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德语长篇小说(安徒生):O. Z. 奥·特-39
日期:2013-04-05 15:54  点击:0
Ein Farbengewimmel, ein Schreien und Lärmen,
Musik und Getümmel, ein Stoßen und Schwärmen,
Ein Laufen und Tanzen, ein Fahren und Rollen
Reißt fort alle Gaffer zum Spielen und Tollen.
Th. Overskou.
 
Ein Paar Tage vergingen; Otto vernahm weder vom deutschen Heinrich noch von seiner Schwester das Geringste. Peer Krüppel schien in die Verhältnisse nicht eingeweiht zu sein. Sein ganzes Wissen erstreckte sich darauf, daß der Brief, den er Otto zu überreichen hatte, für jeden Andern ein Geheimniß sein sollte. Was den deutschen Heinrich anlangte, so hielt sich dieser, seiner Ansicht nach, jetzt wahrscheinlich in einer andern Gegend des Landes auf, würde sich aber zum St. Knuds-Markte in Odense gewiß einfinden.
In Otto's Seele herrschte ein eigentümlicher Kampf. Louisens Behauptung, daß er bestimmt das Opfer eines Betruges wäre, entwickelte Hoffnungen, die für ihn allmählich eine immer größere Gewißheit gewannen. »Kann sich nicht der deutsche Heinrich zur Förderung seiner Pläne meiner Furcht bedient haben?« dachte er. »Ich muß mit ihm sprechen, er soll mir die Wahrheit beschwören.« Er verglich Sidsels häßliche und rohe Züge mit dem Bilde, das er sich in seiner Erinnerung noch dunkel von seiner kleinen Schwester bewahrt hatte. Sie war ein zartes Kind mit großen Augen gewesen. Er entsann sich noch deutlich, daß seine Umgebung damals geäußert hatte, sie wäre so fein und zart, daß sie schwerlich am Leben bleiben würde. Wie sollte nun dieses plumpe, häßliche Geschöpf mit den boshaften Augen und den zusammengewachsenen Augenbrauen aus ihr geworden sein! »Ich will mit Heinrich reden!« beschloß er. »Sie kann meine Schwester nicht sein! So schwer wird mich Gott nicht prüfen wollen!« Bei diesem Entschluß fühlte er sich etwas ruhiger. Der Stern der Liebe konnte sich auf Augenblicke in seinem Lebenssee abspiegeln.
Die Liebe zu Sophie war nicht länger ein gefangener Vogel in seiner Brust, die Flügel waren ihm gelöst, Louise hatte sein Dasein erfahren, er mußte seinem Ziele entgegenflattern.
Der St. Knuds-Markt wurde abgehalten; die Familie beabsichtigte deshalb nach Odense zu reisen. Eva war die Einzige, die ihrem eigenen Wunsche zufolge zu Hause blieb.
»Ein Besuch Odense's würde auch für dich lohnenswerth sein!« meinte Sophie, »aber du denkst nie daran, deine geographischen Kenntnisse zu erweitern! Ein Marktgeschenk sollst du aber trotzdem von mir bekommen: einen Mann von Honigkuchen mit Mandeln verziert!«
Wilhelm rieth ihr ebenfalls, die flüchtige Freude zu ergreifen und sich ihnen anzuschließen. Allein Eva wiederholte ihre Bitte und man gab ihrem Wunsche nach.
»Wie viel Freude gibt es doch hienieden!« sagte Wilhelm, »wenn man dieselbe nur zu erhaschen versteht. Ist ein Tag in Paris eine Glanzblume, so ist ein Tag auf dem Odenseer Markte doch auch eine Blume. Die Welt, in der wir leben, ist voller Lust und Herrlichkeit. Ich möchte fast mit König Waldemar sagen: Könnte ich die Erde behalten, so möchte Gott meinetwegen den Himmel für sich behalten. Hier ist es weit besser, als wir verlangen können, und Gott weiß, ob man sich nicht auch noch in der andern Welt nach dem liebgewordenen Alten hienieden sehnt!« »Etwa nach dem Odenseer Markte?« fragte Sophie ironisch.
