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经典小说德语版:简爱-Zehntes Kapitel
日期:2013-10-27 08:03  点击:209
Je näher ich die Bewohner von Moorhouse kennen lernte, desto besser gefielen sie mir. Nach wenigen Tagen hatte ich meine Gesundheit schon so weit wieder erlangt, daß ich den ganzen Tag über aufbleiben und sogar schon kurze Spaziergänge machen konnte. Ich konnte mich mit Diana und Mary in all ihre Beschäftigungen teilen, mich mit ihnen unterhalten soviel sie mochten, und ihnen helfen, wo und wann sie es mir gestatteten. In diesem Verkehr lag ein frisch belebendes Vergnügen, das ich hier zum erstenmale empfand – das Vergnügen, welches Gleichartigkeit des Geschmacks, der Gefühle und der Grundsätze uns stets gewährt.
Ich liebte die Lektüre, welche sie liebten, was ihnen Freude machte, entzückte mich; was sie billigten, verehrte ich. Sie liebten ihr von der Welt entlegenes Heim. Auch ich fand einen mächtigen und anhaltenden Reiz in dem kleinen, alten, grauen Gebäude mit seinem niedrigen Dache, seinen vergitterten Fenstern, seinen zerbröckelnden Mauern, seiner Allee von uralten Tannen, welche alle schief unter dem Druck der Gebirgsstürme empor gewachsen waren – mit seinem Garten voll Stechpalmen und Taxusbäumen, in dem nur die allerabgehärtesten Blumen zur Blüte kommen konnten. Sie hingen mit inniger Liebe an der rotblühenden Heide, in deren Mitte ihr Wohnsitz lag – an dem tiefen Thal, in welches der steinige Reitweg, der sich an ihrem Thor vorüberzog, hinunterführte und sich zuerst zwischen Farrenkraut bewachsenen Hügeln und dann zwischen den wildesten kleinen Waideplätzen hindurchschlängelte, welche je ein weites Heideland begrenzt oder einer Herde grauer Moorlandschafe mit ihren kleinen Lämmern das Leben gefristet haben. Sie hingen mit vollständig enthusiastischer Liebe an dieser Landschaft, wie ich sagte. Und ich konnte das Gefühl verstehen und seine Wahrheit und Macht vermochte ich zu teilen. Ich empfand den fesselnden Zauber des Ortes. Ich empfand die Heiligkeit seiner Einsamkeit; mein Auge ergötzte sich an diesen Umrissen von Berg und Thal – an der wilden Färbung, welche Moos und Heiderosen und blumenbestreute Wiesen und prächtige Farrenkräuter und Granitfelsenklippen den Hügeln und der Ebene verliehen. All diese Einzelheiten waren für mich, was sie für sie waren – ebensoviele reine und süße Quellen der Freude. Der scharfe Wind und die leichte Briese; die rauhen und die halcyonischen Tage, die Stunde des Sonnenaufgangs und des Sonnenuntergangs; das Mondlicht und die wolkige Nacht – alles dies übte in diesen Regionen dieselbe Anziehungskraft auf mich aus, wie auf sie – nahm mich mit demselben Zauber gefangen, der sie längst umstrickt hatte.
Auch im Hause stimmten wir so gut zusammen. Sie waren beide viel gebildeter und hatten mehr gelesen als ich, aber emsig folgte ich ihnen auf dem Pfade des Wissens, welchen sie schon vor mir betreten hatten. Ich verschlang die Bücher, welche sie mir geborgt hatten, und dann gewährte es mir die größte Befriedigung, am Abend das mit ihnen zu besprechen, was ich während des Tages gelesen hatte. Ihre Gedanken paßten genau zu den meinigen; ihre Ansichten teilte auch ich – kurzum, wir harmonierten in allem vollkommen.
