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Die Weihnachtspredigt des Pfarrer Paulus zu Kleinkirchehrenberg
日期:2012-02-23 13:42  点击:0
Er stand hoch oben über den Köpfen der Gläubigen in dem barock verzierten Vogelnest, die Taube geschnitzt und weiß bemalt über seinem Kopf als Versicherung, dass der Heilige Geist ihn erfüllen, ihm beistehen würde bei seiner Weihnachtspredigt. Von den bleigefassten historischen Fenstern wehte ein kalter Luftzug am Nacken des Mannes im schwarzen Talar vorbei und traf auf die Strohsterne am Christbaum. Sie drehten sich leise und leuchteten im Kerzenlicht wie die Sterne über dem Stall in Bethlehem. Im steten Luftzug neigten sich die Flammen der Kerzen und ihr Weihe- und Weihnachtsduft mischte sich mit dem Geruch dampfender Feuchte aus den schweren Wintermänteln der Kleinkirchehrenberger in den schmalsitzigen Bänken. 
Überrascht hatte Pfarrer Paulus gesehen, dass an diesem ersten Weihnachtstag viele Gläubige den Weg in die Kirche gefunden hatten. Mehr als sonst. Heilig Abend war es, dass die kamen, die an anderen Tagen der Kirche fern blieben. Sie kamen, um die Weihnachtsbotschaft Es begab sich zu der Zeit... zu hören. Dann erst war auch für sie Weihnachten. Doch am Heiligen Abend hatte es unmäßig geschneit und gestürmt, kaum einer war vor die Türe gegangen. Und nun waren sie alle da, die am ersten Feiertag sicherlich nicht gekommen wären. Die Menschen brauchten eben ihr Quantum Kirche, um zu spüren, dass Weihnachten ist. Sie brauchten das Es begab sich zu der Zeit... 
Pfarrer Paulus ahnte, dass er sie heute enttäuschen würde. In der nimmermüden Hoffnung, ihnen trotzdem zu einem vollkommenen Weihnachtsfest durch eine erbauliche Predigt zu verhelfen, hatte er die Stufen hinauf zur Kanzel erklommen. Nun stand er hoch über der Gemeinde, blickte in die breiten bäuerlichen Gesichter weit unten im dichtbesetzten Kirchenschiff und erschauerte vom eisigen Lufthauch im Nacken und unter den Blicken, die sich so voller Erwartung auf ihn hefteten. Er fühlte sich nicht wohl, da droben, allein mit der Taube und der beißenden Kälte. Ihm schwindelte ein wenig. Es war nicht der Blick in die Tiefe, der ihn verunsicherte, sondern es war das Gefühl, nicht das Recht zu haben, den Gläubigen so von oben herab die frohe Botschaft überzustülpen. Den Gläubigen, die glaubten oder auch nicht, die in die Kirche kamen, weil Weihnachten war und nicht alle kamen nur, um die Predigt zu hören. Aber sie kamen und sie hatten ein Anrecht darauf, über das biblische Weihnachten zu hören. Denn Paulus verstand auch die, die nur selten den Weg in den Gottesdienst fanden. 
Der Prediger sah die Erwartung in den Gesichtern, sah, wie sich in ihren Gehirnen automatisch die Worte formten: Es begab sich zu der Zeit... 
Aber genau diese Botschaft, die fast alle einmal in ihrem Leben gehört, die in ihrem Erzählrhythmus in den Gehirnen hängen geblieben war und kindliche Erinnerungen aus der Tiefe aufsteigen ließ, just diese Geschichte sollten sie heute nicht hören. Sie war dem Heiligen Abend vorbehalten gewesen. Am ersten Weihnachtstag sollte über einen anderen Text gepredigt werden und das bereitete dem ansonsten so redegewandten, so auslegungsstarken Pfarrer Paulus Beschwer. Wie sollte er den vom gestrigen Schneeunwetter versprengten Weihnachtsgästen zu ihrer Weihnachtsfreude verhelfen? 