Otto war still und in sich gekehrt. Eine innere Stimme sagte ihm, daß dieser Tag einer der merkwürdigsten seines Lebens werden würde. Der deutsche Heinrich sollte ihm eine Erklärung geben. Auch zwischen Sophien und ihm sollte es zur Erklärung kommen. Sollte er wol bei Beiden auf eine glückverheißende rechnen können? Würden ihm nicht vielleicht Gram und Schmerz als Marktgeschenk zufallen? Der Wagen rollte seinem Ziele entgegen. Von den verschiedenen Nebenwegen kamen Herrschafts- wie Bauerwagen, einer suchte immer an dem andern vorbeizujagen, und wie der Canal zwischen Frankreich und England die Schiffe aus dem atlantischen Ocean sammelt, so sammelte auch hier die große königliche Landstraße die Fahrenden, Reitenden und Gehenden.
An der Rückseite der meisten Bauerwagen waren einige Pferde angebunden, welche mittrabten. Die Wirthschafterinnen auf den Gütern hatten ihre rothen Hände und Arme mit langen Handschuhen bedeckt. Vor ihren rotglühenden Gesichtern hielten sie Regenschirme zum Schutze gegen Staub und Sonnenschein ausgespannt.
»Der Kammerjunker muß mit seinen Damen schon vor uns aufgebrochen sein,« sagte Sophie, »sonst hätte er uns gewiß schon eingeholt!« Otto sah sie forschend an. Sie dachte an den Kammerjunker!
»Bei der Fraugder Kirche wollen wir halten!« schlug Sophie vor. »Herr Zostrup muß Kingo's [Fußnote] Grab sehen, muß sehen, wo der Dichter unserer herrlichen geistlichen Lieder ruht. Einige richtige Posaunenengel, welchen man ordentlich ansehen kann, wie schwer der Marmor ist, aus dem sie gemeißelt, sind in der Kapelle mit Bischofsstab und Mütze in fliegender Stellung angebracht.«
Otto lächelte, sie dachte also doch auch daran, ihm Freude zu bereiten.
Die Kirche wurde besichtigt, das Grab besucht, und bald rollten sie wieder auf der großen Landstraße Odense entgegen, dessen hohe Domkirche mit ihrem stattlichen Thurme sie schon aus weiter Ferne begrüßt hatte.
Wir stellen an den Portraitmaler die Anforderung, daß er nicht blos die Person an und für sich, sondern, daß er sie auch in dem ihr günstigsten Augenblicke auffassen soll. Sowol bei dem häßlichen als auch bei dem unbedeutenden Gesichte muß der Maler die demselben eigenthümliche Schönheit wiederzugeben und zum vollen Ausdrucke zu bringen wissen. Jeder Mensch hat Augenblicke, in welchen etwas Geistiges oder Charakteristisches bei ihm hervortritt. Auch die Natur hat selbst da, wo sie uns die kahlsten reizlosesten Gegenden zeigt, ähnliche Augenblicke. Licht und Schatten geben ihr irgend einen hervortretenden Moment. Der Dichter muß darin dem Maler ähneln, muß diesen Augenblick bei dem Menschen wie in der Natur ergreifen.
Wäre der Leser ein Kind, das Odense zu seiner Heimat hätte, so bedürfte es nur der Worte »St. Knuds-Markt«, und dieser selbst, mit allen Strahlen der Kindheitsphantasie geschmückt, würde in den glänzendsten Farben vor ihm stehen. Unsere Schilderung wird und kann nur ein Schatten werden, wird dem Einen vielleicht dies, dem Andern jenes bieten.
Schon in der Vorstadt verkündigte das Menschengewühl und der ausgestellte Töpferkram, der den ganzen Bürgersteig bedeckte, daß der Markt im vollen Gange war.
Der Wagen fuhr über die Brücke.
»Sehen Sie nur, wie schön es hier ist!« rief Wilhelm.
