Bring' häusliche Hilfe
Incubus! Incubus!
Tritt hervor und mache den Schluß!
Goethe's Faust.
Es gibt so bange Zeiten,
Es gibt so trüben Muth!
Novalis.
Am nächsten Morgen erzählte Wilhelm beim Kaffeetische sein nächtliches Abenteuer. Die Schwestern lachten darüber; die Mama beobachtete dagegen Stillschweigen, verließ das Zimmer und kam erst nach einiger Zeit zurück.
»Wir haben einen Besuch von Dieben gehabt,« erzählte sie, »und fast hat es den Anschein, als ob der Diebstahl von den eigenen Leuten des Gutes ausgeübt wäre. Sie haben sich über den Wäscheschrank hergemacht und sind gar nicht sehr rücksichtsvoll gewesen. Der hübsche alte silberne Becher, den mir die Großmutter vermachte, ist auch verschwunden. Ich hätte ihnen lieber den Werth des Silbers gegeben, als das Stück verloren.«
»Befehlen die gnädige Frau nicht, daß das Sieb gehen soll?« fragte der alte Diener. »Es ist das ein ziemlich sicheres Mittel.«
»Das ist nur Aberglaube!« erwiderte sie; »bei demselben kann leicht ein Unschuldiger in Verdacht gerathen.«
»Wie die gnädige Frau befehlen!« versetzte der Diener kopfschüttelnd.
Inzwischen wurde eine allgemeine Hausuntersuchung vorgenommen. Die Koffer des Gesindes wurden untersucht, allein man fand nichts.
»Wenn Sie nur das Sieb gehen lassen wollten!« wiederholte der alte Diener von Neuem.
Auf einer Promenade durch den Garten, die Otto spät am Nachmittage unternahm, ließ er sich mit dem Gärtner in ein Gespräch ein. Sie unterhielten sich von dem Diebstahle.
»Das erfüllt Jeden von uns mit Aerger,« sagte er, »da wir die gnädige Frau und die ganze Herrschaft lieb haben. Auf Einem bleibt doch der Verdacht ruhen. Wir trauten es der Sidsel zu, denn sie ist grundschlecht. Wir Leute ließen unter uns das Sieb gehen, aber es rührte sich bei ihrem Namen nicht von der Stelle. Nachdem wir es auf eine Messerspitze gestellt hatten, nannten wir die Namen aller Leute auf dem Gute, aber es stand, als wäre es festgenagelt! Allerdings bekamen wir etwas zu sehen, was Niemand geglaubt hätte. Ich will es auch gar nicht erzählen, obgleich Jeder von uns seine eigenen Gedanken dabei hatte. Ich hätte einen Eid darauf abgelegt, daß es nicht möglich wäre.«
Otto bat, ihm den Namen dessen, auf welchen man den Verdacht lenkte, nicht zu verschweigen.
