Es war einmal ein Fischer, der war alt und arm. Er hatte eine Frau und drei Kinder, aber er besaß kein Geld. Tagsüber ging er zum Meer und warf seine Netze aus. Das tat er immer genau dreimal, nicht häufiger.
Eines Tages ging er wieder zum Meer, warf das Netz aus und wartete, bis es auf dem Grund versunken war. Als er dann die Leinen zusammen zog und versuchte, das Netz heraus zu holen, fühlte es sich sehr schwer an. Nur mit Mühe gelang es dem Fischer, es hoch zu ziehen.
Seine Enttäuschung war groß, als er sah, was sich in dem Netz befand: Ein großer Keramiktopf, der mit Sand und Schlamm gefüllt war. Da wurde der Fischer traurig und ärgerlich zugleich und sagte: „Allah ist groß und mächtig, aber die Arbeit, die wir auf Erden tun müssen ist wirklich manchmal zu mühsam.“
Und wieder warf er sein Netz aus und wartete, bis es auf dem Grund versunken war. Als er dann versuchte, es heraus zu ziehen, war es noch schwerer als beim ersten Mal. Der Fischer freute sich, hoffte er doch, es wären dieses Mal viele Fische darin. Er zog und zog, bis er das Netz endlich auf das Land gezogen hatte. Aber was fand er darin? Nur einen toten Hammel, der ertrunken war und stank.
Als der Fischer das sah, presste er das Wasser aus dem Netz, säuberte es und hob den Kopf zum Himmel. Dann sprach er: „Allah, du weißt doch, dass ich meine Netze nicht mehr als dreimal auswerfe. Zweimal aber habe ich es schon getan!“
Dann warf er sein Netz zum letzen Mal ins Meer. Als er es aber nun heraus ziehen wollte, war es so schwer, dass es ihm trotz aller Anstrengung nicht gelang, es aus dem Wasser zu ziehen. Er zog sich aus, sprang ins Wasser und tauchte um das Netz herum. Mit vereinter Kraft brachte er es schließlich an Land.
Dann öffnete er die Maschen. Im Netz fand er eine gurkenförmige Flasche aus gelbem Kupfer, die mit einer Bleikapsel verschlossen war. Die Kapsel trug das Siegel des Königs Salomo.
Der Fischer freute sich und sagte sich: „ Wenn ich diese Flasche auf dem Markt verkaufe, bringt sie sicherlich zehn Golddinare ein.“ Er schüttelte die Flasche. Sie fühlte sich seltsam schwer an.
„Ich wüsste zu gerne, was da darin ist“, überlegte der Fischer weiter. Er nahm sein Messer und schnitt an dem Blei herum, bis es von der Flasche gelöst war. Dann drehte er die Flasche um. Doch es kam nichts heraus. Der Fischer wunderte sich sehr und schüttelte abermals, dieses Mal aber viel kräftiger.
Plötzlich schoss Rauch aus der Flasche. Er stieg bis zum Himmel hinauf. Dann verdichtete er sich und sank wieder auf die Erde zurück. Er veränderte sich und bekam die Gestalt eines Geistes.
Es war ein riesig großer Geist. Seine Beine standen auf dem Sand wie Säulen und sein Scheitel streifte die Wolken. Der Kopf war so groß wie eine Kuppel, die Hände riesig wie Heugabeln und der Mund sah aus wie eine Grotte in einem Felsen. Besonders unheimlich aber waren die Augen. Sie funkelten wie Laternen in der Nacht und der Blick war wild und gefährlich.
Der Fischer war zu Tode erschrocken und wusste nicht, was er tun sollte. Als der Geist den Fischer erblickte, sagte er mit einer Stimme, die an dunkles Donnergrollen erinnerte: „Sei tapfer, mein Fischer!“ „Warum?“ fragte der Fischer ängstlich. „Weil du noch in dieser Stunde sterben wirst“, entgegnete der Geist. Da rief der Fischer: „ Was sagst du da? Ich soll sterben? Was fällt dir ein? Ich war es doch, der dich aus dem Meer gerettet hat und dich aus der Flasche ließ!“
Aber der Geist erwiderte unbeirrt: „Wähle die Todesart, die du bevorzugst.“ „Aber warum denn nur?“ rief der Fischer verzweifelt. „Was ist das denn für eine Art, sich zu bedanken, wenn man seinen Befreier dafür umbringt!“ „Höre die Geschichte, die ich zu erzählen habe!“, bat der Geist. „Beeile dich, du unheimliches Wesen!“, entgegnete der Fischer. „Denn mein Herz sinkt schon in den Bauch und der Atem wird langsamer.“
Und der Geist begann, zu erzählen. „Ich bin ein kämpferischer Geist. Und ich liebe das Chaos. Vor langer Zeit habe ich mich gegen Salomo, den Sohn Davids erhoben. Der König Salomo aber hatte Gewalt über das Geisterreich und er ließ mich fangen und in Fesseln legen.