Zwischen den Gärten der Stadt und einer Wiese mit vielen Bleichen schlängelte sich der Bach Odense. Die prächtige St. Knuds-Kirche mit ihrem hohen Thurme schloß den Prospect.
»Was war das dort für ein rothes Haus?« fragte Otto, als dieses bereits ihren Blicken entzogen war.
»Das Fräuleinkloster!« erwiderte Louise, der ihr Gefühl sagte, welcher Gedanke in ihm aufgestiegen war.
»Zur Zeit der Grafenfehde stand dort die alte bischöfliche Wohnung, in der damals Andersen-Baldenak residirte,« erzählte Sophie. »Dort drüben, nicht weit vom Ufer des Baches befindet sich die sogenannte Glockentiefe. So heißt die Stelle, bis zu welcher eine Glocke vom St. Albani-Thurme aus geflogen und daselbst versunken sein soll. Ihre Tiefe ist bodenlos. Der Tod reicher Leute in Odense wird dadurch angekündigt, daß die Glocke unter dem Wasser zu läuten beginnt.«
»Es ist ein häßlicher Gedanke,« sagte Otto, »daß das Läuten in der Tiefe auf den Tod der Reichen vorbereitet!«
»So tragisch darf man es nicht auffassen!« entgegnete Sophie lachend und suchte dem Gespräche eine andere Wendung zu geben, indem sie fortfuhr: »Odense besitzt viele Merkwürdigkeiten von dem Königsgarten mit seinen Schwänen an bis zu dem umfangreichen, massiv gebauten Theater, welches mit La Scala und mehreren andern italienischen das gemein hat, daß es sich aus den Ruinen eines Klosters erhoben hat.«
»In Odense haben sich Aristokratie und Demokratie am längsten erhalten,« fiel Wilhelm lachend ein. »Noch in meiner Kindheit tanzten am Geburtstag des Königs auf dem Balle im Rathhaussaale Adel und Bürger getrennt von einander.«
»Waren denn die Bürgerlichen nicht stark genug, den leichten Adel zum Fenster hinaus zu werfen?« fragte Otto.
»Sie scheinen zu vergessen, Herr Zostrup, daß Sie selbst geadelt sind!« bemerkte Sophie. »Ich selbst war ja die Schicksalsgöttin, die Ihnen den Stammbaum reichte!«
»Sie erinnern sich also wirklich noch jenes Abends?« versetzte Otto mit sanfter Stimme, und die Gedanken wogten eben so bunt durch seine Seele, wie das Menschengewühl durch die Straßen, durch die ihr Weg führte.
So ziemlich im Herzen der Stadt treffen fünf Straßen zusammen; die Stelle, an der sie sich kreuzen, bildet einen kleinen Platz, welcher Kreuzmarkt heißt. In dem dort gelegenen Gasthofe pflegte die Familie ihr Absteigequartier zu nehmen.
»Zwei und eine Viertelstunde zu spät!« rief der Kammerjunker, der ihnen schon auf der Treppe entgegeneilte. »Gutes Marktwetter und gute Pferde! Ich bin schon vor dem Westthore gewesen und habe zwei prächtige Stuten gekauft. Die eine schlug hinten aus, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte ich einen Schlag vor die Brust bekommen, daß ich keines andern Marktgeschenkes mehr bedurft hätte! Jakoba stattet Besuche ab, trinkt Chocolade und ißt Massen von Kuchen dazu, denn sie will Bäcker Peer mit seinem köstlichen Backwerk Ehre anthun. Die Mamsell ist auf dem Markte, um sich nach Sieben umzusehen. Nun wissen Sie unsere Geschichte.«
Die Damen gingen auf ihr Zimmer, während die Herren im Saale blieben.
»Hier werden Sie einmal eine richtige Stadt und einen ordentlichen Markt zu sehen bekommen, Herr Zostrup!« sagte der Kammerjunker und schlug Otto auf die Schulter.