»Ihnen kann ich es ja wol anvertrauen,« entgegnete er, »aber Sie dürfen es sich nicht merken lassen. Als wir heut' Mittag um das Sieb standen, und es sich bei Sidsels Namen nicht rührte, wurde sie leidenschaftlich, weil Worte gefallen waren, die ihr nicht angenehm sein konnten, wenn sie unschuldig war. Sie richtete sich in die Höhe und sagte: Hier auf dem Hofe gibt es ja noch mehr Leute, als wir, die wir uns schinden und plagen müssen! Es sind Fremde hier, und die feine Mamsell, und auch der Pächter. Ich will zwar Niemanden des Diebstahls beschuldigen, aber Alle müssen genannt werden.«
»Das thaten wir denn auch. Ja, wir nannten sogar Ihren Namen, Herr Zostrup, obschon wir genau wußten, daß Sie keinen Antheil daran hatten; allein wir wollten nun einmal Niemanden übergehen. Das Sieb stand auch ganz still, bis wir Eva's Namen nannten; bei ihm ließ sich eine Bewegung wahrnehmen. Keiner von uns wollte daran glauben, und Peer behauptete auch geradezu, die Bewegung rühre vom Zuge aus dem Schornsteine her. Noch einmal nannten wir sämmtliche Namen, und das Sieb stand, bis wir zu Eva's kamen; wieder konnten wir ganz deutlich eine Bewegung bemerken. Da schlug der alte Peer gegen das Sieb, daß es auf den Fußboden fiel und schimpfte, daß es eine schändliche Lüge wäre; er wollte für Eva jegliche Bürgschaft übernehmen. Ich hätte es auch gethan, aber sonderbar war es doch immer mit dem Siebe. Die Meisten haben nun doch ihre eigenen Gedanken, aber Niemand möchte es der Herrschaft mittheilen, welche so große Stücke auf sie hält. Ich kann auch immer noch nicht so recht daran glauben.«
»Sie ist sicher unschuldig!« sagte Otto, und es betrübte ihn, daß irgend Jemand auch nur den geringsten Verdacht gegen Eva hegen könnte. Er dachte an den deutschen Heinrich und Sidsel, die ihm allein verdächtig vorkamen. Da fiel ihm plötzlich ein eigentümliches Experiment ein, das er einmal von Rosalien gehört hatte. Es schien ihm anwendbar und in psychologischer Hinsicht sicherer, als das mit dem Siebe.
»Es ist nicht unmöglich, daß es zur Entdeckung führt,« sagte er, als er Sophien und dem Verwalter seinen Plan mitgetheilt hatte.
»Wir wollen einen Versuch damit machen!« versetzte sie. »Ich halte den Plan für ganz vortrefflich. Ich muß mich dann auch mit der Probe unterwerfen, obgleich ich in das Geheimniß eingeweiht bin!«
»Ja wol, Sie, Ihre Schwester, Wilhelm, Eva, wir Alle müssen mit!« stimmte Otto bei. »Die Anregung dazu darf aber nicht von mir, sondern muß von dem Verwalter ausgehen.«
»Wahr, sehr wahr!« erwiderte dieser. »Also heute Abend, sobald es dunkel ist!«
Die Zeit kam, der Verwalter rief die Leute zusammen. »Jetzt,« sagte er, »weiß ich, wie wir den Dieb entdecken können!« Alle sollten in diesem vordersten Zimmer bleiben. Im Nebenzimmer, in welchem vollkommene Dunkelheit herrschte, stände rechts in der Ecke ein kupferner Kessel. An diesen sollten Alle, indem sie Einer nach dem Andern hineingelassen würden, herantreten und die Hand auf den flachen Boden desselben legen. Wer unschuldig wäre, dessen Hand bliebe weiß und rein, während die Hand des Schuldigen festbrennen und schwarz wie eine Kohle werden würde.«
»Wer nun,« schloß er seine Rede, »ein gutes Gewissen hat, gehe mit ihm und mit Gott hinein, berühre den Boden des Kessels, begebe sich darauf in das dahinter befindliche Zimmer und zeige mir dort seine Hand. Jetzt gehe ich, um euch in Empfang zu nehmen.«
Die Töchter, die Freunde, Eva, und alle Leute traten den Weg an. Der Verwalter fragte jeden Ankommenden: »Sage mir auf dein Gewissen, ob deine Hand den flachen Boden des Kessels berührte?«
Alle antworteten: »Ja!«
»So zeige mir denn deine Hand!« fuhr er fort, und sie zeigten sie ihm, und bei Allen war sie schwarz; Sidsels allein war weiß.
»Du bist die Diebin!« erklärte der Verwalter bestimmt. »Dein böses Gewissen hat dich geschlagen. Du hast nicht den Kessel berührt, nicht deine Hand auf seinen Boden gelegt; sonst wäre sie wie die der Anderen schwarz geworden. Der Kessel war inwendig mit Kienruß bestrichen; diejenigen, welche sich ihm mit gutem Gewissen näherten, weil sie dessen gewiß waren, daß ihre Hand rein bleiben würde wie ihr Gewissen, wurden gerade schwarz! Du hast dich selbst gerichtet. Gestehe, oder es wird dir übel ergehen!«
Sidsel erhob ein gräßliches Geschrei und warf sich auf die Knie. »Gott, steh mir bei!« rief sie und bekannte dann, daß sie die Diebin wäre. Eine Bodenkammer wurde zum Gefängniß eingerichtet; hier wurde die Delinquentin eingesperrt, bis die Sache am folgenden Tage dem Amtsrichter zur Anzeige gebracht werden könnte.
