Treib' ich auf den, wilden Meere,
Wo ein Wimpel meine Schürze,
Und ein Segel ist mein Hemde,
Selbst mein Scherz geht ohne Hosen!
Laß ich ihm den freien Lauf,
Koche nicht erst meine Worte,
Der Matrose schluckt sie rot).
Baggesen.
»Vivat die betheerten Jungens!«
Volksschauspiel »Capricciosa«.
Vor sich sah Christian eine Frau und ein junges Mädchen; er ging näher, sie nannten ihn beim Namen. Es war Lucie und ihre Mutter, welche in dieser frühen Morgenstunde auf dem Wege waren, um den Oheim Peter Wik zu besuchen, der mit seiner Jacht bei Svendborg lag.
Christian erzählte in unklarem Durcheinander von dem Pathen drinnen im Walde, und mit der dem Volke eigenen Angst vor einem Selbstmörder und der Furcht in eine Polizeisache verwickelt zu werden, ging Luciens Mutter noch rascher, ohne daß das Gespräch dadurch unterbrochen worden wäre.
»Aber ums Himmels willen!« sagte sie, »wart ihr Zwei da zusammen diese Nacht?«
»Ich traf ihn dort!« sagte Christian und gestand nun, daß er die Heimat ohne Wissen der Eltern verlassen habe.
»Aber, der Herr bewahre uns! Die müssen ja in großer Sorge um dich sein! Du solltest nicht mit uns gehen! Sie werden dich zwar schelten und du wirst eine Tracht Prügel bekommen, aber damit ist es auch vorbei.«
»O nein!« seufzte Christian, »darf ich nicht bei euch bleiben? Wendet die Hand nicht von mir ab. Ich will eure Hühner und Enten hüten. Ich will auf dem bloßen Stroh draußen in der Scheune schlafen! Schickt mich nur nicht wieder nach Hause!« Er brach in Thränen aus und küßte die Frau auf Hand und Schürze.
Da standen auch Lucien Thränen in den Augen und sie bat für ihn. »Laß ihn bei uns bleiben! Erinnerst du dich nicht mehr, wie bös sein Stiefbruder in der Kirche gegen ihn war?«
»Aber ich habe ja kein Anrecht auf ihn! Ich kann ihn seinen Eltern nicht wegnehmen!«
»Aber er kann doch mit uns nach Svendborg gehen. Der Oheim läßt ihn heute Nacht auf dem Schiffe schlafen und morgen geht er heim mit uns. Dann redest du zuerst mit den Eltern, sprichst für ihn und wenn sie nicht mehr böse auf ihn sind, geht er heim. Nicht wahr, das thust du?«
Christian sah sie wehmüthig an; sie nahm seine Hand.
»Sei nicht betrübt! Meine Mutter kann dich gut leiden!« und sie schaute die Mutter mit einem bittenden Blicke an.
»In Gottes Namen!« sagte diese. »Unser Herr hat dich uns zugeführt; so bleibe denn auch! Du sollst heute Nacht keine Noth in Svendborg haben. Morgen gehst du mit uns zurück.«
»Ja,« sagte Christian mit einem tiefen Seufzer.
Nun fragte sie wieder nach dem Pathen und was dieser gewesen und der Knabe antwortete darauf, so gut er konnte. Lucie sprach von dem lieben Onkel und dem Schiffe, das sie besuchen wollten, der hübschen kleinen Kajüte mit den kleinen Fenstern, an denen rothe Gardinen seien, und zwischen denselben hänge die Silhouette der verstorbenen Frau des Oheims, die eine Schwedin, drüben von Malmö, gewesen. Sie erzählte von dem Bücherbrett mit der Bibel, dem Gesangbuch und Albert Julius und der alten Geige.
Bei diesem Worte funkelten die Augen Christians: »Geige!« rief er aus. Nun erst verstand er, wie lieb dieser Mann einem sein könne.
Gegen Mittag erreichten sie Svendborg. Mit welchem Entzücken sah er Thorseng, die Bucht und die ganze theure Stadt wieder; er hätte gerne jedem Hause zugenickt. Es waren ja alte Bekannte. Sie gingen die Möllegasse hinauf, er sah nach dem Hause des Pathen hinab, die Fensterladen waren zu, die Thüre geschlossen. Sie kamen zur Schiffsbrücke.
»Da liegt die Lucie!« sagte die Mutter und deutete auf das Schiff.
»Und da steht der Oheim!« rief Lucie und verdoppelte ihre Schritte.
In einer geblümten kattunenen Nachtjacke stand ein kleiner dicker Mann da mit einem rothen, jovialen Gesicht. Das war der Oheim Peter Wik.
»Nun, seid ihr da?« rief er, »das muß man in den Kamin schreiben. Lisbeth und mein eigner kleiner Landsegler. Ihr kommt von Norden mit dem Südwind. Nun hinaus auf das Bret.«
»Kann das uns tragen?« fragte Lisbeth.