Aber in unserem Trio gab es eine Erste, eine Anführerin. Das war Diana. Physisch übertraf sie mich bei weitem: sie war schön, sie war stark und kräftig. Ihr animalischer Geist hatte einen Überfluß von Leben, war von einer Widerstandsfähigkeit, die meine höchste Verwunderung erregte, während sie mein Begriffsvermögen überstieg. Wenn der Abend begann, vermochte ich eine Zeitlang zu reden, aber wenn der erste Strom meiner Rede und meiner Lebhaftigkeit vorüber war, liebte ich es, mich auf einen Schemel zu Dianas Füßen zu setzen, meinen Kopf in ihren Schoß zu legen und abwechselnd ihr und Mary zuzuhören, während sie das Thema, welches ich nur flüchtig berührt hatte, gründlich erörterten. Diana erbot sich, mich deutsch zu lehren. Es war mir eine Freude, von ihr zu lernen; ich sah, daß das Amt einer Lehrerin für sie paßte und ihr angenehm war; das der Schülerin gefiel und paßte mir nicht weniger. Unsere Naturen ergänzten sich: gegenseitige Liebe der wärmsten Art war das Resultat davon. Sie entdeckten, daß ich malen konnte: augenblicklich standen ihre Bleistifte und Farbenkasten zu meiner Verfügung. Meine Geschicklichkeit, die in diesem einen Punkte größer war als die ihre, überraschte und entzückte sie. Mary konnte stundenlang sitzen und mir zusehen; dann nahm sie Unterricht bei mir, und eine folgsame, intelligente, fleißige Schülerin war sie in der That. So beschäftigt und in Anspruch genommen, gingen die Tage wie Stunden, die Wochen wie Tage hin.
Die Vertraulichkeit, welche so schnell und so natürlich zwischen seinen Schwestern und mir entstanden war, dehnte sich nicht auf Mr. St. John aus. Ein Grund der Kälte, welche zwischen ihm und mir herrschte, lag darin, daß er nur selten zu Hause war. Der größte Teil seiner Zeit schien durch Besuche bei den Kranken und Armen seiner weit zerstreuten Gemeinde in Anspruch genommen zu sein.
Weder Wind noch Wetter schien ihn an diesen seelsorgerischen Ausflügen zu hindern; sobald die Stunden seiner allmorgendlichen Studien vorüber waren, pflegte er – ob schön ob Regen – seinen Hut zu nehmen und, gefolgt von Carlo, dem alten Vorstehhund seines Vaters, sich auf seine Mission der Pflicht oder der Liebe zu begeben – ich weiß nicht in welchem Licht er sie betrachtete. Zuweilen, wenn es ein sehr ungünstiger Tag war, pflegten seine Schwestern ihm Gegenvorstellungen zu machen. Dann sagte er wohl mit einem Lächeln, das mehr feierlich als fröhlich war:
»Und wenn ich mich nun durch einen Windhauch oder ein paar Regentropfen von diesen leichten Aufgaben abhalten ließe, welche Vorbereitung wäre denn solche Trägheit für die Zukunft, welcher ich entgegengehe?«
Dianas und Marys gewöhnliche Antwort auf diese Frage waren ein Seufzer und einige Minuten anscheinend traurigen Sinnens.
Aber außer seiner häufigen Abwesenheit gab es noch ein zweites Hindernis für die Freundschaft mit ihm: er schien eine reservierte, abstrakte, sogar brütende Natur. Eifrig in seinen seelsorgerischen Pflichten, tadellos in seinem Leben und seinen Gewohnheiten, schien er sich doch nicht jenes Seelenfriedens zu erfreuen, jener inneren Zufriedenheit, welche der Lohn jedes echten Christen und thatkräftigen Menschenfreundes sein sollte. Oft wenn er abends am Fenster saß, sein Pult und seine Papiere vor sich, konnte er mit dem Lesen oder Schreiben innehalten, das Kinn in die Hand stützen und sich Gott weiß welchen Gedanken hingeben. Daß diese indessen aufregend und unruhig waren, konnte man an dem häufigen Aufblitzen seiner Augen sehen.