So führte man mich zu ihm. Er verlangte von mir, aus der Dunkelheit zu treten, Frieden zu schließen und Gutes zu tun. Aber ich komme aus der Nacht und der Dämmerung. Ich liebe das Böse und das Gute langweilt mich. Darum weigerte ich mich. Da ließ er diese Flasche bringen und fing mich darin ein. Dann versiegelte er die Flasche mit Blei und drückte sein Siegel darauf.
Er befahl den weißen Magiern, mich mitzunehmen und mich in das Meer hinaus zu werfen. Ungefähr hundert Jahre verbrachte ich auf dem Meeresgrund. Zuerst sagte ich mir immer: „Wer mich befreit, den will ich reich machen!“ Aber es vergingen weitere hundert Jahre, und niemand kam. Und als das dritte Jahrhundert vergangen war, sprach ich zu mir: „Dem, der mich erlöst, werde ich alle Schätze der Welt zum Geschenk machen.“ Aber auch in der Zeit kam niemand, der mich befreite.
Schließlich wurde ich unheimlich zornig und ich schwor meiner Seele: „Töten will ich denjenigen, der mich befreit. Doch damit er mich nicht für undankbar hält, will ich ihn die Todesart aussuchen lassen.“ Und nun warst du es, Fischer, der mich befreite. So lasse ich dir die freie Wahl: Wie willst du sterben?“
Der Fischer schüttelte verwundert den Kopf. „Was soll das für ein Schwur sein? Und was ist das für eine Freiheit der Wahl. Ausgerechnet ich musste es sein, der dieses wütende Wesen befreite. Oh, Geist, sei gnädig mit mir, dann wird es euch Allah danken.“ Aber der Geist entgegnete: „Verstehst du das nicht? Gerade weil du mich befreit hast, sollst du ja sterben. Schnell, sag mir, wie du sterben möchtest.“
Da dachte der Fischer: „Ich bin zwar nur ein Mensch und er ist ein Geist, aber immerhin hat mich Allah mit Verstand ausgestattet, der Riese dagegen scheint nur wenig davon zu haben. Da wollen wir doch einmal sehen, wem Allah den Vorzug gibt, der Bösartigkeit des Geistes oder meiner Schlauheit.“ Und so sagte er zu dem Geist: „Beim Siegel des Königs Salomo bitte ich dich, antworte mir offen und ehrlich auf das, was ich dich jetzt fragen werde.“
Als der Geist vom König Salomo hörte, war er ein bisschen eingeschüchtert und erwiderte sofort: „Ich werde die reine Wahrheit sagen.“ Da fragte der Fischer: „Wir konntest du mit deiner ganzen Körpergröße in diese kleine Flasche passen, wo doch eigentlich noch nicht einmal eine Hand oder ein Fuß von dir dort hinein passt.“
Der Geist rollte verärgert mit den großen Augen. „Du zweifelst doch nicht daran, dass ich aus der Flasche kam!“, rief er wütend. „Du hast doch genau gesehen, wie ich dort heraus kam, du Narr.“ „In dem Moment habe ich gerade nicht so genau hingeschaut“, erwiderte der Fischer. „Also, wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich es nicht glauben – es sei denn ich sähe, wie du vor meinen Augen noch einmal in die Flasche zurück spazierst.“
„Nichts leichter als das!“, rief der Geist. Er rüttelte und schüttelte sich und wurde wieder zu einer Rauchfahne, die zwischen Himmel und Erde stand. Dünner und dünner wurde der Rauch. Dann tauchte er in die Öffnung ein, bis er wieder wie ein kleines Wölkchen in der Flasche saß. Da nahm der Fischer schnell den Deckel aus Blei, der das Siegel Salomos trug, und verschloss die Flasche.
