie des Waldes wurde immer undurchdringlicher. Ich blickte umher, um einen anderen Weg zu suchen. Es gab keinen. Nichts als verwachsenes Unterholz, kerzengerade Baumstämme, Sommerlaub, – nirgends eine Lichtung.
Ich ging weiter. Endlich wurde der Pfad breiter, die Bäume standen weniger dicht; nun sah ich ein Gitter, dann ein Haus, welches in der zunehmenden Finsternis kaum von den Bäumen zu unterscheiden war, so feucht und moosbedeckt waren seine morschen Mauern. Indem ich durch ein Thor trat, das nur durch eine Klinke geschlossen war, stand ich inmitten eines umfriedeten Raums, welcher sich im Halbkreis zwischen den Bäumen des Waldes ausdehnte. Es waren weder Blumen noch Gartenbeete dort, nur ein breiter Kiesweg, welcher sich um einen Rasenplatz zog – und dies in dem ernsten, düstern Waldesrahmen. Das Haus zeigte an seiner Norderseite zwei Giebel; die Fenster waren schmal und vergittert; auch die Hausthür war eng, eine Steinstufe führte zu ihr hinan. Das Ganze war, wie der Wirt zum »Wappen der Rochester« gesagt hatte, ein trostloser Ort. Es war hier still wie in einer Kirche am Wochentage; der Regen, welcher ununterbrochen auf das Waldeslaub herabfiel, war der einzige Laut, der an mein Ohr schlug.
»Können hier lebende Wesen sein?« fragte ich mich.
Ja, Leben irgend einer Art war hier, denn ich vernahm ein Geräusch. Die schmale Hausthür wurde geöffnet, und eine Gestalt war im Begriff, aus dem Gebäude zu treten.
Die Thür öffnete sich langsam, eine Figur trat in die Dämmerung hinaus, ein Mann ohne Hut, er streckte die Hand aus, wie um zu fühlen, ob es regne. Trotzdem es dunkel war, hatte ich ihn erkannt – es war mein Gebieter, Edward Fairfax Rochester, – kein anderer.
Ich blieb stehen, ich hielt den Atem an, und verharrte so, um ihn zu beobachten – ihn zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden und ach – unsichtbar für ihn!
Es war eine sehr plötzliche Begegnung, und das Entzücken, welches sie mir verursachte, wurde tausendmal aufgewogen durch den Jammer, welchen ich bei seinem Anblick empfand. Es wurde mir nicht schwer, einen Aufschrei zurückzuhalten, ich fühlte mich nicht versucht, zu ihm zu eilen. Seine Gestalt hatte dieselben starken, kräftigen Umrisse wie früher; er trug sich noch aufrecht, sein Haar war rabenschwarz, seine Züge waren nicht verändert; ein Jahr des Kummers und Leidens hatte nicht vermocht, seine athletische Stärke zu beugen, seine edle Manneskraft zu brechen. Aber in seinem Gesichtsausdruck bemerkte ich eine Veränderung; dieser war düster und verzweifelt – er erinnerte mich an ein gefesseltes wildes Tier oder an einen Vogel, dem es in seinem dumpfen Schmerz gefährlich ist zu nahen. Der gefangene Adler, dessen goldumränderte Augen die Grausamkeit geblendet, könnte blicken wie dieser blinde Samson.
Aber, mein Leser, glaubst du, daß ich ihn fürchtete in seiner blinden Wildheit? Wenn das der Fall, so kennst du mich wenig. In meinen Schmerz mischte sich die süße Hoffnung, daß ich bald versuchen würde, einen Kuß auf diese Marmorstirn zu drücken, auf diese krampfhaft zusammengepreßten Lippen – bald – aber jetzt noch nicht. Noch wollte ich ihn nicht anreden.
Er stieg die Steinstufe hinunter und ging langsam und tastend auf den Grasplatz zu. Wo war sein kühner Schritt jetzt? Dann blieb er stehen, wie wenn er nicht wüßte, nach welcher Seite er sich jetzt wenden solle. Er erhob die Hand und öffnete die Augenlider, richtete, wie es schien mit großer Anstrengung, den Blick zum Himmel hinauf, sah dann auf das Amphitheater des Waldes – aber für ihn war alles Leere und Dunkelheit. Er streckte die rechte Hand aus, (den verstümmelten linken Arm hielt er in der Brusttasche verborgen) es war als wünsche er aus der Berührung zu erkennen, was in seiner nächsten Umgebung sei, aber auch hier fand er nur leeren Raum, denn die Baumreihen fingen erst mehrere Ellen weiter fort an. Dann gab er seine Bemühungen auf, verschränkte die Arme und stand ruhig und stumm im Regen, der jetzt unablässig auf seinen unbedeckten Kopf fiel, da. In diesem Augenblick trat John, den ich zuvor nicht bemerkt, an ihn heran,
»Sir, wollen Sie meinen Arm nehmen?« fragte er, »ein gar heftiger Regenschauer zieht herauf. Es wäre besser, wenn Sie ins Haus gingen.«
»Lass mich!« lautete die Antwort.
John zog sich zurück, ohne meiner ansichtig geworden zu sein. Jetzt versuchte Mr. Rochester zu gehen, aber umsonst. Er war zu unsicher. Er tastete sich nach dem Hause zurück und indem er hineintrat, schloß er die Thür hinter sich.
Jetzt ging ich näher und klopfte an. Johns Frau öffnete mir die Thür.
»Mary,« sagte ich, »wie geht es Ihnen?«
Sie erschrak, als ob sie ein Gespenst gesehen hatte. Ich beruhigte sie. Auf ihren hastigen Ausruf: »Sind Sie es wirklich, Miß, die in so später Stunde an diesen einsamen Ort kommt?« antworte ich nur, indem ich ihre Hand erfaßte. Dann folgte ich ihr in die Küche, wo John jetzt vor einem helllodernden Feuer saß.
In wenigen Worten erklärte ich ihnen, daß ich bereits von allem wisse, was sich zugetragen, seitdem ich Thornfield verlassen, und daß ich gekommen sei, um Mr. Rochester zu sehen. Ich bat John hinunterzugehen zu dem Chausseegeldeinnehmer, welchem ich meinen Koffer anvertraut hatte, nachdem ich die Chaise und den Postillon entlassen, und mir mein Eigentum herauszubringen. Dann legte ich Hut und Shawl ab und fragte Mary, ob sie mir für diese Nacht Unterkunft im Herrenhause gewähren könne, und als ich sah, daß dieses Arrangement sich trotz einiger Schwierigkeiten treffen lasse, kündigte ich ihr an, daß ich bleiben würde. In diesem Augenblick ertönte die Glocke des Wohnzimmers.
»Wenn Sie hineingehen, Mary, so sagen Sie Ihrem Herrn, daß jemand da sei, der mit ihm zu sprechen wünscht. Nennen Sie ihm jedoch nicht meinen Namen.«
»Ich glaube nicht, daß er Sie vorlassen wird,« entgegnete sie; »er weist alle Leute ab.«
Als sie zurückkam, fragte ich, was er gesagt habe.
»Er läßt nach Ihrem Namen und Ihrem Anliegen fragen,« entgegnete sie. Dann machte sie sich daran, ein Glas mit Wasser zu füllen und es mit zwei Kerzen auf ein Präsentierbrett zu stellen,
»Klingelte er Ihnen, um das zu verlangen?« fragte ich.