Er schaute in ihre Gesichter, gezeichnet von harter Arbeit, von gutem Essen und von Klatsch und Tratsch und es widerstrebte ihm, ihnen eine akademisch ausgefeilte Bibelauslegung um die Ohren zu schlagen. Ihnen, den religiösen Analphabeten, den Weihnachtsbetern, die hören wollten: Es begab sich zu der Zeit.... 
Seine Blicke irrten zu den leise tanzenden Strohsternen am Christbaum, wanderten über das Kerzengeflacker hilfesuchend hinauf zu der Taube über ihm, dann beugte er sich ergeben über die vor ihm liegende Bibel. 
'Liebe Gemeinde, hören wir die Worte des Propheten Jesaja aus dem 11. Kapitel', sagte er und sah bei einem raschen Blick nach unten, wie sich die Gesichter in Enttäuschung umwölkten. Wer war dieser Mann, der so lange vor dem Christkind in der Krippe gelebt hatte? Wenige nur von den weihnachtlichen Kirchenbesuchern wussten von ihm. 
Pfarrer Paulus las die Geschichte, in der erzählt wird, von dem Reis, das entspringen wird und davon, dass der Herr nicht richten wird nach dem, was seine Augen sehen. Und er las die wunderschöne Vision von einer Welt ohne Streit und Kampf ums Überleben und er liebte den Text und er wusste, dass er nicht wusste, wie er seine Liebe zu diesem Text den bibelunerfahrenen Weihnachtsgästen in seiner Kirche nahe bringen könnte. 
Mit lauter Stimme und in der vagen Hoffnung auf ein offenes Ohr zu treffen, las er die Worte, die aus einer längst vergangenen Zeit mit dem Wunsch für eine bessere Zukunft zu den Menschen in Kleinkirchehrenberg herüberwehten. 
 
Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und der Glaube der Gurt seiner Hüften.
Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen und die Parder bei den Böcken liegen. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. 
Kühe und Bären werden auf der Weide gehen, dass ihre Jungen beieinander liegen; und Löwen werden Stroh essen wie die Ochsen. 
Und ein Säugling wird seine Lust haben am Loch der Otter, und ein Entwöhnter wird seine Hand stecken in die Höhle des Basilisken. 
 
Der Prediger schloss die Bibel und als er nach unten blickte, gewahrte er, dass seine Worte wohl in nur wenige Ohren gedrungen waren. Er sah an den umherschweifenden Blicken, dass die Gedanken der Zuhörer längst vom Text abgewichen und auf eigenen Wegen gewandert waren. In den Bänken drängten sich Bauern und einfache Handwerker, Arbeiter und Hausfrauen. Es saßen auch Menschen da, die keine Arbeit mehr fanden auf den kargen Höhen von Kleinkirchehrenberg. Was sollten sie damit anfangen, dass da einer vor Jahrtausenden gewesen war und sagte, die Gerechtigkeit sei ein Gurt seiner Lenden. Oder gar die Sache mit dem Entwöhnten, der seine Hand in die Höhle des Basilisken steckt. Es konnte auch sein, ihre Gedanken waren gar nicht mehr so weit gekommen, hatten sich schon viel früher verfangen beim Mastvieh und den Löwen. Ein Bild aus ihrer Vorstellungswelt, eine Vision, die ihnen etwas sagte und sie dachten vielleicht an den Bären, den man erschossen hatte, weil er nicht bei den Schafen liegen, sondern sie hatte fressen wollen. 
Dass die in altertümlichen Texten Ungeübten seinen Worten nicht mehr gefolgt waren, hörte er am Hüsteln und der Unruhe. Er sah die beiden Konfirmanden, verschanzt hinter der Brüstung der Empore, wie sie aus dem Liedblatt eine Schwalbe falteten, sah die behandschuhte Hand des Organisten, die ihnen auf die Finger klopfte. 
Pfarrer Paulus spürte, dass er manchen der Bibelfernen zu viel mit dem Text des Jesaja zumutete. Da beschloss er, wenn schon nicht sich, so doch wenigstens die Menge unter seinem Vogelnest von dem Text zu erlösen. 