»Odense war einst meine erste Hauptstadt!« erklärte Wilhelm. »Noch immer gilt in meinen Augen die St. Knuds-Kirche für die prächtigste, die ich kenne. Gott weiß, ob die Peterskirche in Rom auf mich jetzt, wo ich in meinem Mannesalter stehe, einen solchen Eindruck machen wird, als jene auf mich in meiner Kindheit ausgeübt hat.«
»In der St. Knuds-Kirche,« erzählte der Kammerjunker, »liegt die Jungfrau mit den Katzen!«
»Oder vielmehr die Bischöfin!« nahm Wilhelm das Wort. »Die Sage weiß nur von einer Bischöfin, Namens Mus, die ihre Katzen in dem Grade liebte, daß sie befohlen hatte, ihr dieselben in den Sarg zu legen. [Fußnote] Wir werden sie später zu sehen bekommen!«
»Sowol die Bischöfin wie die Katzen,« meinte der Kammerjunker, »sehen wie der trockenste Klippfisch aus! Sie müssen sich übrigens auch das Fräuleinstift und die Militairbibliothek ansehen!«
»Sowie das Hospital und das Zuchthaus!« fügte Wilhelm lachend hinzu.
Ein Trommelwirbel draußen auf der Straße zog sie an das Fenster. Der städtische Trommelschläger, in gestreifter Hose und Jacke von halbwollenem Zeuge und mit einem gelben Bandelier über der Schulter, stand draußen, schlug die Trommel und las dann aus einem Papiere mit lauter Stimme vor, welche Sehenswürdigkeiten in der Stadt eingetroffen wären.
»Er schlägt eine gute Trommel!« sagte der Kammerjunker.
»Es müßte Rossini und Spontini gewiß eine Herzensfreude gewähren, den Kerl zu hören!« meinte Wilhelm. »So zur Neujahrszeit wäre Odense eigentlich eine Stadt für diese beiden Componisten. Sie müssen nämlich wissen, daß hier dann Trommeln und Pfeifen ihre Triumphe feiern. Man trommelt das neue Jahr ein. Sieben oder acht kleine Trommelschläger und Pfeifer ziehen mit einem langen Gefolge von Kindern und alten Weibern von Thür zu Thür. Es wird sowol Zapfenstreich wie Reveille geschlagen. Dafür erhalten sie ein kleines Geldgeschenk. Ist nun das neue Jahr beschriebener Weise in der Stadt gründlich eingetrommelt, so ziehen sie auch noch auf das Land hinaus und trommeln für Speck und Grütze. Dieses »Neujahreintrommeln« dauert bis gegen Fastnacht!«
»Und dann kommen neue Vergnügungen an die Reihe!« fiel ihm der Kammerjunker ins Wort. »Dann erscheinen die Bootsmannschaften aus Stige, dem nächsten Fischerdorfe am Odenseer Fjord, mit voller Musik, auf den Schultern ein mit allerlei Flaggen reich geschmücktes Boot tragend. Darauf legen sie ein Bret zwischen zwei Boote, auf welchem zwei der Jüngsten und Gewandtesten so lange ringen, bis einer in das Wasser fällt. In den letzten Jahren stürzten sich Beide gleichzeitig hinein. Die Ursache zu dieser Neuerung liegt darin, daß sich einmal der Besiegte über den Spott, den er deshalb über sich ergehen lassen mußte, dergestalt ärgerte, daß er noch an demselben Tage aus dem Fischerdorfe verschwand und seitdem völlig verschollen ist. Alle diese Lustbarkeiten verlieren sich jetzt übrigens mehr und mehr. In meinen Knabenjahren wurden dergleichen Vergnügungen weit allgemeiner gefeiert! Was war das für ein Staat, wenn die Gewerke ihren Schild vor dem neuen Gildenhause aufhingen und der Hanswurst dem Zuge voranlief; und zu Fastnacht, wenn die Schlächter einen mit Bändern und Fastnachtsruthen aufgeputzten Ochsen durch die Straßen führten; auf seinem Rücken saß ein kleiner Knabe in weißem Hemde und mit Flügeln. Dazu hatten sie türkische Musik mit Becken! Sehen Sie, das alles habe ich selbst erlebt, obgleich ich noch gar nicht so alt bin! Baron Wilhelm muß diese Ochsenherrlichkeit auch noch gesehen haben! Nun ist es vorbei! Man ist jetzt feiner geworden. Selbst der St. Knuds-Markt ist das nicht mehr, was er einst gewesen!«
»Trotzdem freue ich mich darauf!« versetzte Wilhelm. »Wir wollen auf dem Markte die Kronjüten besuchen, die unter ihren Töpfen mitten im Haidekraut sitzen. Möglicherweise können Sie noch Bekannte antreffen, Herr Zostrup! Bekommen Sie nur nicht Heimweh, wenn Sie das Haidekraut riechen und der Ton klirrender Töne an Ihr Ohr schlägt!«
Nun erschienen die Damen wieder. Ehe man Besuche abstattete, wollte man sich noch den Markt ansehen. Der Kammerjunker bot der Mutter seinen Arm. Otto gewahrte es mit heimlicher Freude und näherte sich Sophien. Da sie sich ja in das Gedränge hineinwagen wollten, nahm sie gern seine Begleitung an.