»Ja, er läßt stets Kerzen bringen, wenn es dunkel wird, wenn er auch blind ist.«
»Geben Sie mir das Brett, ich will es hineintragen.«
Ich nahm es ihr aus der Hand, sie bezeichnete mir die Thür des Wohnzimmers. Das Brett zitterte in meiner Hand, ich verschüttete das Wasser; das Herz pochte mir fast hörbar in der Brust. Mary öffnete die Thür für mich und schloß sie wiederum hinter mir.
Das Wohnzimmer sah düster aus; ein vernachlässigtes Feuer qualmte im Kamin, und darüber gebeugt, den Kopf auf den hohen altmodischen Kaminsims gestützt, stand der blinde Bewohner des Zimmers. Sein alter Hund Pilot lag an einer Seite; es schien als hätte er sich selbst behutsam aus dem Wege geräumt aus Furcht, daß er getreten werden könne. Als ich eintrat, spitzte Pilot die Ohren; dann sprang er winselnd empor und stürzte auf mich zu, fast hätte er mir das Präsentierbrett aus der Hand gestoßen.
Ich stellte es dann auf den Tisch, liebloste ihn und sagte leise: »kusch Pilot!« Mechanisch drehte Mr. Rochester sich um, als wolle er sehen, woher die Bewegung käme. Da er aber nichts sehen konnte, wandte er den Kopf wieder ab und seufzte laut auf.
»Gieb mir das Wasser, Mary.« sagte er.
Ich näherte mich ihm mit dem nur noch zur Hälfte gefüllten Glase. Pilot folgte mir noch immer mit dem Schweife wedelnd. »Was giebt es denn?« fragte er.
»Kusch Pilot!« sagte ich noch einmal. Im Begriff, das Wasserglas an die Lippen zu führen, hielt er inne und schien zu lauschen. Dann trank er und setzte das Glas wieder hin.
»Du bist es doch, Mary?«
»Mary ist in der Küche,« entgegnete ich.
Mit einer hastigen Gebärde streckte er die Hand aus, da er aber nicht sah, wo ich stand, berührte er mich nicht.
»Wer ist es? wer ist es?« fragte er ängstlich und versuchte scheinbar mit den armen, blinden Augen zu sehen. Vergeblicher, trauriger Versuch! »Antworte mir – sprich noch einmal!« befahl er laut und herrisch.
»Wollen Sie noch ein wenig Wasser, Sir? Ich verschüttete die Hälfte von dem, was im Glase war,« sagte ich.
»Wer ist es? – Was ist es? Wer spricht?«
»Pilot kennt mich, und John und Mary wissen, daß ich hier bin. Ich bin erst heute abend angekommen,« antwortete ich.
»Allmächtiger Gott! Welche Täuschung hat sich meiner bemächtigt? welch süßer Wahnsinn hat mich erfaßt?«
»Keine Täuschung – kein Wahnsinn, Sir! Ihr Geist ist zu stark, um Täuschungen zu verfallen; ihre Gesundheit zu kräftig für den Wahnsinn.«
»Und wo ist die Sprecherin? Ist es nur eine Stimme? O! ich kann nicht sehen, aber ich muß fühlen, oder mein Herz hört auf zu schlagen und mein Hirn zerspringt. Was – wer du auch sein magst – berühre mich oder ich kann nicht leben!«
Er tastete umher. Ich faßte seine unsichere Hand uud umschloß sie mit den meinen.
»Es sind ihre Finger!« rief er aus, »ihre kleinen, feinen Finger! Und wenn sie es sind, so muß doch noch mehr von ihr da sein.«
Die muskulöse Hand entzog sich meiner Umklammerung; er faßte meinen Arm – meine Schulter – meinen Hals – meine Taille – er zog mich an sich und hielt mich umschlungen.
»Ist es Jane? Oder was ist es? Dies ist ihre Gestalt – dies ihre Größe –«
»Und dies ist ihre Stimme,« fügte ich hinzu. »Sie ist hier, ganz und gar hier, und ihr Herz auch. Gott segne Sie, Sir! Ich bin so glücklich, Ihnen noch einmal wieder nahe zu sein!«
»Jane Eyre! – Jane Eyre!« das war alles, was er sagte.
»Mein teurer Herr,« sagte ich, »ich bin Jane Eyre; ich habe Sie wieder gefunden – ich bin zu Ihnen zurückgekehrt!«
»In Wahrheit? Nicht nur dein Geist? Sondern auch dein Körper? Du bist meine lebende Jane?«
»Sie halten mich, Sir – Sie halten mich ja, und fest obendrein. Ich bin nicht kalt wie eine Tote, nicht durchsichtig wie Luft, nicht wahr?«
»Mein Liebling am Leben! Dies sind ihre Glieder. Dies ihr Gesicht! Aber so glücklich kann ich nicht werden nach all meinem Elend. Es ist ein Traum! Wie ich ihn so oft während der trostlosen Nächte hatte, wenn ich sie noch einmal an mein Herz drückte, wie ich es jetzt thue; und sie küßte – wie jetzt, und fühlte, daß sie mich liebte, und hoffte, daß sie mich nicht verlassen würde.«
»Und das werde ich von heute an auch nicht mehr thun, Sir.«
»Nicht mehr thun, sagt die Vision? Aber ich erwachte stets und fand, daß es bittere Täuschung gewesen; und ich war einsam und verlassen – mein Leben dunkel, trübe, hoffnungslos – meine Seele dürstete, und niemand reichte ihr einen erquickenden Trunk – mein Herz hungerte, und die Nahrung blieb ihm versagt. Du sanfter, süßer Traum, der du mir jetzt im Arm ruhst, du wirst wiederum entfliehen, wie all deine Brüder vor dir entflohen sind. Aber küsse mich bevor du gehst! Küß mich, Jane, Geliebte!«
»Ja Sir, einmal – und noch einmal!«
Ich preßte meine Lippen auf seine einst so strahlenden, und jetzt völlig glanzlosen Augen – ich strich ihm das Haar aus der Stirn und küßte auch diese. Plötzlich schien er sich aufzuraffen; er wurde sich der Wirklichkeit dessen, was geschah, bewußt!
