Songs Redegewandtheit, die Li Lan so bewunderte, bewährte sich auch beim anschließenden Besuch im Krankenhaus, wo er sich lebhaft mit einem jungen Arzt unterhielt und dabei vom Hundertsten ins Tausendste kam. Welches Gesprächsthema sie auch berührten - und es waren viele! -, die beiden stellten stets beglückt fest, dass sie sich in allen Punkten einig waren. Während die Männer immer mehr in Fahrt kamen, saß Li Lan daneben und hörte mit großen Augen zu. Vor lauter Bewunderung für Song Fanping vergaß sie sogar ihre Kopfschmerzen. Nie hätte sie sich vorstellen können, dass derart außergewöhnliche Talente in dem Mann schlummerten, mit dem sie seit über einem Jahr zusammenlebte.
Nachdem die Überweisung ausgestellt war, ließ der junge Arzt es sich nicht nehmen, die beiden bis ans Tor zu begleiten. Beim Abschied drückte er Song Fanping die Hand und versicherte ihm, dies sei ein Glückstag, weil er einen neuen Freund, eine verwandte Seele in ihm gefunden habe. Sie müssten sich unbedingt einmal bei einem halben Liter Reiswein zusammenhocken, dazu ein bisschen was zum Knabbern besorgen und sich in aller Ruhe ausgiebig unterhalten.
Auf dem Heimweg fühlte sich Li Lan wie im siebenten Himmel.
Immer wieder tastete sie nach Song Fanpings Hand, und wenn er sich dann zu ihr umdrehte, leuchteten ihre Augen hell wie die Flammen im Feuerofen. Zu Hause angekommen, zog sie ihn in das hintere Zimmer, schloss die Tür hinter sich und umarmte ihn liebevoll. Sie barg ihr Gesicht an seiner breiten Brust, sodass ihre Freudentränen sein Hemd netzten.
Nach dem unrühmlichen Ende ihres ersten Ehemanns in der Jauchegrube war es dieser von Natur aus ohnehin furchtsamen Frau zur Gewohnheit geworden, sich selbst als minderwertig zu empfinden. Sie hatte sich damit abgefunden, niemanden zu haben, auf den sie sich stützen konnte. Jetzt aber hatte sie Song Fanping, und der machte sie so glücklich, wie sie es nie zu erträumen gewagt hätte. Vor allem hatte sie an ihm einen festen Rückhalt, sodass sie nie mehr mit gesenktem Kopf zu gehen brauchte. Er hatte ihr den Stolz zurückgegeben.