Außerdem glaube ich nicht, daß die Natur ihm so viele Quellen der Wonne und des Entzückens bot, wie seinen Schwestern. Nur einmal, nur ein einziges Mal sprach er in meiner Gegenwart über den wunderbaren Reiz, welchen diese rauhen, schroffen Hügel auf ihn ausübten, und über die angeborene Liebe für das düstere Dach und die bemoosten Mauern, die er sein Heim nannte. Aber in seinen Worten lag mehr herbe Trauer, als sich mit dem Gefühl vertrug, dem er Ausdruck verlieh. Auch schien es mir stets, als durchstreife er Heide und Moor nicht um ihrer beruhigenden, tröstenden Stille und Einsamkeit willen – als suche er sie nicht auf um der tausend friedlichen Freuden halber, die sie ihm doch hätten gewähren können.
Da er wenig mitteilsam war, so verging geraume Zeit, ehe ich Gelegenheit fand, sein Gemüt zu ergründen. Erst als ich ihn in seiner eigenen Kirche in Morton predigen hörte, bekam ich einen Begriff seiner Tiefe. Ich wollte, ich könnte jene Predigt beschreiben, aber das übersteigt meine Kraft. Ich vermag nicht einmal getreu den Eindruck wiederzugeben, den sie auf mich machte.
Sie begann ruhig. Und sie blieb auch bis zu Ende ruhig, was Vortrag und Laut der Stimme betraf – aber ein tiefempfundener, jedoch streng in den Grenzen gehaltener Eifer atmete bald aus jedem seiner deutlichen Worte und beflügelte seine nervöse Sprache. So wurde es zur Macht! Das Herz ward erschüttert, das Gemüt überwältigt durch die Kraft des Predigers – aber der Zuhörer ward nicht beruhigt. Das Ganze durchwehte eine seltsame Bitterkeit; ein Mangel an tröstender Sanftmut: starre Mahnungen an calvinistische Doctrinen – Berufung, Gnadenwahl, ewige Verdammnis – das alles kehrte häufig wieder, und jede Bezugnahme auf diese Punkte klang wie ein Urteilsspruch. Als er zu Ende war, empfand ich eine unbeschreibliche Traurigkeit, anstatt mich besser, ruhiger, aufgeklärter durch seine Rede zu fühlen; denn mir schien es – ich weiß nicht, ob andere dasselbe empfanden, – als ob die Beredsamkeit, welcher ich gelauscht hatte, einer Tiefe entsprang, wo der trübe Bodensatz der Enttäuschung lagerte, wo qualvolle Impulse ungestillten Sehnens und beunruhigenden Strebens tobten. Ich war überzeugt, daß St. John Rivers – rein und gewissenhaft und eifrig wie er war – doch noch nicht jenen göttlichen Frieden gefunden hatte, welcher über alle Vernunft geht; er hatte ihn ebensowenig gefunden, dachte ich, wie ich selbst; ich mit meinem geheimen, folternden Gram um mein zerstörtes Ideal, mein verlorenes Paradies – Gram, von dem ich in letzter Zeit nicht mehr gesprochen, der mich aber gänzlich gefangen hielt und mich schonungslos beherrschte.
Inzwischen war ein Monat vergangen. Diana und Mary sollten Moor-House bald wieder verlassen und zu dem sehr verschiedenen Leben und Treiben zurückkehren, welches ihrer als Gouvernanten in einer großen, fashionablen Stadt im Süden Englands harrte; wo jede von ihnen eine Stelle in Familien innehatte, deren hochmütige, reiche Mitglieder sie nur wie armselige Dienerinnen betrachteten, keine ihrer ausgezeichneten Eigenschaften suchten oder kannten, und ihre hervorragenden Fähigkeiten nur so zu schätzen wußten, wie sie die Geschicklichkeit ihres Kochs oder den auserlesenen Geschmack ihrer Kammerfrauen zu würdigen verstanden.