»Bist du es, Jane? – bist du es wirklich – wirklich? Bist du zu mir zurückgekehrt?«
»Das bin ich!«
»Und du liegst nicht tot in irgend einem Graben oder einem Flusse? Du weilst nicht traurig und einsam und ausgestoßen unter fremden Menschen?«
»Nein Sir, ich bin jetzt völlig unabhängig.«
»Unabhängig? Was heißt das, Jane?«
»Mein Onkel auf Madeira ist gestorben und hinterließ mir fünftausend Pfund!«
»Ah! dies ist praktisch! Jetzt sind wir in der Wirklichkeit!« rief er aus, »das hätte ich mir niemals träumen lassen! Ich höre wieder ihre eigenartige Stimme, so belebend, so reizend, so pikant und doch so sanft. Es erfrischt mein krankes Herz sie zu hören; sie flößt mir neues Leben ein. – Was, Janet! du bist jetzt unabhängig? am Ende gar reich?«
»Beinahe reich, Sir. Wenn Sie mich nicht hier wohnen lassen wollen, so kann ich mir ein Haus ganz nahe bei Ihrer Thür bauen, und dann können Sie zu mir kommen und bei mir im Wohnzimmer sitzen, wenn Sie sich des Abends nach Gesellschaft sehnen.«
»Da du nun aber reich bist, Jane, so wirst du ohne Zweifel Freunde haben, die sich um dich bekümmern und nicht dulden werden, daß du dich ganz und gar einem armen, blinden Jeremias widmest.«
»Ich sagte Ihnen ja, daß ich unabhängig bin, Sir, und reich obendrein; ich bin jetzt meine eigene Herrin.«
»Und du willst bei mir bleiben?«
»Gewiß – wenn Sie nichts dagegen haben. Ich werde Ihre Nachbarin, Ihre Pflegerin, Ihre Haushälterin sein. Ich finde Sie hier einsam und traurig: ich werde Ihre Gesellschafterin sein. Ich will Ihnen vorlesen, mit Ihnen spazieren gehen, bei Ihnen sein, Ihnen aufwarten und Sie bedienen, Augen und Hand für Sie sein. Mein teurer Herr, jetzt dürfen Sie nicht mehr so traurig aussehen; so lange ich lebe, werden Sie nicht mehr einsam sein.«
Er entgegnete nichts; er schien ernst – in Gedanken versunken. Er öffnete die Lippen, als ob er sprechen wollte, dann schloß er sie wieder. Ich war ein wenig verlegen. Vielleicht hatte ich die Grenzen des Althergebrachten zu schnell überschritten, und wie St. John, erblickte auch er etwas Unschickliches in meiner Unbedachtsamkeit. Ich hatte meinen Vorschlag in der That in dem Glauben gemacht, daß er mich bitten würde, sein Weib zu werden. Wenn ich der Erwartung, daß er mich sofort als sein Eigentum reklamieren würde, auch keine Worte verliehen, so hatte ich sie deshalb nicht weniger sicher gesagt. Da ihm aber kein einziges Wort nach dieser Richtung hin entschlüpfte, und sein Gesicht immer trüber und trüber wurde, so fiel es mir plötzlich ein, daß ich mich geirrt haben könne und ohne es zu wissen, die Närrin gespielt habe. Deshalb begann ich, mich leise seinen Armen zu entwinden – er jedoch preßte mich noch fester an sich.
»Nein – nein – Jane; du darfst nicht gehen. Nein, jetzt habe ich dich gefühlt, dich gehört, den Trost deiner Nähe empfunden – die Milde deines Trostes! Diese Freuden kann ich nicht wiederum opfern. Von mir selbst ist mir wenig geblieben, ich muß dich besitzen. Die Welt mag lachen – mag mich albern, selbstsüchtig nennen – das bedeutet nichts. Meine Seele verlangt nach dir! Ihr Begehr muß erfüllt werden, oder sie nimmt furchtbare Rache an ihrer irdischen Hülle,«
»Nun, Sir, ich sagte ja, daß ich bei Ihnen bleiben wolle.«
»Ja; aber wir verstehen beide sehr verschiedene Dinge unter diesem »bei mir bleiben wollen«. Du könntest dich vielleicht entschließen, mir zur Hand zu sein, neben meinem Stuhl zu stehen – mich zu pflegen wie eine gute, kleine Wärterin, (denn du hast ein liebevolles Herz und eine großmütige Seele, welche dich zwingen, denen, welche du bemitleidest, Opfer zu bringen) und das sollte mir ohne Zweifel genügen. Vielleicht sollte ich jetzt nur noch väterliche Empfindungen für dich hegen. Nicht wahr, der Ansicht bist auch du. Komm – sag mir, was du denkst!«
»Ich will denken, was Sie wünschen, Sir. Ich bin es auch zufrieden, nichts zu sein als Ihre Pflegerin, wenn Sie es für besser halten.«
»Aber Janet, du kannst nicht immer meine Pflegerin bleiben! du bist jung – du mußt dich eines Tages verheiraten.«
»Ich wünsche nicht besonders, mich zu verheiraten.«
»Aber du solltest es wünschen, Janet! Wenn ich noch wäre, was ich einst war, so würde ich es dich schon wünschen machen – aber – ein blinder Klotz!«
Und wiederum versank er in trübes Sinnen. Ich hingegen wurde fröhlicher und faßte von neuem Mut. Seine letzten Worte öffneten mir die Augen darüber, wo die Schwierigkeit lag. Aber für mich war es keine Schwierigkeit; meine frühere Unsicherheit und Befangenheit war ganz gewichen. Jetzt begann ich eine fröhlichere Unterhaltung.
»Es wird Zeit, daß jemand es unternimmt, Sie wieder menschlicher zu machen,« sagte ich, indem ich sein dickes, ungepflegtes Haar glatt strich, »denn ich sehe, daß Sie sich langsam in einen Löwen oder irgend etwas Ähnliches verwandeln. Ganz entschieden haben Sie etwas von dem ›faux air‹ Nebukadnezars an sich; Ihr Haar erinnert mich an Adlerfedern; ob Ihre Nägel gewachsen sind wie Vogelkrallen, habe ich noch nicht bemerkt.«
»An diesem Arm habe ich weder Hand noch Nägel,« sagte er, indem er den verstümmelten Arm aus der Brust seines Rockes zog und ihn mir zeigte. »Es ist nur noch ein Stumpf – ein furchtbarer Anblick! Nicht wahr, meine kleine Jane?«
»Ein trauriger Anblick! Und es ist auch traurig, Ihre Augen anzusehen – und das Brandmal auf Ihrer Stirn; und was das allerschlimmste ist, man läuft Gefahr, Sie um all dieses Jammers willen zu sehr zu lieben und Sie zu sehr zu verziehen.«
»Ich glaubte, Jane, du würdest entsetzt sein, wenn du meinen Arm sähest und mein narbiges Gesicht.«
»Glaubten Sie das wirklich? Aber sagen Sie mir das nicht – aus Furcht, daß ich etwas über Ihren Verstand sagen könnte, das wenig schmeichelhaft. Jetzt lassen Sie mich aber einen Augenblick, damit ich ein helleres Feuer anmache. Können Sie sehen, wenn das Kaminfeuer hell auflodert?«
»Ja, mit dem rechten Auge kann ich einen Glutschein wahrnehmen, – einen rötlichen Nebel.«
»Und Sie sehen die Kerzen?«
»Sehr trübe, – jede derselben bildet ein helles Wölkchen.«
»Können Sie mich sehen?«
»Nein, meine Fee, Aber ich bin schon dankbar genug, wenn ich dich nur hören und fühlen kann.«
»Wann nehmen Sie Ihr Abendbrot?«
»Ich pflege niemals zu Abend zu essen.«
»Heute abend müssen Sie es indessen thun. Ich bin hungrig, und ich bin überzeugt, daß Sie es auch sind. Sie vergessen es nur.«
Nachdem ich Mary herbeigerufen, hatten wir bald mehr Ordnung ins Zimmer gebracht; und ebenso bereitete ich ihm eine schmackhafte Abendmahlzeit. Mein Geist war angeregt, und während des Speisens unterhielt ich ihn leicht und fröhlich. Selbst nachher gelang es mir noch, ihm durch mein Plaudern die Zeit zu verkürzen. Hier gab es keine qualvolle Zurückhaltung, kein Unterdrücken von Lebhaftigkeit und Fröhlichkeit; denn ihm gegenüber fühlte ich mich vollkommen behaglich, weil ich wußte, daß ich ihm angenehm war. Alles was ich that oder sagte, schien ihn entweder zu trösten oder neu zu beleben. Herrliches Bewußtsein! Es brachte meine ganze Eigenart zu Licht und Leben. In seiner Nähe lebte ich doppelt, und er lebte in der meinen. Trotz seiner Blindheit flog manches Lächeln über sein Gesicht, Freude thronte auf seiuer Stirn. Seine Züge wurden milder, weicher, glücksbewußter.