»Sie muß nach Odense ins Zuchthaus und Wolle spinnen!« sagte Wilhelm, »da gehört sie hin!« –
Als sich die Familie um den Theetisch versammelt hatte, scherzte Sophie über die Tagesbegebenheiten, Eva aber sagte bedauernd: »Die arme Sidsel!«
»In England würde sie gehängt werden,« erklärte Wilhelm, »das würde kein übler Anblick sein.«
»Abscheulich!« erwiderte Louise, »die Unglücklichen müssen ja schon auf dem Wege dorthin vor Schreck sterben!«
»Im Gegentheile, das ist gerade lustig,« versetzte Wilhelm. »Höre selber, welche herrliche Musik Rossini dazu gesetzt hat!« Darauf spielte er den Marsch aus der gazza ladra, unter dessen Klängen das junge Mädchen zum Galgen geführt wird. »Ist das nicht lustig? Ja, das ist ein Componist!«
»Ich finde die Musik eher charakteristisch!« entgegnete Otto. »Nicht die Gefühle des Mädchens wollte der Componist zum Ausdruck bringen. Es spricht sich in diesen Klängen die Freude des rohen Haufens über die herrliche Augenweide aus, die ihm der Anblick der Execution gewährt. Es ist keine tragische Oper, und deshalb wählte der Componist gerade diese Farbe.«
»Aus Ihnen redet nur der Widerspruchsgeist!« erwiderte Wilhelm. »Die Ansichten, welche Sie da äußern, habe ich noch von keinem Menschen gehört!«
»Wenn der Soldat Spießruthen läuft, wird ebenfalls eine lustige Musik gespielt,« versetzte Otto. »Gerade der Contrast bringt hier die größte Wirkung hervor.«
Ein eintretender Diener erzählte lächelnd, daß Peer Krüppel, der Neuvermählte, wie er ihn nannte, draußen stände und mit dem Baron Wilhelm zu sprechen wünschte. »Er ist wegen eines Walzers gekommen, den ihm der Herr Baron versprochen haben.«
»Er kommt auffallend spät auf den Hof,« meinte Sophie, »sonst pflegen doch die Bauern mit der Sonne zu Bett zu gehen!«
Draußen auf dem Gange stand der Angemeldete, der seine Holzschuhe an dem Portale zurückgelassen hatte, in bloßen Strümpfen, die Mütze in der einen, und einen großen Stock in der andern Hand. Er wüßte, wie er sagte, daß es für die Herrschaft noch Tag wäre. Da er gerade am Hofe vorübergegangen wäre, hätte er gedacht, er könnte vielleicht gleich den Walzer von Kopenhagen bekommen, den ihm der Herr Baron versprochen hätte. Er sollte morgen auf einer Hochzeit spielen, und möchte ihn gern dazu haben, müßte ihn jedoch erst einüben.
Sophie fragte nach seiner jungen Frau und scherzte mit ihm über seine Wahl. Louise reichte ihm eine Tasse Kaffee, die er draußen, im Gange stehend, trank. Otto konnte ihn durch die offene Thür sehen. Aus den sonderbaren Grimassen, die ihm Peer Krüppel schnitt, glaubte er den Wunsch herauslesen zu können, daß ihn derselbe zu sprechen wünschte. Als sich ihm Otto deshalb näherte, steckte ihm dieser ein Papier in die Hand, während er ihm mit einem sehr sprechenden Blicke zu verstehen gab, daß er Stillschweigen beobachten möchte.