Mr. St. John hatte noch nicht eine Silbe mit mir über die Stellung gesprochen, welche er mir zu verschaffen gelobt; und doch wurde es jetzt dringend notwendig, daß ich einen Beruf irgend welcher Art erwählte. Als ich eines Morgens mit ihm allein gelassen war, faßte ich den Mut, mich der Fenstervertiefung des Wohnzimmers zu nähern, welche sein Tisch, sein Schreibpult und sein Stuhl zu einer Art von Studierzimmer geweiht hatten, und ich war im Begriff zu sprechen, obgleich ich noch nicht recht wußte, in welche Worte ich meine Frage kleiden sollte – denn es ist zu allen Zeiten schwierig, das Eis der Zurückhaltung zu brechen, in welches derartige Naturen sich zu hüllen pflegen – als er mich der Mühe überhob, indem er derjenige war, welcher das Zwiegespräch begann.
Er blickte auf, als ich mich ihm näherte und sagte: »Sie wollen eine Frage an mich richten?«
»Ja; ich möchte wissen, ob Sie von irgend einer Arbeit gehört haben, zu deren Verrichtung ich mich erbieten könnte.«
»Schon vor drei Wochen fand oder plante ich etwas für Sie; da Sie hier aber glücklich schienen und sich nützlich machten, da meine Schwestern Sie augenscheinlich lieb gewonnen hatten und Ihre Gesellschaft den beiden außerordentliche Freude gewährte, so hielt ich es nicht für ratsam, Ihr gegenseitiges Wohlbehagen früher zu stören, als ihre nahe bevorstehende Abreise von Marsh-End auch die Ihre notwendig machen würde.«
»Sie reisen aber schon in drei Tagen ab,« entgegnete ich.
»Ja, und wenn sie reisen, kehre ich nach dem Pfarrhause von Morton zurück. Hannah wird mich begleiten, und dies alte Haus wird zugeschlossen.«
Ich wartete einige Augenblicke, da ich hoffte, er würde fortfahren, über den zuerst erwähnten Gegenstand zu sprechen; er schien jedoch in einen anderen Gedankengang hineingeraten zu sein. Sein Blick verriet mir, daß er weit von mir und meiner Angelegenheit abgeschweift war. So war ich denn gezwungen, ihn auf ein Thema zurückzubringen, welches notwendigerweise für mich von großer und angstvoller Bedeutung war.
»Und welches war die Beschäftigung, Mr. Rivers, welche Sie für mich im Auge hatten? Ich hoffe, daß dieser Aufschub nicht die Schwierigkeit noch vergrößert hat, sie für mich zu sichern?«
»O nein. Da es eine Beschäftigung ist, welche nur ich zu vergeben, und Sie nur anzunehmen haben.«
Hier hielt er wieder inne. Nur widerstrebend schien er fortzufahren. Ich wurde ungeduldig. Ein oder zwei unruhige Gesten, ein ängstlicher, fragender Blick, den ich auf sein Antlitz heftete, drückte ihm meine Empfindung deutlicher und weniger mühevoll aus, als Worte dazu imstande gewesen wären.
