"Ich will aber!", ruft das kleine Engelchen.
"Du kannst noch nicht mit, du bist noch ein bisschen zu klein.", erklärt Mama Engel ihrer jüngsten Tochter: "Nächstes Jahr, wenn du besser fliegen kannst, darfst du ganz sicher mit."
"Ich will aber jetzt mit. Ich möchte helfen, den Kindern die Geschenke zu bringen. Bitte Mama, bitte Papa. Lasst mich doch bitte schon dieses Jahr mit."
"Nein, Löckchen. Du bist gerade erst in die Fluglernschule gekommen. Du kannst noch nicht gut genug und noch nicht schnell genug fliegen. Du musst erst noch ein bisschen üben. Gerade heute ist es sehr stürmisch, da braucht man sehr viel Flugerfahrung. Aber da du eine sehr gute Schülerin bist, darfst du schon im nächsten Jahr mit uns die Geschenke verteilen. Ich verspreche es Dir. So und nun müssen wir los. Sei schön brav und geh nicht zu spät ins Bett. Tante Elsbeth wird auf Dich aufpassen..."
Mama und Papa Engel geben dem kleinen Nesthäkchen einen dicken Kuss auf die Stirn und fliegen los, um den Kindern die Geschenke zu bringen.
Löckchen bleibt zurück. Enttäuscht wird sie von ihren Eltern zurückgelassen. Sie steht einfach nur da. Ihr weißes Kleid hängt an ihr herab, die Flügel hat sie noch von der Flugstunde auf Ihrem Rücken befestigt. Ihre wunderbaren lockigen Haare hängen bis zu ihrem Po. Sie trägt ein Stirnband aus silbernen Perlen. Ihre runden Backen beginnen, sich vor Wut knallrot zu färben. Löckchen muss erst einmal tief Luft holen.
Das kleine Engelchen ist stinksauer. Sie möchte unbedingt mithelfen, die Geschenke zu verteilen. Sie kann nämlich schon richtig gut fliegen. Geradeaus, links und rechts und einen Looping hat sie auch schon gemacht. Schließlich ist sie die beste Schülerin in der Fluglernschule. Sie ist überzeugt, dass sie schon in diesem Jahr mitfliegen kann. Wieso nur darf sie nicht? Wieso nur wird ihr immer alles verboten?
Kurz überlegt sie, dann trifft sie eine Entscheidung. Tante Elsbeth ist so und so schwerhörig, Löckchen wird sich einfach hinaus schleichen und den Eltern und Geschwistern hinterher fliegen. Wenn sie erst mal in Schweden sind, können sie sie nicht mehr zwingen, umzukehren. Also los geht's. Noch einen kräftigen Schluck Wasser und einen Lebkuchen, damit sie unterwegs nicht hungrig oder durstig wird. Und das bisschen Wind kann ihr doch nichts anhaben.
Mutig und trotzig fliegt Löckchen los. Sie muss noch das Gebirge überqueren und dann ist sie auch schon in Schweden.
Und tatsächlich. Der Wind ist rau, aber das kleine Engelchen schafft es, das Gebirge zu überqueren. "Da, da vorne, da sind doch meine beiden Brüder", denkt das kleine Engelsmädchen. "Zum Glück. Es ist alles gut gegangen. Jetzt kann ich der Familie beim Geschenke verteilen helfen und dann im Windschatten ein bisschen mitfliegen. Wenn ich heute Nacht zu müde werde, trägt mich Papi sicherlich nach Hause."
Ganz stolz beschleunigt Löckchen nochmals, um vorne, beim nächsten Haus ihre Eltern und Geschwister zu erreichen. Sie lässt die Familie dabei nicht aus den Augen. Doch plötzlich ... oh nein, das Engelchen hat den Baum nicht gesehen. Hoch und majestätisch steht er im Garten, seine Äste weit ausgebreitet, um alles festzuhalten, was ihm in die Quere kommt. Und tatsächlich, Löckchen versucht noch im letzten Moment über den Baum hinweg zu fliegen, aber es gelingt ihr nicht. Sie bleibt hängen. "Aua!" ruft sie, "das tut ganz schön weh!" Niemand hört jedoch ihren Schrei. Die Eltern sind schon weiter gezogen und der Wind tut sein übriges, damit ihr Schrei verstummt.
Nun hängt sie da. An ihren neuen Flügeln. Papi hat sie ihr gerade geschenkt. Ganz tolle weiße Fluglernflügel, die besten, die man auftreiben kann. Eine Handarbeit vom Nikolaus persönlich. Bessere Flügel kann man nirgendwo bekommen. Zum Fliegen sind die Fluglernflügel ja auch wunderbar, aber zum Halten an einem Baum? Dazu sind sie nicht geeignet. Das stellt sich schnell heraus. Nur unmittelbar nach dem Unfall fällt das kleine Engelchen in den Schnee, ohne Flügel. Die Flügel werden vom nächsten Windstoß eingefangen und fliegen alleine weiter.
Fast landet Löckchen auf dem Schneemann, aber sie kann sich gerade noch ausweichen, damit sie ihm nicht wehtut.
"Hallo Engelchen" sagt der Schneemann, der ohne Nase im Schnee steht: "Geht's dir gut?"
"Ob es mir gut geht, fragst du, Schneemann. Was denkst du, wie es einem Engelchen geht, das gerade ohne Flügel vom Baum gefallen ist? Es geht mir nicht gut. Der Schnee ist so kalt und ich habe nur mein Engelskleid an. Ich werde erfrieren. Außerdem bin ich auf meinem Popo gelandet und das tut ganz schön weh", weint Löckchen.