Otto ging auf die Seite und betrachtete das schmutzige Stück Papier, welches ungeschickt zusammengelegt und mit einem Klumpen Siegellack geschlossen war. Die sehr unleserlich geschriebene Adresse lautete:
»AN den wuLgeborenen Her Odto Zustraab.« Zuerst versuchte er das Billet beim Mondscheine herauszubuchstabiren, allein selbst bei Licht ließ es sich nur schwer enträthseln.
Erst nach vieler Mühe gelang es ihm, den Sinn dieses halb deutschen, halb dänischen Kauderwelsches, von dessen Orthographie wir in der Aufschrift eine Probe gaben, herauszubekommen. Der Brief war von dem deutschen Heinrich. Er bat, Otto möchte ihn noch diesen Abend im Walde unfern Peer Krüppels Wohnung aufsuchen. Er hätte ihm eine Mittheilung zu machen, die des kleinen Ganges wol werth wäre. Herrn Zostrups Ausbleiben würde demselben zu großer Betrübniß und zu großem Elend gereichen.
Eine seltsame Angst überfiel Otto. Wie war es ihm möglich, sich unbemerkt zu entfernen? Hin sollte und mußte er; eine eigenthümliche Angst trieb ihn fort. »Je früher, desto besser!« sagte er, eilte die Treppe hinab und schwang sich, da die Thür vielleicht Geräusch gemacht hätte, gewandt über das niedrige Gartengitter. Bald hatte er den Wald erreicht. Er fühlte sein eigenes Herz klopfen. »Ewiger Gott!« betete er, »stärke meine Seele! Befreie mich von dieser Angst, die mich überwältigt! Leite alles zum Besten!« Jetzt befand er sich in der Nähe von Peer Krüppels Haus. Eine Gestalt lehnte sich gegen den Brunnen. Otto blieb stehen, suchte zu unterscheiden, wer es wäre, und erkannte endlich den deutschen Heinrich.
»Was hat Er mir zu sagen?« fragte Otto.
Schweigen gebietend hob Heinrich die Hand, winkte ihm und öffnete eine kleine Gitterthür, die hinter das Haus führte. Mechanisch folgte ihm Otto.
»Auf dem Gutshofe ist es ja schlimm hergegangen!« begann Heinrich. »Sidsel ist eingesteckt und wird morgen nach dem rothen Hause in Odense am Bache abgeführt!«
»Und zwar nur nach Verdienst!« versetzte Otto; »übrigens kümmert mich das wenig.«
»Allerdings,« entgegnete Heinrich; »gewissermaßen geht das Keinen von uns an. Allein Sie müssen doch ein gutes Wort für sie einlegen! Sie müssen diese Strafe von ihr abzuwenden suchen!«
»Sie ist aber völlig gerecht!« erwiderte Otto, »und was gibt mir überhaupt das Recht, mich in diese Angelegenheit zu mischen? Was hat Er mir eigentlich zu sagen?«
»Der gute Herr müssen nicht böse werden!« begann Heinrich von Neuem, »aber es thut mir doch Leid um das arme Mädchen. Da Sie es nicht kennen, so kann ich mir freilich denken, daß das Unglück desselben Sie wenig rührt; aber Sie werden sogleich ganz andere Saiten aufziehen, wenn ich Ihnen nur ein einziges Wörtchen ins Ohr flüstre, wenn ich Ihnen entdecke, daß es Ihre eigene Schwester ist, Herr Zostrup!«
Vor Otto's Augen wurde es schwarz, Todeskälte ließ sein Blut fast erstarren, und seine Hände klammerten sich an der Mauer fest, sonst wäre er zur Erde gesunken; nicht ein Laut entschlüpfte seinen Lippen.