»Sie brauchen sich mit dem Anhören nicht zu beeilen,« sagte er. »Lassen Sie mich Ihnen aufrichtig sagen, daß ich nichts besonders wünschenswertes oder profitables vorzuschlagen habe. Ehe ich mich weiter erkläre, so erinnern Sie sich, ich bitte darum, meines Ausspruches, daß, wenn ich Ihnen hülfe, es nur so sein könne, wie der Blinde dem Lahmen hilft. Ich bin arm; denn ich habe mich jetzt überzeugt, daß mein ganzes Erbe, nachdem ich die Schulden meines Vaters bezahlt habe, in dieser verfallenen Scheune, der Reihe krüppelhafter Tannen hinter derselben und dem Fleckchen Moorerde mit den Taxusbäumen und Stechpalmen darauf besteht. Ich bin ein unbekannter Mann, Rivers ist ein alter Name; aber von den drei einzigen Nachkommen dieses Geschlechts verdienen zwei ihr hartes Brot der Abhängigkeit unter Fremden, und der dritte betrachtet sich als Fremder in seinem Vaterlande – nicht allein für dieses Leben, sondern auch im Tode. Ja, und er erachtet sich – er ist sogar gezwungen sich dafür zu erachten – geehrt durch dieses Los und sehnt sich nur nach dem Tage, an dem das Kreuz der Trennung von allen fleischlichen, irdischen Banden auf seine Schultern gelegt wird, und das Oberhaupt jener kirchlichen Streitmacht, deren geringstes Mitglied er ist, zu ihm das Wort spricht: »Steh auf und folge mir nach!«
St. John sprach diese Worte, wie er seine Predigten sprach, mit einer ruhigen, tiefen Stimme; mit bleichen Wangen aber mit funkelndem Glanz der Augen. Dann fuhr er fort:
»Und da ich selbst arm und unbekannt bin, kann ich auch nur die Hilfe der Armut und des Unbekanntseins bieten. Sie mögen sie vielleicht sogar für entehrend halten – denn jetzt habe ich eingesehen, daß Ihre Gewohnheiten das sind, was die Welt verfeinert nennt. Ihr Geschmack lehnt sich an das Ideale und Ihre Gesellschaft hat aus wohlerzogenen Menschen bestanden – ich jedoch bin der Ansicht, daß kein Dienst entehrt, welcher dazu beiträgt, das Menschengeschlecht besser zu machen. Ich halte dafür, daß je unfruchtbarer und vernachlässigter der Boden ist, auf welchem dem Christen seine Arbeit des Feldbaus und der Urbarmachung angewiesen – je geringer die Ausbeute, welche seine Arbeit ihm bringt – desto größer die Ehre! Unter solchen Umständen ist sein Los das des Pioniers: und die ersten Pioniere des Evangeliums waren die Apostel – ihr Anführer war Jesus Christus, der Erlöser, selbst.«
»Nun,« sagte ich, als er wiederum innehielt, »weshalb fahren Sie nicht fort?«
Er blickte mich an bevor er fortfuhr; in der That, er schien gemächlich in meinem Gesicht zu lesen, als wären seine Züge und Linien die gedruckten Worte eines Buches. Den Schlußfolgerungen, welche er aus dieser Prüfung zog, verlieh er zum Teil in seinen gleich darauf folgenden Äußerungen Ausdruck.
»Ich glaube, daß Sie den Platz, welchen ich Ihnen anbieten will, annehmen werden,« sagte er, »und ihn auch für eine Zeitlang wenigstens behalten werden; nicht für immer indessen, ebensowenig wie ich für immer das enge und beengende, – das stille, verborgene Amt eines englischen Landpredigers ausfüllen könnte; denn in Ihrer Natur liegt ein Etwas, das der Ruhe ebenso widerstrebt, wie in der meinen, wenn es auch anderer Art ist.«
»Erklären Sie sich,« drängte ich, als er wiederum innehielt.