Dann beugte er sich zu dem Verschluss hinunter und rief: „Hallo, du da drin. Jetzt bist du dran, die Todesart zu wählen, die dir am Liebsten ist. Also, ich wusste zwar, dass es gute und böse Geister gibt, du aber gehörst zu denen, die böse und blöde zugleich sind. Du Dummkopf in der Flasche, du undankbarer Zeitgenosse! Am Besten, ich werfe dich wieder ins Meer. Ein paar weitere Jahrhunderte Langeweile sind das Beste für einen wütenden Geist wie dich. Leb wohl, Geist! Ich wünsche dir ein geruhsames Jahrtausend!“
Als der Geist diese Worte hörte, versuchte er verzweifelt, aus der Flasche heraus zu kommen, aber es gelang ihm nicht. Da erkannte er, dass er gefangen war und das Siegel Salomos über sich trug, das die Geister machtlos machte. Und als er bemerkte, dass der Fischer die Flasche wirklich zum Meer hinunter trug, rief er: „Nicht! Bitte nicht!“ Doch der Fischer entgegnete vergnügt: „Aber doch! Aber doch!“
Nun wurde der Geist sehr gehorsam und untertänig und flehte: „Oh lieber Fischer, bitte öffne diese Flasche! Ich will dich mit guten Taten überschütten.“Doch der Fischer schüttelte den Kopf. „Du lügst! Mit dir und mir ist es doch genauso wie mit dem Wesir des Königs Junan und dem Arzt Rujan.“ Verwundert fragte der Geist: „Was ist denn mit dem Wesir des König Junan? Was hat das zu bedeuten? Ist das eine Geschichte?“ Und da erzählte der Fischer die Geschichte vom Weisen und vom Wesir.
Die Geschichte vom Wesir des Königs Junan und dem weisen Rujan
Vor langer Zeit lebte ein reicher und mächtiger König, der Junan hieß. Sein Körper war von einem Hausausschlag befallen, und es fand sich im ganzen Land kein Heilkundiger, der ihn davon befreien konnte. Weder Arznei, noch eine Kur hatten Erfolg. Die Ärzte waren hilflos, und dem König ging es von Tag zu Tag schlechter.
Eines Tages kam der berühmte Arzt Rujan in die Stadt. Er war ein wirklich weiser Arzt und kannte sich mit indischen, ägyptischen, griechischen und arabischen Heilmethoden aus. Aber er kannte nicht nur die Lehre der Medizin, er wusste auch von der Sternkunde und den öffentlichen und geheimen Regeln der Heilkunde.
Außerdem kannte der sich mit dem Heilen durch Heilkräutern und Edelsteine aus. Auch viele andere Gebiete wie die Lehre von der Religion, der Astrologie, der Tier- und Pflanzenkunde und der Geheimwissenschaft hatte er erlernt.
Als der Arzt in die Stadt gekommen war, in der auch der König wohnte, und dort ein paar Tage bliebt, hörte er die Geschichte von dem König und dem Hautausschlag. Rujan verbrachte eine ganze Nacht damit, nachzudenken, wie er dem König helfen könnte. Und als die Sonne aufging, zog er sich seine schönsten Gewänder an und trat vor den König.
„Ich bin Rujan, ein bekannter Arzt und Heiler“, erklärte er dem König. „Ich habe von eurem Leid erfahren und habe auch gehört, dass kein Arzt bis jetzt ein Mittel gefunden hat, euch zu heilen. Darum bitte ich euch, oh König, lasst mich euch behandeln. Ich werde euch heilen, ohne dass ich euch etwas an Medizin eingebe oder ohne dass ich euch mit Salben einreibe. Ich werde euch auch nicht mit einem Messer schneiden oder mit Nadeln stechen oder irgendetwas Schmerzhaftes tun. Wichtig ist eben nur, dass ihr mir und meinen Methoden vertraut. Mehr verlange ich nicht.“
Der König war über diese Worte sehr erstaunt. Er antwortete: „Wenn du mich heilst, will ich dir alle Wünsche dieser Welt erfüllen. Ich will dich reich machen, du sollst mein Weggenosse und mein Freund sein.“
Der Arzt kehrte vom Palast zurück, mietete sich ein Haus in der Stadt und vertiefte sich in seine Bücher. Er las alle seine Sammlungen über aromatische Kräuter. Dann mischte er viele wichtige Kräuter miteinander und stellte daraus eine Flüssigkeit her.