Aehnlich wie im Mittelalter, wo die verschiedenen Gewerke ihre besonderen Straßen und Stadtviertel einnahmen, hatten sich die Verkäufer auch hier aufgestellt. Die Gasse, welche auf den Markt führte und im Munde des Volks die »Schustergasse« hieß, entsprach auch ihrem Namen vollkommen. Hier hatten die Schuhmacher ihre Buden dicht neben einander aufgeschlagen. Die Wände und aufgerichteten Stangen waren mit allerlei Arten Schuhwerk behängt, selbst die Tische waren mit plumpen Schuhen und Stiefeln mit dicken Sohlen beladen. Hinter jedem stand der biedere Meister in seinem langen Sonntagsfracke, den wohlgebürsteten Filzhut auf dem Kopfe.
An die Schuhmacherbuden reihten sich die der Hutmacher, und darauf gelangte man mitten auf den großen Marktplatz, auf dem die Zelte und Buden mehrere parallellaufende Straßen bildeten. Die Galanterieläden, die Goldschmied- und Conditorbuden, die größtentheils ebenfalls nur von Leinwand waren, während die kleinere Anzahl aus Holzwerk bestand, konnten als Glanzpunkte gelten. Ringsum flatterten Bänder und Tücher, ringsum war Lärm und Gedränge. Reihenweise kamen die Mädchen aus demselben Dorfe anmarschirt, sieben oder acht Unzertrennliche, die Hände fest in einander geschlungen. Es war unmöglich, die Kette zu sprengen; sobald sie ins Gedränge gerieth, rollte sich die ganze Schaar in einen Knäuel zusammen.
Hinter den Buden hatten die Holzarbeiter, Töpfer, Drechsler und Sattler ihre Arbeiten auf der Erde ausgebreitet. Auf Tischen stand Spielzeug, gewöhnlich plump und mit schreienden Farben bemalt. Ueberall probirten Kinder ihre kleinen Trompeten oder ließen ihre Puppen tanzen. Bauermädchen drehten und wendeten die Nähkästchen, um welche sie im Handel standen, und sich selbst, ehe er abgeschlossen war, gar oftmals hin und her. Von all den verschiedenen Ausdünstungen, welche noch durch den Duft der Honigkuchen gewürzt wurden, war die Luft dick und schwer.
Hier begegneten Bekannte einander, ein paar Bauermädchen, die vielleicht aus demselben Dorfe stammten, aber später getrennt wurden. »Guten Tag!« riefen sie aus, ergriffen einander bei den Händen, schwenkten mit den Armen und lachten. »Lebe wohl!« – Das war die ganze Unterhaltung, ähnliche fanden überall Statt.
»Dort ist Haidekraut!« rief Otto, als sie sich der Gegend näherten, in welcher die jütischen Töpfer ihre Waaren feil boten. »Wie der Duft erquickt!« Er bückte sich und hob einen Zweig auf, der noch so frisch und grün war, als wäre er gestern erst abgeschnitten.