»Das will ich, und Sie werden hören, wie armselig das Anerbieten ist – wie klein – wie knapp. Jetzt, wo mein Vater tot ist und ich mein eigener Herr bin, werde ich nicht mehr lange in Morton bleiben. Wahrscheinlich werde ich den Ort nach Ablauf eines Jahres verlassen; aber so lange ich dort bleibe, werde ich meine Kräfte bis auf das Äußerste anspannen, um ihn zu fördern und zu verbessern. Als ich vor zwei Jahren nach Morton kam, hatte es keine Schule; die Kinder der Armen waren von jeder Hoffnung auf Emporkommen ausgeschlossen. Ich gründete eine für Knaben; jetzt beabsichtige ich eine zweite für Mädchen zu eröffnen. Ich habe zu diesem Zweck ein Gebäude gemietet, und ein dazu gehöriges Häuschen mit zwei Zimmern, welches der Lehrerin als Wohnung dienen soll. Ihr Gehalt wird dreißig Pfund im Jahr betragen; Ihr Haus ist bereits eingerichtet, sehr einfach, aber ausreichend, durch die Güte einer Dame, Miß Oliver, der einzigen Tochter des einzigen reichen Mannes in meiner Gemeinde – Mr. Oliver, welcher Besitzer einer Nähnadelfabrik und eines Hochofens und einer Eisengießerei unten im Thal ist. Dieselbe Dame sorgt für die Erziehung und Kleidung eines Waisenmädchens aus dem Arbeitshause unter der Bedingung, daß sie der Lehrerin in jenen groben Arbeiten ihres Haushalts und der Schule zur Hand geht, welche selbst zu verrichten ihr Amt des Lehrens sie hindert. Wollen Sie die Lehrerin sein?«
Er stellte diese Frage sehr schnell, sehr überstürzt. Er schien halb und halb eine empörte oder wenigstens doch eine verächtliche Zurückweisung dieses Anerbietens zu erwarten. Da er meine Gedanken und Empfindungen nicht kannte, wenn er auch einige derselben erriet, so konnte er unmöglich wissen, in welchem Lichte dieses Los mir erscheinen würde.
In der That, es war bescheiden – aber es war sicher und ich brauchte vor allen Dingen ein geschütztes Asyl; es war mühevoll und anstrengend – aber im Vergleich mit dem Lose einer Gouvernante in einem reichen Hause war es doch immerhin unabhängig. Und die Furcht vor Abhängigkeit von fremden Leuten folterte meine Seele wie ein glühendes Eisen. Es war nicht unedel – nicht unwürdig – nicht geistig erniedrigend – ich faßte meinen Entschluß.
»Ich danke Ihnen für den Vorschlag, Mr. Rivers, ich nehme denselben mit voller Dankbarkeit an.«
»Aber Sie verstehen mich?« sagte er. »Es ist eine Dorfschule; ihre Schülerinnen werden nur arme Mädchen sein – Kinder von Tagelöhnern – im besten Falle Kinder von Pächtern. Stricken, nähen, lesen, schreiben, rechnen – das wird alles sein, was Sie zu lehren haben. Was werden Sie mit Ihren Talenten anfangen? Was mit der großen Tiefe Ihres Gemüts – Ihren Empfindungen – Ihrer Geschmacksrichtung?«
»Sie aufbewahren, bis sie gebraucht werden. Sie halten sich.«
»Sie wissen also, was Sie unternehmen?«
»Ich weiß es.«
Jetzt lächelte er; nicht ein bitteres oder trauriges Lächeln, sondern ein freundliches, zufriedenes.
»Und wann wollen Sie mit der Ausübung Ihrer Pflichten beginnen?«
»Ich will schon morgen in die mir angewiesene Wohnung ziehen und mit Anfang der nächsten Woche die Schule eröffnen, wenn es Ihnen recht ist.«
»Gut. Sei es so.«
Er erhob sich und ging durchs Zimmer. Dann stand er still und blickte mich wiederum an. Er schüttelte den Kopf.
»Was mißbilligen Sie, Mr. Rivers?« fragte ich.
»Sie werden nicht lange in Morton bleiben; nein, nein!«
»Weshalb? Welchen Grund haben Sie, das zu sagen?«
»Ich lese es in Ihrem Auge; es verspricht keinen ebenen, ruhigen Lebensweg.«
»Ich bin nicht ehrgeizig.«
Er fuhr zusammen bei dem Worte »ehrgeizig«. Dann wiederholte er »›ehrgeizig‹; nein. Was ließ Sie an Ehrgeiz denken? Wer ist ehrgeizig? Ich weiß, daß ich es bin. Aber wie haben Sie das entdeckt?«
»Ich sprach nur von mir selbst.«
»Nun, wenn Sie nicht ehrgeizig sind, so sind Sie – –,« hier hielt er inne.