»Trägt es eine Last wie mich, so hält es auch solche Hühnchen, wie ihr seid! Was bist du groß geworden, Lucie. Soll das der Mann werden, die kleine Gräte, die du mit hast?« dabei deutete er auf Christian. »Na, aus Kleinem kann Großes werden. Nimm dich in Acht, mein Kind, daß er dir nicht davonläuft; ehe du ihm den Verlobungsring gibst.«
»Nein, wie nett und ordentlich hier unten doch Alles ist!« sagte Lisbeth.
»Zum Teufel, glaubst du, daß mein Schiff ein Schweinestall ist? Nein, meine See-Lucie wird jeden Morgen gewaschen und geputzt, wie ein Lieblingskind, und geht es in fliegender Fahrt über die See, so wascht ihr diese den Leib noch besser. Das Deck muß rein sein; am Werktag ist es mein Spaziergang und am Sonntag meine Kirche! Aber daß ihr so kommt, das ist unerwartet, das war ein guter Einfall von dir, Lisbeth!«
»Ehrlich gesagt,« antwortete sie, »war es Lucie, welche zuerst auf den Gedanken kam. Sie hatte keine Ruhe, bis es fortging.«
»Ueber ein Jahr habe ich dich nicht gesehen, Oheim!« sagte das Mädchen.
»Wäre ich zwanzig Jahre jünger, Lucie, und du hättest ein paar Jahre mehr, ja, weißt du, ich will nicht schwören, du könntest vielleicht noch Madam Peter Wik heißen. Herr Gott, man ist ein alter Seehund, wenn die hübschesten Mädchen heranwachsen! – Aber Esben soll hinauflaufen und drei Portionen Suppe und einen kleinen Braten bestellen, denn ihr müßt hier an Bord essen. Esben kocht einen Kaffee mit Cichorien, den man einem Kaiser vorsetzen kann. Ich habe ihm gelehrt, wie man ihn mit Flunderhaut klärt. Kommt jetzt herunter in die Kajüte. Ich muß wegen meines bischen Wohlbeleibtheit etwas schief segeln. Mit keiner Mutterseele habe ich mich jemals entzweit, ausgenommen meiner Kajütenthür. Einst war ich so dünn wie ein Kakerlak.«
Alles war darinnen, wie es Lucie früher beschrieben hatte. Die kurzen rothen Gardinen flatterten vor den kleinen Kajütenfenstern, zwischen denen Madame Wiks Silhouette hing. Oben auf dem Gesims lagen die Bücher und die Geige; diese zog Christians Aufmerksamkeit auf sich. Wie einfach und unansehnlich sie auch aussah, es war doch Alladins Lampe, die die Geister beherrschte, die mächtigen Geister der Töne.
»Die Fenster sollten etwas weiter heruntergehen, dann wären sie heller!« sagte Lucie.
»Weiter herunter?« antwortete, Peter Wik, »dann ginge ja die See dem Fahrzeug in den Leib. Du verstehst vom Seewesen nicht mal soviel wie eine Gans, die kann doch mit den Beinen rudern. Ihr Landratten –! ja, es ist doch sehr richtig, was in dem Märchenbuch von dem Boote oder Schiffs-Jungen steht. Sie hatten die Mittel nicht, ein großes Schiff zu kaufen, deshalb kauften sie ein kleines Boot, welches hinten angehängt wurde; sie meinten, es sei ein Junges, das wachsen würde und setzten es aufs Gras, aber es fraß nicht; da dachten sie, es sei krank, oder habe Sehnsucht und deshalb bezahlten sie den Schiffer und ließen es noch ein Jahr bei der Mutter gehen, bis es von selbst fressen lerne, »Hei! wie munter es wird!« sagten sie, als es auf dem Wasser hinter dem großen Schiff drein schwankte. Ja, ihr Landratten seid gute Seeleute!« Nun fragte er nach Christian und erfuhr seine Geschichte und wie er fortgelaufen. Was den Pathen anging, da wäre es am besten, wie er sich ausdrückte, daß diese Geschichte ihren eignen Strich segle, sie wollten nicht in dies Kielwasser. Heute Nacht sollte Lisbeth und Lucie in seiner Wohnung oben in der Stadt schlafen, er selbst bleibe an Bord, wo auch Christian eine Koje haben könne. Erst als die Beiden allein waren, wurde die Bekanntschaft etwas genauer gemacht.
»Na, mein Junge,« sagte Peter Wik, »nun wollen wir uns mit Ole Luköie herumschlagen. Aber er wippt uns, kannst du mir glauben, bis in den siebenten Himmel. Jetzt möchte ich meinen Grog und meine Pfeife haben und mit den Beiden eins schwatzen! Du sagtest ja, daß du geigen könntest! Laß mich hören, wie du kratzest!«
Christian bebte vor Angst, als er die Saiten berührte. Er machte einige von den künstlichsten Läufen, die ihn der Pathe gelehrt hatte.