Anschließend ließ er die Flüssigkeit fest werden und fertigte einen Ballschläger daraus. Der Schläger hatte eine kurze und gebogene Form, die am Griffende ausgehöhlt wurde. In diese Höhlung stopfte Rujan weitere Heilkräuter und tränkte den Griff mit neuen Kräuterflüssigkeiten.
Als er damit fertig war, stieg er zum König hinauf, trat zu ihm und verneigte sich. „Wenn ihr gesund werden möchtet, so bitte ich euch, zieht mit eurem Pferd hinaus zum großen Reitplatz. Nehmt einen Ball und einen Schläger, den ich für euch angefertigt habe, und fang an, Polo zu spielen“, sagte er. Der König nickte erstaunt.
Auf dem Reitplatz reichte Rujan dem König den Schläger und erklärte: „Gütiger König, ich bitte euch, nehmt diesen Schläger und fasst ihn so an, wie ich es euch zeige. Schlagt dann den Ball mit all eurer Kraft, sodass eure Hand und danach euer ganzer Körper in Schweiß geraten. Auf diese Weise wird das Heilmittel in die Fläche eurer Hand eindringen und in eurem Körper kreisen. Wenn ihr genug geschwitzt habt und das Mittel Zeit hatte, zu wirken, kehrt zu eurem Palast zurück und nehmt ein heißes Bad. Danach, oh König, seid ihr geheilt. Friede sei mit euch!“
Da nahm der König Junan den Schläger und umfasste ihn mit der Hand, wie es ihm Rujan gezeigt hatte. Er begann, den Ball zu schlagen und hörte nicht eher auf, als bis seine Hand feucht war und er am ganzen Körper zu schwitzen begann. Als Rujan sah, dass der König verschwitzt und ermattet war, riet er ihm, heimzukehren. Der König ging in ein Badehaus und nahm ein heißes Dampfbad.
Als er das Badehaus verließ, betrachtete er seinen Körper und konnte es kaum glauben. Seine Haut war rein geworden, und glänzte wie klarstes Silber. Der König freute sich sehr und war glücklich wie nie zuvor. Dann kehrte er in seinen Königssaal zurück und setzte sich auf seinen goldenen Thron.
Die Großen des Reiches kamen herein. Zuletzt, ganz bescheiden hinter allen, erschien auch der Arzt Rujan. Als der König den Arzt erblickte, stand er ihm zu Ehren auf und forderte ihn auf, an seiner Seite nieder zu sitzen. Er speiste mit ihm, wünschte ihm ein langes Leben und übergab ihm viele schöne Geschenke. Dann unterhielt er sich mit ihm bis tief in die Nacht. Zuletzt wünsche ihm der Arzt alles Gute und zog sich in sein Haus zurück.
Als der nächste Tag anbrach, zog der König erneut in den Audienzsaal ein. Alle Wesire verneigten sich. Unter ihnen aber befand sich einer, der war besonders bösartig. Er hatte ein finsteres Gesicht und einen bösen Blick. Eifersüchtig hatte er verfolgt, wie der König den Arzt Rujan mit Geschenken und freundlichen Worten überhäuft hatte, und sein Herz war zerfressen von Neid und Hass. So beschloss er, den Arzt schlecht zu machen.