»Was?«
»Ich wollte sagen »leidenschaftlich«; aber vielleicht hätten Sie das Wort mißverstanden und wären verletzt gewesen. Ich meine nur, daß menschliche Sympathien und die Liebe von Herz zu Herz große Macht über Sie haben. Ich bin überzeugt, daß es Ihnen nicht für lange genügen wird, Ihre freie Zeit in Einsamkeit zuzubringen und Ihre Arbeitsstunden einer einförmigen Arbeit zu widmen, welche durchaus jeden Reizes entbehrt – ebensowenig wie ich zufrieden sein kann,« fügte er mit Emphase hinzu, »hier im Morast begraben, von Bergen eingeengt zu leben; meine Natur, die mir Gott gegeben hat, sträubt sich dagegen; meine Fähigkeiten, mir vom Himmel geschenkt, werden gelähmt und liegen nutzlos da. Sie hören jetzt, wie ich mir selbst widerspreche. Ich, der ich Zufriedenheit mit einem bescheidenen Lose predigte und sogar den Beruf eines Holzhackers, eines Wasserschöpfers im Dienste Gottes rechtfertigte – ich, sein gesalbter Bote, ich tobe beinahe in meiner Ruhelosigkeit. Ah! auf irgend eine Weise müssen angeborene Neigung und Grundsätze miteinander versöhnt werden.«
Er verließ das Zimmer. In dieser kurzen Stunde hatte ich ihn besser kennen gelernt als in dem ganzen vorhergehenden Monat, und doch zerbrach ich mir noch den Kopf über ihn.
Diana und Mary Rivers wurden immer stiller und schweigsamer je näher der Tag kam, an dem sie ihren Bruder und ihr Heim verlassen sollten. Beide versuchten nicht anders zu erscheinen als gewöhnlich. Aber der Kummer, gegen welchen sie zu kämpfen hatten, war der Art, daß er weder leicht zu besiegen noch zu verheimlichen war. Diana deutete an, daß dies eine Trennung sein würde, sehr verschieden von jeder bisherigen. Was St. John anbetraf, so würde es wahrscheinlich ein Abschied für lange Jahre sein, – vielleicht sogar eine Trennung fürs Leben.
»Er wird alles seinen längst gefaßten Entschließungen opfern,« sagte sie, »die Bande der Natur und noch viel mächtigere Gefühle. Jane, St. John sieht ruhig aus; aber in seinem Innern tobt ein brennendes, verzehrendes Fieber, Du hältst ihn für sanft und milde – und doch ist er in manchen Dingen unerbittlich wie der Tod. Und was das Schlimmste ist: mein Gewissen erlaubt mir kaum, ihm von seinen strengen Entschließungen abzureden, denn wahrhaftig, ich kann ihn nicht einen Augenblick dafür tadeln. Es ist recht – edel – christlich – und doch bricht es mir das Herz!«
Und heiße Thränen entquollen ihren schönen Augen.
Mary neigte den Kopf tief auf ihre Arbeit.
»Wir haben jetzt keinen Vater mehr; bald werden wir auch kein Heim und keinen Bruder mehr haben,« sagte sie leise.
In diesem Augenblick geschah etwas, das vom Schicksal eigens dazu bestimmt schien, die Wahrheit des alten Spruches zu beweisen, »daß ein Unglück nie allein kommt«, und zu der Trauer dieser Mädchen auch noch die Qual hinzuzufügen, daß »zwischen Lipp' und Bechers Rand u. s. w.«
St. John ging einen Brief lesend am Fenster vorüber. Dann trat er ein.