Nach dem Abendessen begann er viele Fragen an mich zu richten: wo ich gewesen sei, was ich gethan habe und wie es mir gelungen, ihn ausfindig zu machen. Ich gab ihm aber nur teilweise Antwort, denn an diesem Abend war es schon zu spät geworden, um auf besondere Einzelheiten einzugehen. Außerdem wünschte ich auch nicht zarte, vibrierende Saiten zu berühren – keine frische Quelle der Aufregung in seinem Herzen zu öffnen; mein einziger Zweck war jetzt, ihn zu erheitern. Wie gesagt, erheitert hatte ich ihn bereits, aber doch nur stellenweise. Wenn eine Pause in der Unterhaltung eintrat, wurde er wieder ruhelos, berührte mich leise und sagte: »Jane«.
»Bist du wirklich ein menschliches Wesen, Jane? Bist du dessen ganz gewiß?«
»Auf Ehre und Gewissen, ich glaube es, Mr. Rochester.«
»Wie war es dann aber möglich, daß du so plötzlich an diesem trüben, trostlosen Abende an meinem einsamen Herde stehen konntest? Ich streckte meine Hand aus, um von einem Mietling ein Glas Wasser zu nehmen – und du reichtest es mir. Ich that eine Frage und erwartete, daß Johns Frau mir antworten wurde – und deine Stimme schlug an mein Ohr.«
»Weil ich an Marys Stelle mit dem Präsentierbrett ins Zimmer getreten war.«
»Und ein wahrer Zauber liegt in der Stunde, die ich jetzt mit dir verbringe. Niemand weiß, welch ein trostloses, düsteres, leeres, hoffnungsloses Leben ich seit Monaten hingeschleppt habe! Ich that nichts mehr und erwartete nichts mehr; der Tag ging in die Nacht über, ohne daß ich es merkte; ich empfand Kälte, wenn ich das Feuer hatte erlöschen lassen, und Hunger, wenn ich vergessen hatte zu essen; dann einen niemals endenden Schmerz, und zuweilen ein an Wahnsinn grenzendes Verlangen, meine Jane noch einmal wiederzusehen. Ja, ich sehnte mich danach, daß sie mir wiedergegeben werde, weit mehr, als daß ich das verlorene Augenlicht wieder erhiele. Wie ist es möglich, daß Jane bei mir ist und sagt, daß sie mich liebt? Wird sie nicht ebenso plötzlich wieder verschwinden, wie sie gekommen ist? O, ich fürchte, daß ich sie morgen nicht wiedersehe.«
Ich war überzeugt, daß es das beste für ihn in dieser Sinnesstimmung sein würde, wenn ich ihm eine ganz triviale, praktische Antwort gäbe, die nichts mit seinem augenblicklichen erregten Gedankengang zu thun hatte. Ich ließ also den Finger über seine Augenbrauen gleiten und bemerkte, daß sie versengt seien, daß ich aber ein Mittel kenne, um sie wieder so dick und schwarz wie früher zu machen.
»Was nützt es, mir irgend etwas Gutes zu thun, wohlthätiger Geist, wenn du mich in einem verhängnisvollen Augenblick doch wieder verlassen willst? Wenn du mir entschwindest wie ein Schatten, ohne daß ich weiß, weshalb und wohin, und dann für mich unauffindbar bleibst?«
»Haben Sie einen Taschenkamm, Sir?«
»Zu welchem Zweck, Jane?«
»Nur um diese rauhe, schwarze Mähne auszukämmen. Wenn ich Sie genau betrachte, flößen Sie mir beinahe Furcht ein. Sie sagen, ich sei wie eine Fee, aber ich finde, daß Sie einem Kobold viel ähnlicher sind.«
»Bin ich abschreckend häßlich, Jane?«
»Sehr häßlich, Sir, Sie wissen, das waren Sie ja stets.«
»Hm! Nun, wo du auch gewesen sein magst, deine Bosheit hat sich doch erhalten.«
»Und doch bin ich bei guten Menschen gewesen, bei Menschen, die viel besser sind als Sie, hundertmal besser als Sie; die Ansichten und Gedanken hegen, welche Sie niemals in Ihrem ganzen Leben gekannt haben; die viel feiner und gebildeter sind als Sie!«
»Bei wem zum Teufel warst du denn?«
»Wenn Sie sich nicht ruhig verhalten, so muß ich Ihnen Ihre schönen Locken ausreißen; und dann werden Sie hoffentlich allen Zweifel an meiner Wesenheit aufgeben.«
»Bei wem bist du gewesen, Jane?«
»Heute abend werden Sie das nicht mehr aus mir herausbringen, Sir, Sie müssen bis morgen warten; Sie wissen, es ist eine Art von Sicherheit für Sie, daß ich morgen früh wieder am Frühstückstisch erscheine, wenn ich meine Geschichte heute abend nur halb erzähle. Doch da fällt mir ein, daß ich nicht nur mit einem Glase Wasser an Ihrem Herde erscheinen darf; ich muß doch wenigstens ein Ei bringen, von gebackenem Schinken gar nicht zu reden.«
»Du spöttischer Wechselbalg! – von Feen geboren und von Menschen erzogen! Seit zwölf Monaten habe ich nicht empfunden, was ich heute durch dich empfinde. Wenn Saul dich hätte zum David haben können, so wäre der böse Geist auch ohne die Harfe beschworen.«
»Nun Sir, endlich habe ich Sie wieder anständig hergerichtet. Jetzt will ich Sie verlassen. Ich bin seit zwei Tagen auf der Reise und fühle mich sehr ermattet. Gute Nacht!«
»Noch ein einziges Wort, Jane! Waren nur Damen in dem Hause, wo du lebtest?«
Ich lachte laut auf und entwand mich ihm. Und als ich die Treppe hinauslief, lachte ich noch.
»Eine köstliche Idee!« dachte ich voll Freude, »Ich sehe, daß ich das Mittel in Händen habe, ihn so zu quälen, daß seine Melancholie für kurze Zeit wenigstens keine Gewalt mehr über ihn haben wird.«
Sehr früh am nächsten Morgen hörte ich ihn schon rastlos von einem Zimmer ins andere wandern. Sobald Mary nach unten kam, vernahm ich die Frage: »Ist Miß Eyre hier?« und dann: »Welches Zimmer habt Ihr für sie in Ordnung gebracht? War es auch trocken? Ist sie schon aufgestanden? Geh und frag, ob sie irgend etwas braucht, und wann sie herunter zu kommen gedenkt.«
Ich kam hinunter sobald ich glaubte, daß irgend eine Aussicht auf Frühstück vorhanden sei. Ich trat sehr leise ins Zimmer und so gewann ich ein Bild von ihm, ehe er meine Anwesenheit bemerkte. Es war traurig in der That zu gewahren, wie körperliche Gebrechlichkeit jenen mächtigen Geist unterjocht hatte. Er saß in seinem Stuhl – still, aber nicht ruhig, augenscheinlich voll Erwartung; die Linien gewohnheitsmäßiger Traurigkeit hatten sich scharf in seine kräftigen Züge gegraben. Sein Gesicht erinnerte mich an eine gewaltsam ausgelöschte Lampe, welche darauf wartet, wieder angezündet zu werden – und ach! es war nicht mehr er selbst, der den Glanz eines belebten Gesichtsausdruckes anfachen konnte, er war jetzt für die Ausübung dieses Amtes auf andere angewiesen! Ich hatte die Absicht gehabt, fröhlich und sorglos zu sein, aber die Hilflosigkeit dieses kräftigen Mannes ergriff mich auf das Tiefste! Doch redete ich ihn noch mit der ganzen Fröhlichkeit, welche mir in diesem Augenblicke zu Gebote stehen konnte, an:
»Es ist ein heller, sonniger Morgen, Sir,« sagte ich. »Der Regen hat aufgehört, und die Sonne scheint so milde herab. Wir müssen bald einen Spaziergang miteinander machen.«
Ich hatte jenen Glanz, von welchem ich oben sprach, entfacht; seine Züge belebten sich.