Als er Gelegenheit dazu hatte, trat er zum König, küsste die Erde zwischen seinen Händen und sprach: „Oh König des Jahrhunderts, der ihr die Sterblichen einhüllt in eure Wohltaten, ich habe für euch einen wichtigen Rat. Wenn ich ihn nicht verrate, wäre ich ein schlechter Wesir meines großen Königs. Wenn ihr mich auffordert, zu sprechen, werde ich nicht zögern, euch davon zu erzählen.“ Da antwortete der König: „Sprich! Ich will hören, was du zu sagen hast.“
Der Wesir sagte: „Oh, ruhmreicher Herrscher, ich habe gesehen, dass ihr euren größten Feind mit wertvollen Geschenken überhäuft habt und nicht bemerkt habt, dass ausgerechnet der das ganze Reich ins Verderben führen wird. Darum bin ich in großer Sorge.“ Der König wurde ganz blass. „Wer meinst du, ist es, den ich mit Geschenken überhäuft habe, aber der in Wirklichkeit mein Feind ist?“ „Oh König“, rief der Wesir. „Wenn euer Geist einen Moment lang eingeschlafen ist, möge er doch bitte erwachen. Ich spreche von keinem anderen, als von dem Arzt Rujan.“
Der König sprang verärgert auf. „Dieser Arzt ist mein Freund“, rief er. „Und er ist mir der Liebste unter allen Menschen, die ich kenne. Er hat mich von meiner schweren Krankheit geheilt. Es gibt keinen Arzt, der so klug ist, wie er, weder im Morgen- noch im Abendland. Wie kannst du also so etwas von ihm behaupten? Er hat es verdient, dass ich ihm die Hälfte meines Landes schenke. Er hat mich von einem furchtbaren Leiden geheilt. Sei ehrlich, Wesir, aus dir spricht nur der Neid. Oder haben ihn die anderen Ärzte angeschwärzt, weil er auf andere Weise heilt als sie? Das kann ich ihnen nicht raten!“
Doch mit fester Stimme und klarem Blick erwiderte der Wesir geschickt: „Erhabener König! Es wird eine Zeit kommen, da werdet ihr erfahren, dass ich die Wahrheit gesagt habe. Bedenkt, wenn ihr meinem Rat vertraut, seid ihr gerettet, wenn ihr es aber nicht tut, seid ihr verloren.“
Und mit eindringlicher Stimme fuhr er fort: „Wenn ihr euch weiterhin diesem Arzt anvertraut, werdet ihr sterben. Denn er plant den Tod für euch. Bedenkt, wie er euch geheilt hat: mit einem Gegenstand, den er euch in die Hand gegeben hat. Und genau auf diese Weise wird er auch euren Mord planen: mit einem anderen Gegenstand, den er euch dann in die Hand geben wird. Ich habe geheime Pläne und Aufzeichnungen von ihm gelesen. Denkt daran, er kommt aus dem Land unserer Feinde. Und was wollen eure Feinde wohl mit euch? Sie wollen euren Tod.“
Lange dachte der König über die Worte nach. Dann sagte er: „Es beeindruckt mich, dass du deine Gedanken so offen aussprichst, Wesir. Vielleicht ist es ja wirklich so, dass dieser Arzt als Spion zu mir gekommen ist, um meinen Untergang zu bewirken. … Ich habe tatsächlich listige Feinde. Kommt er denn wirklich aus dem Feindesland? Dem Feind traue ich natürlich alles zu, auch dass sie einen wandernde Arzt zu mir senden.
Aber du hast Recht, wenn er mich mit einem Gegenstand in meiner Hand von meinen Leiden heilt, kann er mir auch mit einem anderen Gegenstand das Leben wieder nehmen.“ Und nach einer Weile fragte er weiter: „Was soll ich deiner Meinung nach tun?“
“Lasst ihn köpfen“, schlug der Wesir vor. „Was sonst? Ihr müsst ihn holen und auf der Stelle köpfen lassen. Lasst euch nicht darauf ein, lange Erklärungen abzugeben und euch auf Verhandlungen einzulassen, sonst kommt er nur auf die Idee, euch zu vergiften. Nur wenn ihr schnell seid, könnt ihr euch und euer Reich retten.“
Der König Junan erwiderte: „Du hast Recht, Wesir.“ Und er seufzte tief. Doch tief in seinem Herzen saß schon da Misstrauen gegen den Arzt, und der König sah nichts anderes in ihm als einen Feind. Und aus Angst und Misstrauen wurden Blindheit und Hass.