»Unser Onkel John ist tot,« sagte er.
Beide Schwestern schienen bestürzt; aber nicht erschreckt oder entsetzt. Die Nachricht schien ihnen mehr plötzlich als betrübend zu kommen.
»Tot?« wiederholte Diana,
»Ja.«
Sie heftete einen prüfenden Blick auf das Gesicht ihres Bruders. »Und was jetzt?« fragte sie mit leiser Stimme.
»Und was jetzt, Diana?« wiederholte er, seine marmorne Ruhe des Gesichtsausdrucks bewahrend. »Was jetzt? Nun – nichts! Lies!«
Er warf ihr den Brief in den Schoß, Sie durchflog ihn schnell und reichte ihn dann Mary. Mary durchlas ihn schweigend und gab ihn darauf dem Bruder zurück. Alle drei blickten einander an und alle drei lächelten – ein trauriges, nachdenkliches Lächeln war es.
»Amen! Wir haben noch zu leben,« sagte Diana endlich.
»Auf jeden Fall wird unsere Lage nicht schlimmer, als sie vorher war,« bemerkte Mary.
»Nur führt es der Seele das Bild von dem vor, was hätte sein können,« sagte Mr. Rivers, »und hebt den Kontrast mit dem zu lebhaft hervor, was in Wirklichkeit ist.«
Er faltete den Brief zusammen, verschloß ihn in sein Pult und ging wieder hinaus.
Während einiger Minuten sprach niemand. Dann wandte Diana sich zu mir.
»Jane, du wirst dich über uns und unsere Geheimnisse wundern,« sagte sie, »und uns für hartherzige Geschöpfe halten, weil wir über den Tod eines so nahen Verwandten, wie ein Onkel es ist, nicht mehr Betrübnis an den Tag legen. Aber wir haben ihn niemals gekannt noch gesehen. Er war der Bruder meiner Mutter. Vor langen Jahren hatten er und mein Vater einen Streit und entzweiten sich. Es geschah auf seinen Rat, daß mein Vater den größten Teil seines Vermögens in jene Spekulation steckte, welche ihn ruinierte. Gegenseitige Vorwürfe flogen zwischen ihnen hin und her; sie trennten sich im Zorn und versöhnten sich niemals wieder. Mein Onkel wurde später in glücklichere Unternehmungen hineingezogen; wie es scheint, erwarb er ein Vermögen von zwanzigtausend Pfund. Er war niemals verheiratet und hatte außer uns und noch einer Person, die ihm durchaus nicht näher steht als wir, keine nahen Verwandten. Mein Vater hegte stets den Glauben, daß er seinen Irrtum wieder gut machen würde, indem er uns sein Vermögen hinterließ. Doch dieser Brief unterrichtet uns davon, daß er jeden Pfennig jener anderen Person hinterläßt mit Ausnahme von dreißig Pfund, welche zwischen St. John, Diana und Mary Rivers geteilt werden sollen, um drei Trauerringe dafür zu kaufen. Natürlich hatte er ein Recht, mit seinem Gelde zu machen, was er wollte, und doch wirft eine solche Nachricht eine augenblickliche Verstimmung auf das Gemüt. Mary und ich würden uns reich erachtet haben, wenn er jeder von uns tausend Pfund hinterlassen hätte; und für St. John wäre dieselbe Summe von großem Wert gewesen um der Wohlthaten wegen, die er mit derselben hätte ausüben können.«
Nach dieser Erklärung wurde das Thema fallen gelassen und niemand, weder Mr. Rivers noch seine Schwestern, erwähnten desselben wieder.
Am folgenden Tage übersiedelte ich von Marsh-End nach Morton. Tags darauf begaben Diana und Mary sich auf die Reise nach dem weit entfernten B–. Eine Woche später zogen Mr. Rivers und Hannah nach dem Pfarrhofe – und nun lag das alte Haus verödet da. 

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