»O, bist du wirklich da, meine süße Lerche! Komm zu mir. Du bist nicht wieder fortgeflogen? nicht verschwunden? Vor einer Stunde hörte ich eine von deiner Art, sie sang hoch über dem Walde. Aber ihr Gesang hatte keine Melodie für mich, ebensowenig wie die aufgehende Sonne Strahlen hatte. Für mein Ohr konzentriert sich die Melodie der ganzen Erde in der Stimme meiner Jane (und wie froh bin ich, daß sie nicht schweigsam!) und Sonnenschein empfinde ich nur in ihrer Nähe.«
Die Thränen traten mir in die Augen bei dem Geständnis seiner Abhängigkeit. Es war gerade so, als wenn ein königlicher Adler, der an einen Pflock gefesselt, einen Spatz angefleht hätte, sein Wärter und Hüter zu sein. Aber ich wollte nicht lachrymos sein, ich wischte die Thränentropfen fort und beschäftigte mich damit, ihm das Frühstück zu bereiten.
Den größten Teil des Morgens brachten wir im Freien zu. Ich führte ihn aus dem wilden, feuchten Walde hinaus in die sonnigen Felder; ich beschrieb ihm, wie saftig grün sie seien; wie erfrischt die Blumen und Hecken nach dem Regen aussähen, wie funkelnd blau der Himmel sei. An einem verborgenen, lieblichen Orte suchte ich ihm ein Plätzchen; einen trockenen Baumstumpf. Und als er sich gesetzt hatte, wehrte ich ihm nicht, daß er mich auf sein Knie zog. Und weshalb hätte ich das thun sollen? Waren wir beide doch glücklicher, wenn wir einander nahe waren! Pilot lag neben uns. Ringsumher Ruhe, Frieden!
Plötzlich schloß er mich in seine Arme und rief:
»Grausame, grausame Ausreißerin! O Jane, was empfand ich, als ich entdeckte, daß du von Thornfield geflohen warst, und ich dich nirgend wiederfinden konnte; als ich dein Zimmer durchsuchte und fand, daß du kein Geld noch irgend etwas, das dir an Geldesstatt hätte dienen können, mitgenommen hattest! Ein Perlhalsband, das ich dir geschenkt, lag unberührt in seinem kleinen Etui; deine Koffer waren verschlossen und geschnürt, wie sie für unsere Hochzeitsreise vorbereitet gewesen. Was konnte mein Liebling denn beginnen, fragte ich mich ohne Unterlaß, verlassen, ohne Geld, von allen Mitteln entblößt? Und was begann er? Laß mich das jetzt hören.«
Auf sein Bitten begann ich endlich meine Erlebnisse des letzten Jahres zu erzählen. Als ich zu jenen drei Tagen des Umherwanderns, des Bettelns und Hungerns kam, milderte ich meinen Bericht sehr, denn es hätte ihm nur unnötigen Kummer bereitet, wenn er alles erfahren hätte; das Wenige, was ich erzählte, verwundete sein treues Herz schon tiefer, als ich wünschte.
Er sagte, ich hätte ihn nicht verlassen sollen so ganz ohne alle Mittel, mir einen Weg zu bahnen; ich hätte ihm meine Absicht kundthun müssen. Ich hätte mich ihm anvertrauen sollen, denn er würde mich niemals gezwungen haben, seine Geliebte zu werden. Heftig wie er in seiner Verzweiflung geschienen, liebe er mich in Wahrheit doch zu tief und zu zärtlich, um sich jemals zu meinem Tyrannen zu machen. Er würde mir sein halbes Vermögen gegeben haben, ohne auch nur einen Kuß als Belohnung zu begehren; aber ich hätte niemals ohne Schutz, ohne Freund in die weite Welt hinauswandern sollen. Er sei gewiß, daß ich viel mehr gelitten, als ich ihm jetzt gebeichtet habe.
»Nun, welcher Art meine Leiden und Entbehrungen auch gewesen sein mögen, so waren sie doch nur von kurzer Dauer,« erwiderte ich und dann fuhr ich fort, ihm zu berichten, wie man mich in Moor-House aufgenommen hatte, wie ich die Stelle einer Schulleiterin erhalten u. s. w. In der richtigen Reihenfolge kam dann, wie ich zu meinem Reichtum gelangt, und die Auffindung meiner Verwandten. Natürlich kam der Name St. John Rivers im Verlauf meiner Erzählung häufig vor. Als ich zu Ende war, knüpfte er sofort an diesen Namen an.
»Dieser St. John ist also dein Vetter?«
»Ja.«
»Du hast viel von ihm gesprochen. Hattest du ihn lieb?«
»Er war ein sehr guter Mann, Sir; ich konnte nicht umhin, ihn lieb zu haben.«
»Ein guter Mann? Bedeutet das ein achtbarer, ruhiger Mann von fünfzig Jahren? Oder was soll das heißen?«
»St. John war erst neunundzwanzig Jahre alt, Sir.«
»Jeune encore,« wie die Franzosen sagen. Ist er ein Mensch von kleiner Figur, phlegmatisch und häßlich? Ein Mensch, dessen Güte eigentlich mehr darin besteht, daß er keinem Laster fröhnt, als daß er irgend eine Tugend übt?«
»Er ist unermüdlich thätig. Er lebt nur, um große und erhabene Thaten zu vollbringen.«
»Aber sein Verstand? Der wird wohl nur gering sein! Er hat die besten Absichten, aber man zuckt die Achseln, wenn man ihn reden hört?«
»Er spricht wenig, Sir; was er aber sagt, trifft stets ins Schwarze. Er hat einen außerordentlichen Verstand, – das ist meine Ansicht – nicht sehr empfänglich, aber mächtig.«
»Er ist also ein gescheiter Mann?«
»Sehr gescheit.«
»Ein durch und durch gebildeter Mann?«
»St. John Rivers ist ein hervorragender und gründlich gebildeter Gelehrter.«
»Aber mich dünkt, du sagtest, daß seine Manieren nicht ganz nach deinem Geschmack seien? – pfäffisch und langweilig?«
»Ich sprach durchaus nicht von seinen Manieren; aber ich müßte einen sehr schlechten Geschmack haben, wenn sie mir nicht gefielen. Er ist höflich, ruhig und beherrscht sich stets.«
»Sein Äußeres, – ich habe ganz vergessen, welche Beschreibung du von seinem Äußeren machtest; eine Art von ungehobeltem Landprediger, der in seiner weißen Krawatte halb erstickt und auf seinen dicksohligen Stiefeln wie auf Stelzen geht, was?«
»St. John kleidet sich sehr gut. Er ist ein schöner Mann, schlank, blaß, mit blauen Augen und griechischem Profil.«
(Beiseite:) »Hol ihn der Teufel!« – (Zu mir gewendet:) »Und hattest du ihn lieb, Jane?«
»Ja, Mr. Rochester, ich hatte ihn lieb; aber Sie haben mich ja schon einmal danach gefragt.«
Ich bemerkte natürlich schon lange, was der Fragesteller beabsichtigte. Die Eifersucht hatte sich seiner bemächtigt, sie quälte und reizte ihn, aber dieser Reiz war gesund, er riß ihn aus der qualvollen Melancholie, welcher er anheimgefallen. Deshalb wollte ich das grünäugige Ungeheuer auch nicht sofort bändigen.