So schickte der König seinen Boten zum Arzt und ließ den weisen Rujan kommen. Fröhlich und ahnungslos betrat er den Saal des Königs. Als er vor dem König stand, sagte der zu ihm:„Weißt du, was dir jetzt bevor steht?“ „Niemand kann die Zukunft vorhersehen“, erwiderte der Arzt freundlich. Darauf sagte der König: „Dir steht der Tod bevor. Ich habe dich kommen lassen, um dich töten zu lassen.“
Der Arzt konnte die Worte kaum glauben. Verwundert antwortete er: „Oh guter König, das soll wohl ein Scherz sein. Allerdings muss ich zugeben, dass es kein guter Scherz ist. Aber warum solltet ihr mich töten lassen? Bin ich etwa ein Mörder? Ich bin Arzt und ich diene eurer Gesundheit.“ Aber der König entgegnete: „Man berichtete mir, du dienst dem Feind. Du bist ein Spion, der gekommen ist, mich zu ermorden. Darum will ich dich töten, bevor du mich tötest.“
Und er rief den Schwertträger und sagte zu ihm: „Triff den Nacken dieses Verräters mit deinem Schwert, damit wir von diesem Missetäter ein für allemal befreit sind.“ „Oh bitte, schenkt mir das Leben, guter König“, rief der Arzt. „Allah wird es euch danken.“
Doch der König hatte schon sein Herz verschlossen. Seine Angst vor einem Anschlag war größer als alle Vernunft. Da erkannte der Arzt, dass der König, den er leidend und hilflos kennen gelernt hatte, in Wirklichkeit ein jähzorniger und dummer Tyrann war, und dass er einem Menschen geholfen hatte, der es gar nicht verdient hatte.
Aber da trat schon der Schwertträger vor und verband dem Arzt die Augen. Dann verneigte er sich vor dem König und sagte: „Ich bitte euch um die Erlaubnis, diesen Feind töten zu dürfen.“ Doch als er langsam das Schwert hob, rief der Arzt:
„Oh König, wenn mein Tod wirklich beschlossen ist, dann bitte ich euch um ein paar Minuten Leben. Ich hatte keine Gelegenheit, mich auf den Tod vorzubereiten. Aber in meinem Haus gibt es Angelegenheiten, die ich unbedingt ordnen muss, bevor ich sterbe. Meine medizinischen Ausarbeitungen und Bücher sollen nicht verloren gehen, denn sie können vielen Menschen nützlich sein.
Besonders ein Buch befindet sich darunter, das das weiseste Buch aller Bücher ist. Die Grundlage aller Geheimnisse ist darin verborgen, und das will ich euch zum Abschied schenken. Zwar tötet ihr mich ohne Grund, doch ihr seid mein König. So lege ich mein wichtigstes Buch in eure Hände, damit es nicht die Wirtin bekommt, sondern es in den königlichen Besitz übergeht. Hütet es wie euren Augapfel.“
Da fragte der König: „Was ist das für ein Buch?“ Der Schwertträger senkte die Waffe und der Arzt erwiderte: „Das wichtigste Geheimnis, das es enthält, ist folgendes: Wenn ihr mir den Kopf abschlagen lasst, öffnet das Buch, zählt sieben Seiten, die ihr eine nach der anderen durchblättert. Dann findet ihr auf der linken Seite drei Zeilen, die ihr lesen müsst. Und dann wird das abgeschlagene Haupt zu euch sprechen und alle Fragen beantworten, die ihr ihm stellt.“
Der König begann, am ganzen Körper zu zittern. „Oh du großer Magier“, rief er erregt. „Selbst wenn ich dein Haupt abgeschlagen habe, wird es zu mir sprechen?“ „Versucht es nur!“, antwortete Rujan mit dunkler Stimme.
Da gestattete der König ihm, dass er zu seinem Haus zurückkehren durfte, aber er schickte einige Wächter mit. Der Arzt verschwand in seinem Arbeitszimmer und brachte seine Angelegenheiten an diesem und auch an dem darauf folgenden Tag in Ordnung.
Danach trat er wieder vor den König und reichte ihm ein großes Buch und eine kleine Schachtel mit Pulver. Dann bat er um einen großen Teller. Als ihm der Teller gereicht wurde, schüttete er das Pulver darauf und verteilte es.
Dann wandte er sich dem König zu: „Oh König, nehmt dieses Buch und lest es, sobald ihr mein Haupt abgeschlagen habt. Setzt das Haupt auf diesen Teller und presst es gegen das Pulver, damit das Blut gestillt wird. Erst dann öffnet das Buch.“ Doch der König war so unruhig, dass er gar nicht richtig auf die Worte achtete. Hastig nahm er das Buch und schlug es auf.