"Kleines Engelchen, lass den Kopf nicht hängen. Gleich kommt ein nettes Mädchen. Sie wird dir bestimmt helfen. Sie hat mich heute gebaut und bringt mir gleich eine Karotte als Nase, da meine alte von einem Hasen geklaut wurde. Das Mädchen heißt Mathilda. Sie ist so lieb. Sie ist selbst ganz arm, aber so hilfsbereit. Sie wird sich um dich kümmern. Pst. Da kommt sie schon, Sie darf uns nicht reden hören."
Der Schneemann bleibt wie erstarrt stehen und macht keinen Mucks mehr.
Das Mädchen Mathilda kommt angelaufen, mit einer Karotte in der Hand. Als sie kurz vor dem Schneemann steht, sieht sie das kleine Engelchen mit ihrem lockigen Haar.
"Du bist ein Engel, stimmt's? Du bist wunderschön. Ich habe gewusst, dass es Engel gibt, aber meine Mama wollte mir ja nicht glauben."
"Ja, ich bin ein Engel.", antwortet Löckchen, "aber bitte verrate niemandem, dass ich hier bin. Normalerweise dürfen mich Menschen nämlich nicht sehen. Kann es unser Geheimnis bleiben, dass du mich gefunden hast?"
"Ja", antwortet Mathilda "ich werde es niemandem verraten. Ich kann dieses Geheimnis für mich behalten. Ich habe immer gedacht, dass Engel Flügel haben, aber du hast keine ..."
"Ich bin im Baum hängen geblieben. Und meine Flügel sind gerade von einem Windstoß weiter getragen worden, während ich hinuntergefallen bin", erklärt Löckchen
"Hast du dich verletzt?", will Mathilda wissen.
"Nein, es geht schon, aber hier ist so schrecklich kalt", jammert das kleine Engelchen.
"Komm erst mal mit ins Haus, Engelchen. Ich bin übrigens Mathilda. Ich werde dich ins Haus bringen. Meine Mutter ist gerade im Keller, den Weihnachtsschmuck für morgen suchen. Sie merkt also nichts", sagt Mathilda. "Ich werde dir ein paar Kleider von mir und ein paar warme Socken geben."
"Vielen Dank, Mathilda. Mein Name ist übrigen Löckchen."
Mathilda schmuggelt Löckchen ins Haus und gibt ihr etwas Warmes zum Anziehen. Das kleine Engelchen erzählt Mathilda die ganze Geschichte und beginnt zu weinen, weil sie nicht weiß, wie sie ohne Flügel nach Hause kommen soll. Mathilda nimmt Löckchen in den Arm und tröstet sie. "Meine Mama sagt immer, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt. Wir werden schon eine finden. Und notfalls kannst du bei mir bleiben. Ich bin doch deine Freundin", tröstet Mathilda das verzweifelte Engelsmädchen.
"Ho, ho, ho. Fröhliche Weihnachten allerseits", der Nikolaus fliegt gerade seine Runde, doch plötzlich. "Hilfe, ich sehe nichts mehr. Was ist denn nun los? Was ist das denn? Das sind doch die Engelsflügel von Löckchen. Die habe ich doch extra nähen lassen. Da wird doch nichts Schlimmes passiert sein?"
"Nikolaus, Nikolaus. Komm hier herunter", ruft der Schneemann. "Ich weiß wo Löckchen ist!"
"Habe ich da gerade meinen Namen gehört? Aber ich kann niemanden sehen", sagt der Nikolaus.
"Hier unten bin ich, ich der Schneemann."
"Ach so, hallo Schneemann.", ruft der Nikolaus.
Der Nikolaus muss sein Rentiergespann wenden und macht eine Vollbremsung in Mathildas Garten.
"Geht es Löckchen gut?", fragt der Nikolaus.
Der Schneemann erzählt was passiert ist.
Der Nikolaus lässt den Schneemann in Ruhe berichten und sagt dann: "Vielen Dank für deine Hilfe Schneemann und ein fröhliches Weihnachtsfest. Mache dir keine Sorgen um Löckchen, ich werde sie wieder nach Hause bringen."
Der Nikolaus steigt auf seinen Schlitten und beginnt loszureiten. Als er in der Luft ist, lenkt er seine Renntiere so, dass er an Mathildas Fenster klopfen kann. Erstaunt öffnen die beiden Mädchen das Fenster.
"Hallo, Nikolaus, wie gut dass du mich gefunden hast. Mathilda hatte Recht, es findet sich immer eine Lösung. Vielen Dank Mathilda", ruft Löckchen erleichtert.
"Los Mädchen. Steigt ein. Wir werden jetzt schnell die restlichen Geschenke verteilen und dann bringe ich jede von Euch wieder nach Hause", sagt der Nikolaus.
"Was, ich darf auch mit?", fragt Mathilda.
"Ja, du hast ein gutes Herz mein Mädchen und ich wollte so und so zu dir. Schließlich hast du dir gewünscht, einmal mit mir die Geschenke zu verteilen. Ich habe deinen Wunschzettel erhalten", erklärt der Nikolaus.
Die Mädchen umarmen sich kurz vor Freude, halten sich an den Händen und steigen in den Schlitten.
Wie versprochen bringt der Nikolaus jedes Mädchen wieder zu sich nach Hause, nachdem die Geschenke alle verteilt sind.
Löckchen hat von Ihren Eltern erst einmal eine Woche Hausarrest bekommen, aber das hat sie gut ertragen. Schließlich hat sie eine neue Freundin gefunden.
Fortan besucht Löckchen ihre Freundin Mathilda an jedem Weihnachtsfest.