Mit einer gewissen Vertraulichkeit legte ihm der deutsche Heinrich die Hand auf die Schulter, und fuhr mit erheuchelter Bewegung in der Stimme fort: »Das ist allerdings hart für Sie zu hören! Ich habe auch lange mit mir selbst gekämpft, ob ich es Ihnen mittheilen sollte. Indeß lieber ein kleiner Schmerz als ein großer! Ich sprach gestern mit ihr, ohne jedoch Ihrer Erwähnung zu thun, obgleich es für mich doch ein eigenthümliches Gefühl war, daß der Bruder mit dem gnädigen Fräulein oben an der Tafel saß, während die Schwester auf dem nämlichen Gutshofe als Schweinemagd dient. Nun hat man sie sogar noch eingesteckt! Es würde mir um des Mädchens wie um Ihretwillen Leid thun, Herr Zostrup, wenn morgen der Amtsrichter käme, und Ihre Schwester in die Klauen der rothen Engel fiele, aus denen sie nicht wieder so leicht herauszubekommen wäre! Aber jetzt könnte ihr vielleicht noch geholfen werden. Im Lauf der Nacht – –. Ich werde schon auf der Lauer liegen –, ich werde mich in der großen Allee vor dem Gute aufhalten. Ist sie erst so weit gekommen, so befindet sie sich in Sicherheit; ich werde sie aus dieser Gegend des Landes fortführen. Ich will es Ihnen nur gestehen, daß wir uns gestern halb und halb verlobt haben. Sie begleitet mich, und Sie stellen der Besitzerin des Gutes vor, daß es das Beste sei, den Vogel fliegen zu lassen!«
»Aber wie kann ich nur? Wie kann ich nur?« rief Otto.
»Es bleibt doch immer Ihre Schwester!« sagte Heinrich, und Beide verharrten einen Augenblick im Stillschweigen. »So werde ich denn um Mitternacht, wenn auf dem Hofe alles ruhig ist, in der Allee warten!« sagte endlich Heinrich.
»Ich muß!« rief Otto, »ich muß! Gott helfe mir!« –
»Jesus Maria helfe!« sagte Heinrich, und Otto verließ ihn.
»Sie muß meine Schwester sein, sie, die Entsetzlichste von Allen!« seufzte er. Seine Knie wankten, er mußte sich an einen Baum lehnen, Todtenblässe lagerte auf seinem Antlitz, kalte Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. Ringsum verbreitete der Wald dunkle Nacht; nur nach der linken Seite hin schimmerten durch das Gestrüpp die Strahlen des Mondes vom See zurück.
»Dort hinein!« seufzte er. »Alles wäre dann vergessen, meinem Jammer wäre ein Ende gemacht! – Was für eine Schuld habe ich mir denn vorzuwerfen? War ich denn schon, ehe ich auf dieser Erde geboren wurde? Soll ich hier für Sünden büßen, die ich in einer andern Welt beging?« – Leblos starrte sein düsteres Auge aus dem bleichen Antlitz hervor. So sitzt in schweigender Mitternacht der Todte auf seinem Grabe, so schaut der Nachtwandler auf die lebende Welt um sich her. – »Diesen Augenblick hatte ich vorausgefühlt; dieser Augenblick, der jetzt erschienen ist, war die Quelle, die ihr Gift über jeden Tag meiner Jugend spritzte. Sie ist meine Schwester! Sie? Ich Unglückseliger!« Thränen stürzten ihm aus den Augen, ein förmlicher Weinkrampf überfiel ihn, laut schluchzte er, denn es war ihm unmöglich, seine Stimme zu dämpfen. Er sank halb am Baume nieder und weinte, da Nacht seine Seele umhüllte. Schwere bittere Thränen entströmten seinen Augen, wie das Blut strömt, wenn das Herz durchbohrt wird. Wer konnte ihm hier Trost spenden? Für ihn lag kein Balsam in dem milden Wehen der hellen Sommernacht, im Waldesduft, in der heiligen schweigenden Natur. Armer Otto!
Die Thrän', die deinem Aug' entfällt,
Gibt Ruhe dir, denn eine Welt
Ist sie voll Schmerz und Weh und Lust,
Die dir herabrollt von der Brust.
Ja, schaust du weinend himmelwärts,
Wird leichter dir es bald ums Herz,
Denn auch der schwerste Kummer weicht
Der Thränenflut gar bald und leicht.
Glaubst du, daß er, der gnädig schaut,
Aufs kleinste Würmchen selbst im Kraut,
Daß er, der alles trägt und hält,
Vergessen könnte einer Welt?