»Ei du mein Heiland! Ist das nicht Herr Otto?« rief plötzlich eine weibliche Stimme dicht neben ihnen, und eine junge jütländische Bauerfrau hüpfte über alle Töpfe hinweg ihnen entgegen.
Otto kannte sie. Es war die kleine Marie, des Aalbauern Tochter, die, wie wir uns noch von Otto's Besuch bei den Fischern her erinnern werden, nach Ringkjöbing gezogen war und sich daselbst für die Heu- und Kornernte bis Michaeli hatte dingen lassen, die flinke Marie, die »Dirne,« wie der Vater sie nannte. Sie hatte sich in Ringkjöbing mit dem reichen Topfhändler verlobt und verheirathet und war nun über das Meer nach dem Odenseer Markte gekommen, wo sie zufälligerweise Herrn Otto treffen mußte.
»Ihre Eltern wohnten nicht weit von dem Gute meines Großvaters!« sagte Otto zu Fräulein Sophie, welche lächelnd die Freude der jungen Frau über das Zusammentreffen mit einem Jugendbekannten betrachtete. Der Ehemann, um den sich viele Käufer drängten, hörte nichts von allem.
»Nein, wie fein und schön Sie doch geworden sind!« sagte die junge Frau. »Aber sehen Sie, ich erkannte Sie doch sogleich! Die Großmutter denkt Ihrer noch beständig. Die alte Frau ist höchst rüstig und lebendig; daß sie nicht sehen kann, macht gar nichts aus! Sie sind bereits der zweite Bekannte, den ich hier auf dem Markte getroffen habe. Es ist ganz erschrecklich, wie die Leute hier von allen Weltenden zusammenströmen! Der Gaukler ist auch hier! Sie werden sich des deutschen Heinrichs wol noch erinnern. Dort drüben in dem grauen Hause, gleich an der Ecke des Marktes, zeigt er seine Kunststücke im Thorwege!«
»Es freut mich, Sie gesehen zu haben!« sagte Otto und nickte freundlich. »Grüßen Sie Alle zu Hause, und vor allen Dingen die Großmutter!«
»Grüßen Sie auch von mir!« sagte Sophie lächelnd. »Sie aber, Herr Zostrup, müssen um der alten Bekanntschaft willen, jedenfalls einen Einkauf machen. Ich verlange von Ihnen ebenfalls ein Marktgeschenk, und bitte Sie deshalb um jenen großen Topf dort!«
»Wo bleibt ihr denn?« rief Wilhelm und kam zurück, während die Andern langsam voraus gingen.
»Wir kaufen Töpfe!« versetzte Sophie. »Souvenir de Jutlande. Jener dort hat eine glänzende Zeichnung!«
»Sie sollen ihn bekommen!« erwiderte Otto. »Allein wenn ich nun gleichfalls ein Marktgeschenk von Ihnen verlangte, – erbäte, wollte ich sagen – –?«
»Dem meine Hand vielleicht erst Werth verliehe!« entgegnete Sophie lächelnd. »Ich glaube, Sie zu verstehen! Was sagen Sie zu einer Haideblume? – Ich raube mir eine!« sagte sie zu der jungen Frau, indem sie ein wenig Haidekraut nahm und es Otto lachend ins Knopfloch steckte. »Grüßen Sie Großmama!«
Otto und Sophie gingen.
»Das war ja eine sonderbare lachlustige Person!« sagte die Frau halb laut und schaute ihnen nach; mit ihren Blicken folgte sie Otto, und ihre Hände falteten sich. Vielleicht dachte sie an die Tage ihrer Kindheit.
Auf dem St. Knuds-Kirchhofe holten Otto und Sophie die Uebrigen ein. Sie beabsichtigten, sich die Kirche anzusehen. An den Markttagen war sie mit all ihren Grabgewölben geöffnet.
