Gut möglich, dass ihre Augen jetzt aufleuchteten, als sie zu Song Fanping hinüberschaute. Gleich darauf jedoch senkte sie wieder den Kopf und hastete weiter, denn der Mann auf der anderen Straßenseite war stehen geblieben und sagte mit leiser Stimme etwas zu seiner Frau.
Li Lan traf Song Fanping in der Folgezeit noch zwei weitere Male auf ihren nächtlichen Spaziergängen mit dem kleinen Glatzkopf-Li, einmal wieder mit Frau und Sohn, das zweite Mal allein. Plötzlich stand er in seiner vollen Größe da und versperrte ihr den Weg. Er streichelte mit seiner kräftigen Hand Glatzkopf-Li, der zu ihm aufschaute, übers Haar und sagte zu Li Lan: »Der kleine Kerl ist aber dünn! Sie sollten öfter mit ihm an die Sonne gehen, wegen der Vitamine.«
Die arme Frau wagte nicht einmal, ihn anzuschauen. Sie zitterte am ganzen Leib, und mit ihr Glatzkopf-Li auf ihrem Arm - wie ein Haus während eines Erdbebens schwankt, so schwankte das Baby hin und her. Song Fanping lachte auf und ging weiter, wobei er ihren Arm streifte. In dieser Nacht war Li Lan blind für die Schönheit des Mondlichts und kehrte sehr bald mit ihrem Kind nach Hause zurück. Wie gewohnt zog sie geräuschvoll Luft durch die Zähne, diesmal aber vielleicht - nicht wegen der Migräne.
Als Glatzkopf-Li drei Jahre alt war, verließ seine Großmutter Tochter und Enkel und ging in ihr Dorf zurück. Der Junge konnte schon laufen, war aber immer noch sehr dünn, noch magerer sogar als im Säuglingsalter. Seine Mutter litt nach wie vor unter Kopfschmerzen, mal mehr, mal weniger, und hatte inzwischen einen Rundrücken, weil sie den Kopf stets gesenkt hielt. Seitdem die Großmutter fort war, kam Glatzkopf-Li endlich auch in den Genuss des Sonnenlichts, denn Li Lan nahm ihn zum Einkaufen mit. Der Junge hielt sich an ihrer Jacke fest und wackelte schwankend und taumelnd hinter ihr her, während sie mit gesenktem Kopf hastig die Straße entlanglief, hatte sie doch immer noch das Gefühl, von unzähligen Blicken durchbohrt zu werden. Dabei verschwendete inzwischen niemand mehr seine Aufmerksamkeit auf sie, geschweige denn, dass irgendjemand mit Fingern auf die beiden gezeigt hätte.