Glatzkopf-Li und Song Gang erlebten den unvergesslichsten Sommer ihrer Kindheit. Sie wussten allerdings nicht, dass dies die Große Kulturrevolution und dass die Welt jetzt eine andere war. Was sie wussten, war lediglich, in Liuzhen war jeden Tag so viel los wie sonst nur an Feiertagen!
Wie zwei Straßenköter streunten die beiden Jungen durch unsere kleine Stadt Liuzhen, marschierten mal mit diesem, mal mit jenem Demonstrationszug durch die Straßen, bis sie in Schweiß gebadet waren, und riefen mit anderen wahlweise »Es-lebe«- oder aber »Niedermit«-Slogans, bis sie sich heiser geschrien hatten und ihre Kehlen rot und geschwollen waren wie der Hintern eines Pavians.
Glatzkopf-Li packte unterwegs die Gelegenheit beim Schopf, sämtlichen Strommasten unserer kleinen Stadt Liuzhen mehrmals Gewalt anzutun. Als wäre es die natürlichste Sache der Welt, umarmte der gerade acht Jahre alte Junge die hölzernen Masten und rieb sich an ihnen, bis er puterrot im Gesicht war. Dabei ließ sein Interesse für das Geschehen auf der Straße keinen Moment nach, und während er sich an dem Strommast rieb, riss er unbeirrt seine kleine Faust hoch, sobald er in die Slogans der vorüberziehenden Demonstranten einstimmte. Die meisten Leute, die beobachteten, wie Glatzkopf-Li die Masten umarmte, wussten natürlich, was das zu bedeuten hatte. Sie zwinkerten einander mit einem verständnisvollen Lächeln zu, aber keiner sagte etwas, obwohl sie sich insgeheim über den Jungen kaputtlachten.
Es gab aber auch welche, die nicht Bescheid wussten. Eine Frau fragte ihn erstaunt: »Junge, was machst du denn da?«
Glatzkopf Li warf der Fragerin - sie hieß Mutter Su und betrieb einen Imbissladen am Fernbusbahnhof - einen Blick zu, antwortete aber nicht, denn er war viel zu beschäftigt mit Reiben und mit dem Rufen von Slogans. An seiner Stelle klärten jene drei Mittelschüler, die zufällig wieder des Weges kamen, Mutter Su auf. Diesmal sagten sie nicht, Glatzkopf-Li sei frühreif, vielmehr zeigten sie auf ihn, auf den von ihm umarmten Strommast und auf die Stromleitung und erklärten: »Der erzeugt Strom!«