Von welcher Seite man auch das prächtige alte Gebäude von außen betrachtet, überall hat es, namentlich durch seinen hohen Thurm und dessen Spitze, etwas Imponirendes. Das Innere ist von eben so großer, ja beinahe von noch größerer Wirkung. Da sich jedoch der Haupteingang, der durch das Wappenhaus führt, eben so wie die kleineren Eingänge an der Seite der Kirche befinden, so übt sie auf den Besucher bei dem Eintritte nur eine geringe Wirkung aus. Erst, wenn man den Haupteingang passirt hat, wird man ergriffen. Dann ist alles, wohin das Auge fällt, groß, schön und hell. Das ganze Innere ist weiß mit reicher Vergoldung. Oben an der hohen Wölbung prangen noch von alter Zeit her eine Menge goldener Sterne. Erst ganz oben, höher als die Seitenschiffe der Kirche, sind auf beiden Seiten große gothische Fenster angebracht, durch welche das Licht herabströmt. Die Seitenschiffe sind mit alten Malereien geschmückt, die ganze Familien, Frauen und Kinder darstellen, alle in geistlicher Tracht, mit langen Gewändern und großen Halskrausen. Gewöhnlich sind die Figuren nach dem Alter aufgestellt, der Aelteste macht den Anfang und dann geht es der Reihe nach bis zum jüngsten Kinde herab. Alle stehen mit gefalteten Händen und blicken fromm vor sich nieder, bis einmal auch diese Farben in Staub zerfallen.
Dem Eingange der Kirche gerade gegenüber gewahrt man einen mit Basreliefs bedeckten Stein eingemauert, welcher anzeigt, daß sich hier eine Grabstätte befindet. Diese zog Otto's Aufmerksamkeit auf sich.
»Hier ruht [Fußnote] König Hans, Königin Christina, der Prinz Francesco und Christian der Zweite!« erklärte Wilhelm. »Sie liegen alle in der kleinen Grabkammer.«
»Wie? Hier ruht Christian der Zweite?« rief Otto. »Dänemarks kluger und kühner König?«
»Christian der Böse!« sagte der Kammerjunker, über den Ton der Begeisterung verwundert, mit dem Otto seinen Namen ausgesprochen hatte.
»Christian der Böse?« wiederholte Otto. »Dieser Ausdruck ist leider bei uns gebräuchlich, sollte es aber nicht sein! Wir dürfen nicht vergessen, wie sich der schwedische und dänische Adel damals aufführte, welche Grausamkeiten er beging, und daß wir Christians des Zweiten Geschichte nur von einem Mitgliede der beleidigten Partei haben. Der Autor wollte dem damals zur Regierung Gelangten schmeicheln. Ein Fürst muß Verbrechen begangen oder seine Macht verloren haben, wenn seine Fehler im Gedächtnisse der kommenden Geschlechter bleiben sollen! Man vergaß Christians gute Seiten und wies immer auf seine Schattenseiten hin, an denen das Zeitalter nicht wenig Antheil hatte!«
Der Kammerjunker unterließ nicht, das Stockholmer Blutbad, Torben Oxe's Hinrichtung und überhaupt alles aufzuzählen, was sich gegen den unglücklichen König vorbringen läßt.
Otto schlug ihn indeß kühn aus dem Felde, einmal aus Begeisterung für Christian den Zweiten, dann aber auch, weil es der Kammerjunker war, den er bekämpfte. Sophie ergriff Otto's Partei, ihr Auge funkelte ihm Beifall zu, und so mußte ihm wol der Sieg zufallen.
»Was sagt der Dichter über das Loos eines Königs?« begann Sophie.
Beklage ihn!
Des Bösen mehr als Guten bringt die Welt!
