Ich wurde im Mai auf einem großen Baum in einem Wald geboren. In diesem Wald verlief auch eine Straße, die mich und meine Geschwister von so manchen anderen Tieren trennte. Ich bin ein Eichhörnchen. Ich bin das einzige Mädchen in meinem Wurf. Meine drei Brüder wurden alle etwas später geboren als ich.
Mama kümmert sich immer sehr liebevoll um uns, damit gute Eichhörnchen aus uns werden. Später hab ich bestimmt mal die gleiche Aufgabe.
Vor ein paar Tagen hat sie zu mir gesagt, ich bin bald bereit dafür, mir ein eigenes Heim zu suchen und dort zu leben. Heute sollte ich erst mal schauen, ob ich dafür einen passenden Baum finde.
Also machte ich mich auf den Weg. Mama begleitete mich. Sie sagte immer, ich bin ihr Sonnenschein, weil ich längst nicht so viel Streit machte wie meine Brüder.
Ich fand einen hübschen, großen Baum. Es war eine Eiche. Sie hatte eine wunderschöne, riesige Krone. Perfekt, um dort selbst kleine Eichhörnchen zu bekommen. Wenn der Baum Blätter hat, ist er bestimmt sehr sicher. Im Winter müssten wir dann vielleicht in eine Tanne ziehen, aber es ist ja nicht das ganze Jahr lang Winter.
Der Baum wirkte warm und freundlich auf mich. Ich war sehr stolz, hier bald wohnen zu dürfen.
Meine Mutter hatte mir gesagt, dass wir morgen vielleicht anfangen, Äste zu suchen und damit zu bauen. Das konnte ich noch nicht so gut. Wir nehmen dafür von den wundervollen, grünen Blättern der Eiche und einige Äste von den umstehenden Bäumen.
Meine Mutter wollte bereits wieder nach Hause. Ich bat sie darum, noch etwas bleiben zu dürfen. Sie stimmte zu. Ich versprach, nicht allzu lange fort zu bleiben und ihr bald zu folgen.
Ich sah sie bereits weglaufen und sprang in dem Moment den Baum hoch. Es fühlte sich toll an, auf dem eigenen Baum zu sitzen. Ich sprang etwas von Ast zu Ast und genoss den Geruch der Eiche.
Bei meinem alten zu Hause roch es längst nicht so gut. Dort stank es schon fast nach Tanne. Meine Eltern hatten auf dem einzigen Laubbaum zwischen vielen, vielen Tannen genistet. Bei meiner Eiche stand nur eine Tanne in unmittelbarer Nähe und die war noch recht klein.
Zwei Tage später zog ich in meinem Baum ein. Meine Mutter hatte mir erzählt, dass ich zu ihr kommen sollte, wenn ich mal Probleme hätte.
Ich hatte gerade mein Nest fertig. Ich lag darin und dachte daran, dass ich mir bald ein Männchen suchen würde. Mit ihm würde ich dann eine Familie gründen. Wie sehr freute ich mich bereits darauf!
Plötzlich knackte es. Ich sah mich um und entdeckte, dass ein Ast abgefallen war.
Mein Baum stand dicht an der Straße und ich hatte von hier oben bereits einige schöne Äste auf der anderen Straßenseite entdeckt. Sollte ich es wagen und versuchen, einen zu holen?
Ich musste ja nur darauf Acht geben, dass kein Mensch mit einer dieser Stählernen Maschinen in der Nähe war. So schwer konnte das ja wohl nicht sein.
Also entschloss ich mich, es zu wagen und über die Straße zu gehen.
Ich kletterte von meinem geliebten Baum herunter und ging auf die Straße zu. Was sollte schon schief gehen?
Ich hatte einen guten Blick auf die Straße und konnte die Kisten gut erkennen. Eines war in weiter Entfernung zu sehen, aber es konnte unmöglich so schnell sein, dass es bei mir ankam bevor ich auf der anderen Seite war.
Also los!
Ich rannte so schnell ich konnte los. Ich sah noch einmal zu dem komischen Gefährt. Es war auf einmal sehr viel schneller. Wie konnte das sein? Was sollte ich jetzt tun?
Ich rannte weiter. Ich sah noch den Menschen darin, der mich angrinste. Das Ding kam genau auf mich zu und der junge Mensch sah aus, als fände er das sogar noch toll!
Was jetzt?
Ich war vor Schreck stehen geblieben, rannte jetzt aber wieder weiter. Zu spät!
PENG!
Ein Knall… woher kam der Knall nur?
Ich wollte aufstehen, aber mein Körper reagierte nicht auf mich! Ich wollte mich umsehe, konnte aber nur gerade eben den Kopf etwas heben.
Und jetzt waren sie da. Schmerzen! Überall! Ich lag auf der rechten Seite, im Gras. War ich geflogen? Wie ein Vogel?
Ich spürte meinen Körper nicht mehr. Aber ich schmeckte das Blut, was von irgendwo her in meinen Mund floss.
Mein Hals war trocken und ich versuchte, zu atmen, aber es ging nicht. Ich bekam keine Luft! Mama, wo war meine Mama?
Meine Gedärme vermischten sich mit meinem Blut, aber ich spürte nur die Schmerzen.
Ich versuchte, zu schreien, aber kein einziges Fiepen verließ meinen Mund.
Plötzlich war sie da, meine Mama. Und meine Brüder waren mit meinem Vater zusammen gekommen. Niemand berührte mich, alle sahen sie mich nur an. Waren sie wirklich da oder träumte ich das nur?
Alle anderen Eichhörnchen, die ich kannte waren auch gekommen.
Mein Leben zog jetzt langsam an mir vorüber. Ich sah meine Eiche und mein Nest und wie ein Männchen dort mit zwei kleinen Babys drin lag.
Ich weinte. Ohne Geräusche, aber ich spürte, wie es auf meiner Wange feucht wurde. Oder war das Blut?
Dann hörte mein kleines Herz langsam auf, zu schlagen. Ich spürte noch, wie Blut über meine Augen lief und ich nichts mehr sah. Ich schloss sie und lag reglos da. Tot.
Der Mensch war längst über alle Berge. Er hatte Spaß daran gehabt, mich zu töten.