»Vielleicht wird es Ihnen unbequem, Miß Eyre, noch länger auf meinem Knie zu sitzen?« war seine nächste ziemlich unerwartete Bemerkung.
»Weshalb, Mr. Rochester?«
»Das Bild, welches Sie mir soeben entworfen haben, muß Ihnen den überwältigenden Kontrast noch deutlicher vor Augen führen. Ihre Worte haben einen herrlichen Apoll auf das anmutigste gezeichnet; er steht Ihnen sehr lebhaft vor Augen – schlank, bleich, blaue Augen, griechisches Profil! Und jetzt ruhen Ihre Augen auf einem Vulkanus – ein wahrer Grobschmied, braun, breitschultrig und obendrein noch lahm und blind.«
»Daran habe ich bis jetzt noch nicht gedacht; aber Sie sind dem Vulkanus allerdings ähnlich, Sir.«
»Gut, schöne Dame, Sie können mich jetzt verlassen; aber bevor Sie gehen,« (und hier hielt er mich fester denn zuvor) »werden Sie die Gewogenheit haben, mir noch eine oder zwei Fragen zu beantworten.«
Er hielt inne.
»Welche Fragen, Mr. Rochester?«
Dann kam folgendes Kreuzverhör:
»St. John verschaffte dir den Platz der Lehrerin in Morton, bevor er noch wußte, daß du seine Cousine seiest?«
»Ja.«
»Pflegtest du oft mit ihm zusammen zu sein? Besuchte er die Schule häufig?«
»Täglich.«
»Und er billigte deinen Lehrplan, Jane? Ich bin überzeugt, daß dieser gut war, denn du bist ein talentvolles Geschöpf.«
»Er billigte ihn, ja.«
»Er hat wohl manche gute Seiten an dir entdeckt, auf die er nicht vorbereitet war? Einige deiner Talente sind ganz ungewöhnlicher Art.«
»Das weiß ich wirklich nicht.«
»Du sagst, du habest ein kleines Häuschen in der Nähe der Schule gehabt? Kam er oft dorthin, um dich zu besuchen?«
»Dann und wann.«
»Am Abend?«
»Ein- oder zweimal.«
Pause.
»Und wie lange wohntest du noch mit ihm und seinen Schwestern zusammen, nachdem die Verwandtschaft entdeckt war?«
»Fünf Monate.«
»Verbrachte St. John Rivers einen großen Teil seiner Zeit mit den Damen seiner Familie?«
»Ja. Das rückwärtsgelegene Wohnzimmer war sowohl sein Studirzimmer wie das unsere. Er saß am Fenster, und wir am Tische.«
»Studierte er viel?«
»Sehr viel.«
»Was?«
»Hindostanisch.«
»Und was thatest du inzwischen?«
»Anfangs lernte ich Deutsch.«
»Lehrte er es dich?«
»Er war des Deutschen nicht mächtig.«
»Lehrte er dich gar nichts?«
»Ein wenig Hindostanisch.«
»Rivers lehrte dich Hindostanisch?«
»Ja, Sir.«
»Und seine Schwestern ebenfalls?«
»Nein.«
»Nur dich?«
»Nur mich.«
»Batest du ihn, es dich zu lehren?«
»Nein.«
»So wünschte er, dich zu unterrichten?
»Ja.«
Zweite Pause.
»Weshalb wünschte er es? Welchen Nutzen sollte dir Hindostansch bringen?«
»Er wollte, daß ich mit ihm hinaus nach Indien gehe.«
»Ah! jetzt komme ich endlich an die Wurzel des Ganzen. Er wollte, daß du seine Frau werdest?«
»Er bat mich, ihn zu heiraten.«
»Das ist eine Lüge – eine freche Erfindung, um mich zu ärgern.«
»Ich bitte um Verzeihung, es ist wörtlich die Wahrheit; er hat mir mehr als einen Heiratsantrag gemacht, und beharrte ebenso hartnäckig bei seinem Willen, wie Sie es gethan haben würden.«
»Miß Eyre, ich wiederhole es noch einmal, Sie können mich verlassen. Wie oft soll ich denn noch eine und dieselbe Sache wiederholen? Weshalb bleiben Sie so eigensinnig auf meinem Schoße sitzen, wenn ich Ihnen sage, daß Sie gehen sollen?«
»Weil ich mich hier sehr wohl fühle.«
»Nein, Jane, du fühlst dich hier nicht wohl, denn dein Herz weilt nicht bei mir; es weilt bei deinem Vetter, St. John Rivers! O, bis zu diesem Augenblick glaubte ich, daß meine kleine Jane nur mir allein gehöre! Selbst nachdem sie von mir geflohen, glaubte ich noch, daß sie mich liebe, – das war das einzige Atom von Süßigkeit in meinem bitteren Leidenskelch. Wie lange wir auch getrennt gewesen – wieviel heiße Thränen ich auch über unsere Trennung geweint – niemals glaubte ich doch, daß sie einen anderen liebe, während ich sie so innig betrauerte! Aber was nützt mein Jammer! Jane, verlaß mich! Geh hin und vermähle dich mit Rivers.«
»Dann stoßen Sie mich fort, Sir – stoßen Sie mich fort! Aus eigenem Antriebe verlasse ich Sie nicht.«
»O, Jane, wie liebe ich den Laut deiner Stimme noch! Er erweckt immer wieder Hoffnung in mir, er klingt so ehrlich und treu. Wenn ich ihn höre, trägt er mich ein ganzes Jahr in die Vergangenheit zurück. Ich vergesse, daß du neue Bande geknüpft hast! – Aber ich bin kein Thor – geh –«
»Wohin soll ich gehen, Sir?«
»Geh deinen eigenen Weg mit dem Gatten, den du dir erwählt hast.«
»Und wer ist das?«
»Du weißt es, – St. John Rivers.«
»Er ist mein Gatte nicht und wird es niemals werden. Er liebt mich nicht – ich liebe ihn nicht. Er liebt (so wie er lieben kann, und das ist nicht, wie Sie lieben können) ein schönes, junges Mädchen, Rosamond Olliver. Mich wollte er nur heiraten, weil er glaubte, daß ich mich sehr zur Gattin eines Missionärs eignen würde – und das erwartete er von ihr nicht. Er ist gut und groß, aber strenge, und mir gegenüber kalt wie ein Eisberg. Er ist nicht wie Sie, Sir; ich bin nicht glücklich an seiner Seite, noch in seiner Nähe, noch in seiner Gesellschaft. Er hat keine Nachsicht mit mir – keine Zärtlichkeit für mich. Er sieht nichts Anziehendes in mir, nicht einmal meine Jugend – nur einige nützliche, geistige Eigenschaften. – Und nun soll ich Sie verlassen, Sir, um zu ihm zu gehen?«
Unwillkürlich überlief mich ein Schauer, und ich klammerte mich instinktiv fester an meinen geliebten, blinden Gebieter. Er lächelte milde.