Des Guten Quell sucht Jeder gern in sich,
Ihm schreibt man nur der Zeiten Laster zu! [Fußnote]
 
»Wäre es Christian gelungen, den aufrührerischen Adel zu bezwingen,« rief Otto, »hätte er seine kühnen Pläne ins Werk setzen können, dann würde er den Beinamen der Große erhalten haben! Das Urtheil der Welt kümmert sich nicht um den schöpferischen Geist, sondern wird lediglich durch den Erfolg bestimmt!«
Louise hielt es indeß mit dem Kammerjunker; deshalb gingen sie Beide gemeinschaftlich den Gang hinauf, der nach dem Glorup'schen Grabgewölbe führte. Die Mutter und Wilhelm waren bereits voraus.
»Ich beneide Sie um Ihre Beredsamkeit!« sagte Sophie und schaute Otto recht liebreich in die Augen. Sie bückte sich darauf über das Gitter, welches das Grab umgab, und blickte gedankenvoll auf den Stein hinab. In Otto's Seele bewegten sich Liebesgedanken.
»Geist und Herz müssen das Große bewundern!« rief er. »Beides besitzen Sie.« – So sprechend ergriff er ihre Hand.
Eine leichte Röthe überflog Sophiens Wangen. »Die Andern sind schon voraus!« bemerkte sie, »kommen Sie, lassen Sie uns auf das Chor hinaufgehen!«
»Nein, lassen Sie uns vor den Altar treten!« versetzte Otto. »Das ist ein kühner Gang für das ganze Leben!«
Sophie sah ihn fragend an. »Bemerken Sie dort den Grabstein im Pfeiler?« fragte sie nach einer kurzen Pause.
»Ich meine die Dame mit den über einander gelegten Armen und dem gemalten Gesichte. Sie soll in einer Nacht zwölf Ritter todt getanzt haben; der dreizehnte, welchen sie aufforderte, durchschnitt ihr beim Tanze den Gürtel, worauf sie sofort todt zu Boden sank!«
»Das ist ja eine wahre nordische Turandot gewesen!« versetzte Otto. »Ihr Marmorherz mußte schließlich selbst brechen und verbluten. Darin, daß das steinerne Bild bemalt ist, liegt ein gewisser Spott. Den kommenden Geschlechtern zeigt sie sich wie zu ihren Lebzeiten als ein Steinbild, weiß und roth, nur eine Schönheitslarve. Sie warnt die jungen Damen ...!«
»Freilich, vor dem Tanzen!« entgegnete Sophie, bemüht, Otto's eigentümlichen Ernst zu verscheuchen.
»Trotzdem,« rief er, »muß es mit Seligkeit, ja mit unendlicher Seligkeit erfüllen, unter wogenden Tönen, Arm in Arm mit der Geliebten, ihr das Leben tanzend opfern und blutend ihr zu Füßen sinken zu können!«
»Und dann noch gerade den Anblick zu genießen, wie sie mit einem Neuen weiter tanzte!« sagte Sophie lachend.
»Nein, nein!« erwiderte Otto, »das könnten, das würden Sie nicht! O Sophie, wenn Sie wüßten – –!«
Er näherte sich ihr noch mehr, neigte sein Haupt dem ihrigen entgegen, und sein ausdrucksvolles Auge flammte in doppeltem Feuer.
»Sie müssen mit uns kommen, um die Katzen zu sehen!« erscholl mit einem Male die laute Stimme des Kammerjunkers, der unerwartet zwischen sie trat.
»Um den Anblick dürfen wir nicht kommen!« erklärte Sophie. »Da werden Sie, Herr Zostrup, Gelegenheit bekommen, über die Vergänglichkeit der weiblichen Schönheit zu moralisiren!«

»Heute Abend auf dem Rückwege,« tröstete sich Otto, »in der milden Sommerluft soll mich kein Kammerjunker bei meiner Bewerbung stören. Es soll und muß endlich zur Entscheidung kommen! Konnte das Unglück auch die Wildheit meiner Kinderjahre bändigen, so flößte es mir doch auch Trotz ein und ließ meine Selbstständigkeit nie erschlaffen. Nur die Liebe hat mich weich, hat mich schwach gemacht. Kann ich dadurch mir ein Weib gewinnen?« Ernst und finstren Blickes folgte er Sophien und ihrem Begleiter. 


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