"... und niemand anderes als Sybille Lang." Er wollte den Hörer in der Telefonzelle auflegen, als sein Gegenüber in der Taxizentrale sich nochmals vergewisserte:
"Hab ich Sie richtig verstanden, Herr ..."
Laut und akzentuiert: "... Gie...se...beck. Albert Giesebeck. Mozartstr. 18."
Erst ein Hüsteln, ehe eine Frau auf der anderen Seite nachhakte: "Also, Herr, Herr Giesebeck, ich wiederhole Ihren Auftrag: Heute an Heiligabend wünschen Sie mit einem Taxi nach München zu Ihrer Tochter kutschiert zu werden. Knapp fünfhundert Kilometer hin, fünfhundert Kilometer zurück. Ihnen ist klar, dass der Preis im fünfstelligen Bereich liegt?"
Sie nannte ihm die genaue Summe. Alberts Stimme veränderte sich nicht, blieb freundlich. Gelassen: "Liebe Dame, glauben Sie, ich scherze? Hab ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt? Bitte schicken Sie mir für sechzehn Uhr Frau Lang, die mich nach München zu meiner Tochter in die Ismaningstraße bringen soll. Frau Lang hat doch heute Dienst, oder?"
Stille. Schweigen. Keine Reaktion.
Albert Giesebeck wurde eine Nuance lauter: "Hallo. Hallo, hören Sie mich. Frau Lang ist doch im Dienst heute, oder?"
"Ja, die ganze Nacht."
Erleichtert fuhr Albert fort: "Geld spielt keine Rolle. Zu Ihrer Beruhigung entrichte ich den gesamten Fahrpreis vor Antritt der Fahrt."
In der Leitung knackte es, er hörte im Hintergrund vom Funk verzerrte Stimmen, als er wiederholte: "Nochmals zu Ihrer Erinnerung. Ausschließlich Frau Lang. Ansonsten können Sie den Auftrag vergessen." Schließlich hatte er drei Monate lang recherchiert, bis er sich für sein "Opfer" entschieden hatte.
Albert Giesebeck kontrollierte die Uhrzeit. Noch genau zehn Minuten blieben ihm bis zum Eintreffen des Taxis. In der Glasscheibe der Telefonzentrale spiegelte sich seine Erscheinung, auf die er heute besondere Sorgfalt verwendet hatte. Die Geldscheine für die Fahrt steckten fein säuberlich gebündelt in einem weißen Kuvert in seiner linken Jackeninnentasche. Mit dem Plastikbeutel eines großen Discounters in der Hand schritt er zum gegenüberliegenden Anwesen mit der Hausnummer achtzehn und wartete unter den Ästen einer Nobilistanne auf das Taxi. Nebelschwaden dimmten das Kerzenlicht des Baumes und verhinderten die Sicht in erleuchtete Fenster der Villen hinter weißgetünchten Mauern und schmiedeeisernen Toren. Autos brausten an ihm vorüber. Albert Giesebeck fror in seiner dünnen Jacke, die schon bessere Zeiten gesehen hatte und marschierte mit verschränkten Armen vor der Brust auf dem Bürgersteig hin und her. Dabei starrte er minütlich auf seine Uhr. Ganz in der Nähe dudelte "Oh Tannenbaum", das Albert Giesebeck mitsummte, als ein herannahendes Fahrzeug in taxigelb seine Geschwindigkeit drosselte und vor ihm an der Bordsteinkante stoppte. Die Scheibe auf der Beifahrerseite senkte sich automatisch, eine junge Frau beugte sich zum Fenster, musterte ihn unverhohlen geringschätzig, suchte mit den Augen den Bürgersteig nach weiteren Passanten ab und wollte schon aussteigen, um beim Haus Nummer achtzehn, vor dem er stand, zu klingeln, als Albert Giesebeck bereits auf der Rückbank des Taxis Platz genommen hatte und die Frau mit einem "Guten Abend, Frau Lang. Kompliment. Pünktlich wie die Feuerwehr. Auf nach München in die Ismaningstraße" begrüßte.
Noch bevor Sybille Lang überhaupt reagieren konnte, entnahm er seiner Jackentasche das Kuvert mit dem abgezählten Geld und überreichte es der verdutzten jungen Frau mit einem freundlichen "Bitte", der es im ersten Moment die Sprache verschlug. Dann wies sie mit dem Zeigefinger auf ihn und stotterte: "...Sie, Sie ...sind Herr Giesebeck. Albert Giesebeck?" Er schmunzelte. "Genau. Hinter Ihnen sitzt Albert Giesebeck."
Erstaunlich schnell erlangte Sybille Lang ihre Fassung wieder, fächerte die Geldscheine auf, fuhr mit ihren Fingern über den obersten Schein und hielt ihn prüfend ans Licht: "Wirklich echt?" Es dauerte, bis Alberts Lachen abgeklungen war. Sybille Lang schielte nach hinten ohne ihn direkt anzusehen. "Genau ein Hunderter zuviel, Herr Giesebeck."
"Trinkgeld. Für Sie!"