»Was, Jane! Ist dies wahr? Stehen die Dinge wirklich so zwischen dir und St. John Rivers?«
»Ganz so, Sir, O, Sie haben keine Ursache, eifersüchtig zu sein! Ich wollte Sie nur ein wenig wecken, um Sie Ihrer Traurigkeit zu entreißen. Ich glaubte, Ärger sei besser für Sie als Kummer. Wenn Sie aber wollen, daß ich Sie liebe!! Ach! könnten Sie nur sehen, wieviel grenzenlose Liebe zu Ihnen auf dem Grunde meines Herzens ruht, so würden Sie stolz und zufrieden zugleich sein. Mein ganzes Herz, meine ganze Seele gehören Ihnen, Sir. Und bei Ihnen würden sie bleiben, wenn das Schicksal so grausam wäre, mein übriges Ich für immer aus Ihrer Nähe zu verbannen!«
Er küßte mich. Aber wiederum zogen trübe Wolken über seine Stirn.
»Mein verlorenes Augenlicht! Meine gelähmte Kraft!« murmelte er traurig vor sich hin.
Ich liebkoste ihn, um ihn zu beruhigen. Ich wußte, an was er dachte; gern hätte ich für ihn gesprochen, aber ich hatte nicht den Mut dazu. Als er den Kopf einen Augenblick zur Seite wandte, sah ich eine Thräne unter seinen geschlossenen Lidern hervorquellen und über seine gebräunte Wange rollen. Mein Herz klopfte laut und heftig. »Jetzt bin ich nichts besseres als der alte vom Blitzstrahl getroffene Nußbaum im Obstpark von Thornfield-Hall,« bemerkte er nach längerem Schweigen, »Und welches Recht hätte jener Baumstumpf, von einer blühenden Waldwinde zu verlangen, daß sie seinen Verfall mit frischem Grün bedecke?«
»Sie sind kein toter Baumstumpf, keine Ruine, Sir – kein vom Blitz zerschmetterter Baum; Sie sind noch grün und kräftig. An Ihren Wurzeln werden Pflanzen emporschießen, ob Sie sie nun fragen oder nicht, denn sie empfinden Wohlbehagen in Ihrem wohlthätigcn Schatten. Und wie sie wachsen, werden sie sich an Sie lehnen und sich um Sie schlingen, weil Ihre Kraft den zarten Schößlingen einen so sicheren Halt gewährt.«
Wiederum lächelte er. Ich spendete ihm Trost.
»Du sprichst von Freunden, Jane?« fragte er.
»Ja, von Freunden,« entgegnete ich ein wenig zögernd, denn ich war mir wohl bewußt, mehr als Freunde im Sinne zu haben. Aber ich fand das rechte Wort nicht so schnell. Er half mir jedoch.
»Ach, Jane! ich sehne mich ja nach einer Gattin.«
»Wirklich, Sir?«
»Ja! überrascht dich das?«
»Natürlich! Bis jetzt ließen Sie nichts davon verlauten.«
»Ist es eine unwillkommene Nachricht für dich?«
»Das hängt von Umständen ab, Sir – oder eigentlich von Ihrer Wahl.«
»Die sollst du für mich treffen, Jane. Von deinem Entschluß will ich alles abhängig machen.«
»So wählen Sie die, – welche Sie am meisten liebt, Sir.«
»Wenigstens will ich diejenige wählen, – welche ich am meisten liebe. Jane, willst du mich heiraten?«
»Ja, Sir.«
»Einen armen, blinden Mann, den du an der Hand führen mußt, Janet?«
»Ja, Sir.«
»Einen Krüppel, der zwanzig Jahre älter ist als du, den du warten und pflegen mußt!«
»Ja, Sir.«
»Wirklich, Jane?«
»Wirklich und wahrhaftig, Sir,«
»O mein Liebling! mein Liebling! der allmächtige Gott segne dich und belohne dich!«
»Mr. Rochester, wenn ich je in meinem Leben eine gute That vollbracht habe – wenn ich einen edlen Gedanken gedacht habe – wenn ich ein reines und aufrichtiges Gebet gebetet habe – wenn ich einen gerechten Wunsch gehegt habe – so bin ich jetzt belohnt. Ihre Gattin werden bedeutet für mich, so glücklich zu sein, wie ich es auf dieser Erde überhaupt werden kann.«
»Weil du glücklich bist, wenn du Opfer bringen kannst.«
»Opfer! Was opfere ich denn? Ich gebe die Hungersnot für Nahrung hin, Erwartung für Zufriedenheit. Daß es mir vergönnt ist, mit meinen Armen zu umschlingen, was ich wert halte – meine Lippen auf das zu drücken, was ich liebe – bei dem auszuruhen, welchem ich vertraue: heißt das ein Opfer bringen? Und wenn dem so ist, dann bin ich allerdings glücklich, Opfer bringen zu können.«
»Und meine Gebrechlichkeit zu ertragen, Jane, meine Mängel zu übersehen?«
»Für mich ist es keine Gebrechlichkeit, kein Mangel, Sir. Jetzt, wo ich Ihnen wirklich von Nutzen sein kann, liebe ich Sie inniger als zur Zeit Ihrer stolzen Unabhängigkeit, wo Sie jede andere Rolle als die des Gebers und Beschützers verschmähten.«
»Bis jetzt haßte ich es, wenn man mir half, wenn man mich führte. Aber von nun an – das fühle ich – wird es mir nicht mehr verhaßt sein. Es war mir fürchterlich, meine Hand in die eines Mietlings zu legen, aber es ist wohlthuend, sie von Janes zarten Fingern umfassen zu lassen. Ich zog absolute Einsamkeit der beständigen Gegenwart meiner Dienstboten vor; aber Janes sanfte, geduldige Leitung wird eine immerwährende Freude für mich sein. Jane ist mir angenehm. Bin ich es ihr auch?«
»Sympathisch bis in die zarteste Fiber meines Ichs, Sir.«
»Nun, wenn dies der Fall ist, so haben wir auf nichts in der Welt mehr zu warten; wir müssen uns sofort verheiraten.«
Er sah erregt aus und sprach lebhaft; sein alter Ungestüm erwachte wieder.
»Ohne Aufschub müssen wir eins werden, Jane. Wir brauchen nur noch die obrigkeitliche Erlaubnis – dann heiraten wir.«
»Mr. Rochester, soeben entdecke ich, daß die Sonne bereits tief unter dem Meridian steht, und Pilot ist wirklich schon zum Mittagsessen nach Hause gegangen. Lassen Sie mich Ihre Uhr sehen.«
»Befestige sie an deinem Gürtel, Janet, und behalte sie in Zukunft. Ich kann sie ja doch nicht mehr brauchen.«
»Es ist beinahe vier Uhr nachmittags, Sir. Sind Sie gar nicht hungrig?«
»In drei Tagen muß unser Hochzeitstag sein, Jane. Laß es gut sein mit schönen Kleidern und Juwelen und dergleichen Dingen: alles das ist doch keinen Pfifferling wert.«
»Die Sonne hat jeden Regentropfen aufgesogen, Sir, Der Wind hat sich gelegt – es ist heiß geworden.«
»Weißt du, Jane, daß ich in diesem Augenblick dein kleines Perlhalsband an meinem bronzefarbenen Halse unter meiner Krawatte trage? Ich trug es seit dem Tage, da ich meinen einzigen Schatz verlor, als ein Andenken an sie.«
»Wir wollen durch den Wald nach Hause gehen, dort finden wir einen schattigen Weg.« Ohne meiner Worte zu achten, verfolgte er seinen eigenen Gedankengang.
