Am Fuß des Rossbergs ist ein Dorf. Da war ein Bauer, der vom Getreidehandel lebte. Alle fünf Tage ging er in den Flecken östlich vom Dorf auf den Markt. Jener Markt war etwa eine Meile weit und von dem Dorfe durch einen Felsrücken getrennt.
Eines Tages kam er etwas betrunken vom Markte heim. Er ritt auf seinem Maultier und kam eben bei dem Felsrücken vorüber, als er plötzlich an einem Bach ein Ungeheuer sitzen sah. Sein riesiges Gesicht war blau, und die Augen traten aus dem Kopf hervor wie bei einer Krabbe. Sie leuchteten mit funkelndem Schein. Das Maul klaffte ihm bis an die beiden Ohren und sah aus wie eine Schüssel voll Blut. Darinnen standen in dichtem Gewirr zwei, drei Zoll lange Zähne. So hockte es am Bach; es hatte sich eben niedergebeugt und schlürfte Wasser. Man hörte ganz deutlich, wie das Wasser gluckste.
Der Bauer erschrak entsetzlich. Zum Glück hatte ihn das Ungetüm noch nicht gesehen. Das machte er sich zu nutze und schlug den Umweg ein, der am Nordhang des Felsens vorbeiführt. Dieser Weg ist eben, aber etwas weiter. Die Leute aus dem Dorf benützten ihn, wenn sie Schubkarren zu schieben hatten. Der Bauer gab seinem Maultier die Peitsche und galoppierte, so schnell er konnte.
Als er eben um die Ecke bog, da hörte er jemand hinter sich rufen: »Nachbar, wartet auf mich!«
Er blickte sich um, da war es sein Nachbarsohn. Er machte Halt und wartete.
Der Nachbar sprach: »Der alte Li ist ernstlich krank. Er wirds wohl nicht mehr lange treiben. Sein Sohn hat mich gebeten, in den Marktflecken zu gehen und einen Sarg zu bestellen. Eben komm ich zurück.«
Der Bauer wußte, daß der alte Li schon lange krank war, und so glaubte er ihm.
Der Nachbar redete weiter: »Ihr geht doch für gewöhnlich immer den nächsten Weg über den Berg; warum macht Ihr heute diesen Umweg?«
Der Bauer sagte etwas unbehaglich: »Ich wollte auch heute über den Berg; aber da sah ich ein Ungetüm, häßlich und fürchterlich, darum ist mir der Umweg nicht zu weit.«
Der Nachbar sprach: »Wenn ich Euch so reden höre, so kommt mich selbst die Furcht an, und ich getrau mich nicht allein nach Hause. Wie wäre es, wenn Ihr mich hinter Euch auf Euer Maultier sitzen ließet?«
Der Bauer wars zufrieden, und der Nachbar setzte sich hinter ihn auf das Maultier.
Nach ein paar Schritten fing er wieder an: »Wie sah das Ungetüm eigentlich aus, das Ihr gesehen habt? Erzählt einmal!«
Der Bauer sprach: »Es ist mir noch nicht so recht geheuer zu Mut. Zu Hause will ich Euch dann alles sagen.«
»Wenn Ihr nicht reden wollt«, erwiderte der andere, »so dreht Euch einmal um und seht mich an, ob ich so aussehe wie das Ungetüm.«
Der Bauer sprach: »Ihr müßt keine schlechten Späße machen! Ein Mensch ist doch kein Teufel.«
Aber der andere blieb dabei: »Seht mich doch nur einmal an!«
Damit zerrte er ihn gewaltsam am Arm.
Der Bauer drehte den Hals und guckte nach ihm um, und richtig war es das Ungetüm, das er am Bach getroffen hatte. Vor Schrecken fiel er vom Maultier und blieb bewußtlos liegen.
Das Maultier wußte den Weg und kam nach Hause. Den Leuten zu Hause ahnte nichts Gutes, und sie verteilten sich auf den verschiedenen Wegen, ihn zu suchen. So fanden sie ihn schließlich an der Ecke des Felshanges und trugen ihn heim. Um Mitternacht kam er erst wieder zu sich und erzählte, was ihm begegnet war.