Für ihn selbst waren die Worte des Jesaja Worte, die er liebte, die er gerne gestreichelt hätte; wie ein kostbares altes Buch, wie ein Foto aus vergangenen Tagen oder eine getrocknete Blüte aus dem Brautstrauß der Großmutter. Doch was sollten solch persönliche Bilder? Sie waren unbrauchbar für die Ohren der von den Weihnachtsvorbereitungen ermüdeten Frauen, die erschöpft in den Bänken hockten, für die Ohren der Männer, die sich am liebsten bei Bier und Stammtischpolitik von der täglichen Arbeit erholen wollten. 
Pfarrer Paulus wusste, die Bibel war ein grandioses Buch mit mitreißender Bilderwelt. Eine kurze Geschichte reihte sich an die andere und gemeinsam wurden sie zu einem wortstarken Erzählwerk, auch für Menschen, die die Inhalte nicht vorbehaltlos akzeptieren konnten. 
Im Bewusstsein der Taube über ihm, bat er um die Kraft des Heiligen Geistes und baute auf die Eindringlichkeit der Wiederholung einer Erzählung auch ohne theologische Auslegung. Er sprach den Text ein weiteres Mal, sprach, ohne in das Buch vor ihm zu blicken, sondern schaute in die Augen, die erstaunt ob der Wiederholung auf ihn gerichtet waren. Er sprach im Rhythmus der Stimme seiner Großmutter, wie sie ihm einst Märchen vorgelesen hatte. Dann stieg er von der Kanzel, führte den Gottesdienst zu Ende und entließ die Gemeinde mit dem Segen und unter dröhnenden Orgelklängen in den wohlverdienten Feiertag. 
Vor der Kirchentüre, als er sich von den Gottesdienstbesuchern verabschiedete, hörte er sie miteinander reden. Aus dem Stimmengewirr drangen einzelne Sätze bis zu ihm. Da sagte die eine: 
'Schön war's. Es war wie früher, wenn die Mutter vorgelesen hat. Auch damals habe ich nicht alles verstanden. Es war ein bisschen geheimnisvoll, aber eben schön.' 
Und die andere: 
'Vielleicht hat er es sich ein wenig zu einfach gemacht, der Herr Pfarrer. Aber wahrscheinlich ist er genauso müde wie wir. Wissen möchte ich nur, was ein Basilisk ist.' 
Die beiden Konfirmanden kicherten und glucksten über den Säugling, der seine Lust haben wird am Loch der Otter. 
Paulus hörte aus der Menge die harte Stimme einer Deutschstämmigen, vor kurzem aus Sibirien nach Kleinkirchehrenberg gekommen: 
'Ach, war das wieder schön heute. Die Kerzen und der Christbaum und die Orgel. So richtig Weihnachten.' 
'Ein schöner Text war das, wenn's auch nicht die Weihnachtsgeschichte war, auf die ich gewartet habe', murrte es neben dem Pfarrer. 'Es begab sich zu der Zeit..., das ist halt die Geschichte, mit der es erst richtig Weihnachten wird. Aber gefallen hat es mir trotzdem.' 
'Mir ist bei dem Text so vieles eingefallen', ein anderer dagegen. 'Meine Gedanken sind einfach immer wo anders gelandet, als bei Weihnachten.' 
Schließlich rundete eine der Frauen dieses Predigtnachgespräch, das sich auf dem Kirchenvorplatz so von alleine ergeben hatte, mit praktischen Erwägungen ab. 
'Gut war vor allem, dass er nicht so lang gepredigt hat. Ich muss jetzt schnell heim und den Braten in die Röhre schieben.' 
Pfarrer Paulus dachte bei sich: So sind sie eben. Und weil sie so sind, wie sie sind, mag ich sie. Ein paar Leute haben doch zugehört und manche haben sich sogar Gedanken gemacht. Was will ich eigentlich mehr? 
Und einer nach dem anderen gingen sie an Pfarrer Paulus vorbei, gaben ihm die Hand und wünschten ihm: 'Frohe Weihnachten!' 

 


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