»Nun ja!« sagte Peter Wik lachend, »das wäre eine ganz hübsche Melodie, wenn sie aus einer andern Tonart ginge. Das ist etwas norwegisch-arabisch, was du spielst. Das geht einem zu Kopf wie alter Cognac. Kannst du nicht ein Stück, das einem in die Beine geht, daß man gleich tanzen möchte?« Er nahm selbst die Geige und spielte einen Molinaski. Nun fragte er ihn um die Heimat und den Stiefbruder. »Warum bist du solch' ein dummer Kerl?« sagte er. »Du mußt dich wehren, gib ihm eins auf die Theekanne, daß er die Schnauze auf die andre Seite dreht! – Verkaufen, deine Geige? Das war eine Sünde. Du mußt auf deinen eigenen Beinen stehen; nun stehen konntest du nicht und deshalb bist du gelaufen. Zum Teufel! Es weht oft stärker auf dem Land, als auf der See! Was war dein Vater?«
Christian sagte es.
»Ich hab' ihn gekannt!« versetzte Peter Wik. »Er war dahinten herum zu Lande bis Livorno. Das war kein Schwächling, obgleich er ein Schneider war.«
»Könnte ich doch auch nach fremden Ländern kommen!« seufzte Christian. »O, dürfte ich hier auf dem Schiffe bleiben!« Er ergriff die Hand des Seemanns und seine Augen wurden so beredt wie seine Lippen.
»Sagte deine Mutter ja dazu, so könntest du wol bleiben, ich muß ohnedem Einen haben; aber das sage ich dir, wir liegen nicht jeden Tag hier im Hafen. Wir kommen auch hinaus, wo die Lucie schwankt, wo du ein kaltes Sturzbad bekommst, und mitunter gibts auch von mir eine Ohrfeige oder einen tüchtigen Puff in den Nacken, und dann kannst du nicht wieder davonlaufen, mein Junge. Wir essen auch nicht alle Tage wie heute Sauerbrod und trinken Kaffee. Schlafe du nun in der kleinen Koje, da liegst du, wie in deiner Mutter Kommodenschublade.«
Peter Wik saß auf dem Deck mit seinem Grog und seiner Pfeife, Christian ging nach seinem kleinen Bett. Frommes Vertrauen zu Gott erfüllte seine Gedanken, es war, als ob die Heiligen auf ihn herabschwebten.
In früher Morgenstunde erhob er sich, wie er es gewöhnt war, aus seinem Bett; das machte einen guten Eindruck auf den Schiffer.
»Du machst es wie die Hühner, du bist frühzeitig auf den Beinen, das mag ich leiden. Aber es ist doch das Beste, daß du landwärts segelst, bis du deine Papiere im Reinen hast und die Mutter sagt, daß du die Anker lichten könnest. Gott helfe mir, nun flennt er! Du bist ein ächter Seefisch.«
»Er bleibt bei dir, Oheim!« bat Lucie, als sie kam und Christians Kummer vernahm. »Meine Mutter geht noch heute Abend hinüber zu seinen Eltern und erzählt Alles. Er hat keinen Oheim zu Hause, wie du einer gegen mich bist.« Und ihre kleine Hand glitt liebevoll über die runzlige Wange.
»Nein seht, du hast schon ganz der seligen Madame Wik Manieren, wenn sie mich in ruhiges Wasser haben wollte. Die Frauenzimmer sind doch lächerliches Spielzeug.«
Lucie setzte ihre sichere Überredungskunst fort und Christian durfte bleiben, bis man der Eltern Bestimmung über ihn hörte.
Schon am Mittag des folgenden Tages kam Maria nach Svendborg; sie war allein und ging sogleich nach dem Schiff, küßte den Knaben und schalt zugleich.
»Herr Gott, uns so davon zu laufen! Ja du bist ganz dein Vater. Von ihm hatte ich auch nur Kummer! Du darfst nicht glauben, daß ich dir Schläge geben werde, obgleich du sie wol verdient hättest. Versuch's nur, wie es draußen unter Fremden schmeckt! Ich weiß wohl, was ich mit deinem Vater durchgemacht habe. Und glaubst du, daß ich mich wieder verheirathet hätte, wenn es nicht um deinetwillen geschehen wäre? Ich bin nicht auf Rosen gebettet, das kannst du glauben, aber du bist ein schwaches Rohr, das bist du. Segle nur fort mit dem Schiffe, und wenn es mit Mann und Maus untergeht, so habe ich auch noch den Kummer dazu.«
Das war ungefähr die Unterhaltung und Christian war nun Schiffsjunge. Es wurde eine Art Contract geschlossen; das Einzige, was ihm daraus verständlich geworden, war, daß er die Geige des Schiffers entlehnen konnte. Diese Bitte hatte er hervorgestammelt, als man ihn fragte, ob er Alles begriffen.
Nun mußte er mit Compaßhäuschen, Stagsegel und Klüver Bekanntschaft machen, und bald hing er wie eine Strandmöve in den Tauen, obgleich Klettern und Springen nie seine Sache gewesen.