DIE MARDERFALLE – BENGELE WIRD HOFHUND
Der Hampelmann wollte noch vor Nacht zu Hause sein. Er sprang über die tote Riesenschlange weg und ging seines Weges weiter.
Nach einiger Zeit befiel ihn der Hunger so entsetzlich, daß er zu sterben glaubte. Mühsam schleppte er sich noch in einen Weinberg neben der Straße, um ein paar Traubenbeerchen zu pflücken.
Hätte er es doch nicht getan!
Das unglückliche Hampelchen war noch keine fünf Schritte von der Straße weg, da machte es: krack! – und seine Füße waren zwischen zwei Eisen eingeklemmt. Diese schlugen so fest zusammen, daß der Arme ohnmächtig niedersank.
Seit einiger Zeit trieben in dieser Gegend ein paar freche Marder ihr Unwesen. Sie drangen in die Hühnerställe ein, stahlen die Eier und mordeten das Federvieh. Darum legten die Bauern allenthalben Marderfallen. Unser Unglücksbengele war just in eine solche hineingetreten und konnte sich nicht mehr von der Stelle rühren.
Als er wieder zu sich kam, weinte er laut und rief um Hilfe.
Es war alles vergeblich; in der Nähe wohnte niemand und kein Mensch ging den einsamen Feldweg.
Unterdessen wurde es Nacht.
Die Eisen preßten Bengele die Beine zusammen, und er litt große Schmerzen. Überdies bekam er Angst, als er so ganz allein in der Nacht auf dem Felde war. – Da flog ein Leuchtkäferchen über seinen Kopf; er rief ihm und sagte:
»Leuchtkäferchen, tu mir doch den Gefallen und befreie mich aus dieser Qual!«
»Armes Kerlchen!« sagte dieses und schaute sich den Hampelmann mitleidig an; »wie bist du nur mit den Beinen zwischen diese beiden Eisen geraten?«
»Ich bin von der Straße gegangen, weil ich mir zwei Traubenbeerchen abzupfen wollte und ...«
»Ist das dein Weinberg?«
»Nein!«
»Wer hat dir denn gesagt, daß man den andern ihre Sachen nehmen darf?«
»Ich hatte doch so sehr Hunger!«
»Die bösen Kinder finden immer einen Grund, den andern Leuten ihre Sachen wegzunehmen!« »Du hast recht«, seufzte Bengele; »aber ich werde es auch nie mehr tun.«
Das Zwiegespräch ward jäh abgebrochen; denn von der Straße hörte man Schritte, und das Leuchtkäferchen flog davon. – Auf den Zehenspitzen kam der Bauer angeschlichen, um nachzusehen, ob ein Marder in die Falle gegangen sei.
Sein Erstaunen war unbeschreiblich, als er die Laterne unter seinem Mantel hervorzog und statt eines Marders einen Hampelmann in der Falle fand.
»So, du Tropf«, sagte der Bauer wütend, »du stiehlst mir meine Hühner!?«
»Aber nein, ich nicht!« schluchzte Bengele, »ich bin hierher gekommen, weil ich mir ein paar Traubenbeerchen abzupfen wollte.«
»Wer Trauben stiehlt, kann auch Hühner stehlen. Du wirst schon sehen, was ich jetzt mit dir anfange! – Den Denkzettel vergissest du so schnell nicht wieder!«
Der Bauer machte die Falle auf, faßte den Hampelmann am Genick, wie man eine Katze packt, und trug ihn nach Hause.
Vor dem Hoftore warf er den Gefangenen auf den Boden, stand mit einem Fuße auf seinen Hals und sagte:
»Heute ist es mir zu spät; ich will jetzt zu Bett gehen. – Morgen werden wir abrechnen. Einstweilen machst du mir den Hofhund! Ich habe heute früh meinen treuen Phylax tot in seiner Hütte gefunden. Von jetzt an übernimmst du sein Wächteramt.«
Der Bauer hob das Hundeband auf und legte es Bengele so eng um den Hals, daß er es nicht über den Kopf streifen konnte. Der Lederriemen hing an einer langen Kette, und diese war mit dem andern Ende in die Mauer geschmiedet.
»Wenn es regnet, kannst du in die Hundehütte kriechen. Phylax hat das auch so gemacht. Stroh liegt genug drinnen. Wenn Diebe kommen, so mußt du die Ohren spitzen und laut bellen! – Verstanden?«
Mit diesen Worten ging der Bauer in sein Haus.
Bengele verging fast vor Kälte; es quälten ihn Hunger und Angst. Er wollte das Halsband abstreifen; aber es saß fest und schnürte ihm die Kehle zusammen.
Der Hampelmann ergab sich in sein Schicksal. Er setzte sich auf einen Stein vor der Hundehütte und schaute in die stille Nacht hinein. Hell glänzte der Mond, freundlich blinkten die Sternlein vom Himmel hernieder. Bengele wurde traurig. Er dachte wieder über sein Leben nach und sagte:
»Es geschieht mir recht, ganz recht! Ich war eigensinnig und bin von zu Hause weggelaufen. Ich habe auf schlechte Kameraden gehört, und darum kommt all das Unglück über mich. Wäre ich ein ordentlicher Knabe gewesen, hätte ich gelernt und gearbeitet, wäre ich beim Vater daheim geblieben, dann müßte ich jetzt nicht einem Bauern den Hofhund machen. Wenn ich nur noch einmal auf die Welt kommen könnte! – Aber jetzt ist mit dem besten Willen nichts mehr zu ändern!«
Weinend stillte Bengele seinen quälenden Hunger mit der kalten Hundesuppe, die Phylax übriggelassen hatte. Dann kroch er müde in die Hütte und schlief ein.