»Jane! ich bin überzeugt, daß du mich für einen ungläubigen Heiden hältst, aber in diesem Augenblick schwillt mein Herz voll Dankbarkeit gegen den allbarmherzigen Gott dieser Erde. Er sieht nicht wie Menschen sehen, er sieht klarer. Er urteilt nicht wie Menschen urteilen, sondern viel weiser. Ich that unrecht. Ich wollte meine unschuldige Blume beschmutzen – ich wollte ihre Reinheit mit Schuld besudeln – und der Allmächtige entriß sie mir. Ich, in meiner starren Empörung verfluchte diese Gottesfügung; anstatt mich dem Ratschluß zu beugen, trotzte ich ihm. Doch die göttliche Gerechtigkeit nahm ihren Lauf; das Unglück drückte mich fast zu Boden; ich wurde gezwungen durch das Thal der Schatten des Todes zu wandern. Seine Züchtigungen sind mächtig, und eine traf mich, die mich für immer gedemütigt hat. Du weißt, ich war stolz auf meine Kraft. Und was ist sie jetzt? Ich muß mich fremder Führung überlassen wie ein schwaches, unmündiges Kind. Erst seit kurzem, Jane – seit kurzem begann ich Gottes Hand in meiner Strafe zu erkennen. Ich begann Gewissensqualen, Reue zu empfinden, den Wunsch, mich mit meinem Schöpfer zu versöhnen. Zuweilen begann ich zu beten; es waren nur kurze Gebete, aber sie waren aufrichtig.«
»Vor einigen Tagen – nein, ich kann sie zählen – es sind ihrer vier her; es war am Abend des letzten Montags, da bemächtigte sich meiner eine eigentümliche Stimmung; an Stelle der Wut und des Wahnsinns trat Kummer, an Stelle des Trotzes Schmerz. Lange schon war die Überzeugung in mir wach geworden, daß du tot sein müssest, da ich dich nirgend finden konnte. Spät an jenem Abend – es mochte vielleicht zwischen elf und zwölf Uhr sein, ehe ich mich auf mein trostloses Lager zur Ruhe legte, bat ich Gott, daß er mich bald, wenn es ihm so gefiele, aus diesem Leben nehmen und mich in jenes andere eingehen lassen möge, wo ich die Hoffnung hatte, meine Jane wieder zu finden.
»Ich war in meinem eigenen Zimmer und saß am geöffneten Fenster; die balsamische Nachtluft wirkte beruhigend auf mich. Ich konnte die Sterne nicht sehen, und nur ein vager, heller Nebel verriet mir, daß der Mond aufgegangen. O, Janet, und ich sehnte mich nach dir. Ich sehnte mich nach dir mit Leib und Seele. Ich fragte Gott – in Angst und in Demut, ob ich nun nicht lange genug einsam, heimgesucht und gequält gewesen sei; ob ich denn niemals wieder Glück und Frieden finden solle. Ich bekannte ihm, daß ich alles verdient, was ich leiden müsse – daß ich aber kaum noch mehr ertragen könne. Und dann brach das Alpha und Omega all meiner Herzenssehnsucht unwillkürlich von meinen Lippen in den Worten:
»Jane! Jane! Jane!«
»Und sprachen Sie diese Worte laut?«
»Das that ich, Jane. Wenn irgend ein Lauscher mich gehört hätte, so würde er mich für wahnsinnig gehalten haben, denn ich sprach sie mit tobender Energie aus.«
»Und es war am letzten Montag Abend? Ungefähr um die Mitternachtsstunde?«
»Ja; aber die Zeit hat ja nichts zu bedeuten; was dann folgte, ist das seltsame an der Sache. Du wirst mich für abergläubisch halten – denn ich habe etwas Aberglauben im Blute, hatte ihn stets – aber es ist dennoch wahr – wahr wenigstens ist, daß ich hörte, was ich jetzt erzähle.
»Als ich rief: Jane! Jane! Jane! erwiderte eine Stimme – ich kann nicht sagen, woher sie kam, aber ich weiß, wessen Stimme es war – »Ich komme, warte auf mich«, und gleich darauf trug der Wind mir noch die geflüsterten Worte zu: »Wo bist du?«
»Wenn ich kann, will ich dir den Gedanken, das Bild beschreiben, welches jene Worte vor meinem Gemüte entrollten; doch ist es schwer auszudrücken, was ich ausdrücken möchte. Wie du siehst, liegt Ferndean in einem dichten Walde begraben, wo jeder Schall dumpf ist und ohne Widerhall erstirbt, »Wo bist du« schien zwischen Bergen gesprochen, denn ich hörte, daß ein Bergecho die Worte wiederholte. Kühler und frischer schien der Wind in diesem Augenblick meine heiße Stirn zu umfächeln; ich hätte mir beinahe einbilden können, daß Jane und ich uns an einem wilden, einsamen Orte wiederfanden. Unsere Seelen, glaube ich, müssen sich gefunden haben. Du, Janet, lagst zu jener Stunde ohne Zweifel in tiefem, unbewußtem Schlummer, vielleicht entwand sich deine Seele ihrer Hülle und kam, um die meine zu trösten; denn es war deine Stimme – so wahr ich lebe – es war deine Stimme!«
Mein Leser! es war am Montag Abend – gegen Mitternacht – als auch ich den geheimnisvollen Ruf vernahm; es waren jene Worte, mit denen ich ihn beantwortet hatte. Ich horchte auf Mr. Rochesters Erzählung, aber ich machte ihm meinerseits keine Enthüllung. Das Zusammentreffen schien mir zu unerklärlich und schreckensvoll, um darüber zu sprechen. Wenn ich irgend etwas erzählte, so wäre meine Erzählung notwendigerweise derart gewesen, daß sie einen tiefen Eindruck auf das Gemüt meines Zuhörers machte; und dieses Gemüt, welches nach all seinen Leiden dem düsteren Nachdenken nur zu sehr unterworfen war, bedurfte nicht noch des tiefen Schattens, den das Übernatürliche stets um sich wirft. Ich behielt diese Dinge also für mich und grübelte allein darüber nach.
»Du kannst dich jetzt also nicht wundern,« fuhr mein Gebieter fort, »daß es mir schwer wurde, dich für etwas anderes als eine Vision, eine Stimme zu halten, als du so plötzlich gestern Abend vor mir standest; ich meinte, du würdest wieder in Schweigen und in das Nichts zurücksinken, wie jenes mitternächtliche Flüstern und Bergesecho vor dir dahingeschwunden war. Jetzt danke ich Gott! ich weiß es besser! Ja, ich danke Gott von ganzem Herzen!«
Er schob mich von seinem Schooße, erhob sich, nahm ehrerbietig den Hut vom Kopfe und indem er seine blinden Augen zur Erde senkte, stand er lange in stummer Andacht da. Nur die letzten Worte seines Gebets waren hörbar.
»Ich danke meinem Schöpfer, daß er inmitten in der Strafe doch Gnade walten läßt. Ich bitte meinen Erlöser in aller Demut, daß er mir Kraft geben möge, von jetzt an ein besseres, reineres Leben zu führen als bisher!«
Dann streckte er die Hand aus, daß ich ihn führe. Ich ergriff die teure Hand, preßte sie einen Augenblick an meine Lippen, und ließ ihn sie dann auf meine Schulter legen. Da ich soviel kleiner war als er, diente ich ihm sowohl als Stütze wie als Führer. Wir gingen in den Wald hinein und wendeten uns heimwärts. 

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