Aber die Blätter klebten merkwürdig aneinander. Da benetzte der König seine Finger mit Speichel, und versuchte auf diese Weise, die Seiten umzublättern. So gelang es ihm, die erste Seite aufzuschlagen. Dann versuchte er auch, die zweite und dritte Seite zu öffnen, doch es war sehr mühsam.
Wieder benetzte der König seine Finger mit Speichel. Ungeduldig schlug er die fünfte Seite auf und versuchte, zu lesen, aber die Blätter waren alle leer. „Was soll das!“, rief der König. „Es steht doch gar nichts in diesem Buch geschrieben.“ Doch der Arzt entgegnete. „Aber doch, großer König. Das letzte aller Geheimnisse steht darin. Blättert nur weiter, oh König.“
So fuhr der König fort, Seite um Seite umzublättern. Aber als er es eine Zeit lang getan hatte, stürzte er plötzlich von seinem Stuhl, wand sich hin und her und starb. Das Buch war vergiftet.
Der Arzt aber sagte gelassen: „Es war das Geheimnis des Todes, das dieses Buch enthielt. Wer mordet, wir selbst sterben. Es gibt Herrscher, die große Macht ausüben, doch eines Tages sterben sie, und dann ist es, als wären sie nie gewesen.“
Und so war es tatsächlich. Der Name des Königs und der seines Wesirs waren schnell vergessen, und wenn jemand sich noch an den Namen Junan erinnert, dann nur, weil er einen großartigen Arzt namens Rujan hatte.
Damit beendete der Fischer seine Geschichte. Dann fügte er erklärend hinzu: „Begreifst du, was ich damit sagen möchte, du Flaschengeist? Wenn der König dem Arzt gegenüber Gnade hätte walten lassen, hätte sich auch Allah dem König gegenüber gnädig verhalten. Und so ist es auch mit dir. Wenn du dich mir gegenüber gnädig verhalten hättest, hätte dir Allah die Gefangenschaft erspart.“
Der Geist wurde sehr unglücklich. „Gib mich frei“, rief er. „Deine Geschichte hat mir die Augen geöffnet. Ich sehe ein, dass ich mich falsch verhalten habe. Ich war jähzornig, aber jetzt will ich alles anders machen. Ich schwöre dir beim Namen des Erhabenen, ich werde dir nichts Böses tun, sondern dich reich und glücklich machen. Bitte glaube mir. Ich halte meine Schwüre. Darum bitte ich dich, Fischer, gib mich frei!“
Der Fischer überlegte eine Weile. Schließlich kam er zu der Überlegung, dass der Geist sein Versprechen halten würde. Er ließ ihn noch einmal feierlich auf Allah den Allmächtigen schwören, dann öffnete er die Flasche.
Wieder stieg eine Rauchsäule auf, stieg bis zum Himmel, verdichtete sich und wurde wieder zu einem riesigen Geist. Schnaubend vor Wut gab der Geist der Flasche einen kräftigen Fußtritt, sodass sie weit zum Meer hinaus flog.
Als der Fischer das sah, glaubte er, dass er verloren sei und machte sich auf seinen Tod gefasst. Doch der Geist stelzte mit riesigen Schritten auf ihn zu und rief: „Folge mir, Fischer!“ Ungläubig und immer noch ängstlich schritt der Fischer hinter dem Geist her.
Gemeinsam verließen sie die Stadt, stiegen einen Berg hinunter, durchquerten eine Wüste und sahen plötzlich zwischen vier Hügeln einen einsamen See. Hier blieb der Geist stehen. „Wirf deine Netze aus, Fischer!“, sagte er. Der Fischer blickte in das klare Wasser. Bunte Fische schwammen darin, in Farben, die der Fischer nie zuvor gesehen hatte. Weiße, rote, gelbe und blaue Fische gab es. Der Fischer warf sein Netz aus und als er es wieder einholte, hatte er vier Fische gefangen, von jeder Farbe einen.
Da freute sich der Fischer sehr. Der Geist aber sagte zu ihm: „Bringe dem König diese Fische. Er wird dir so viel Geld dafür geben, dass du ein reicher Mann wirst. Aber nun will ich gehen, Fischer. Ich weiß nicht mehr, womit ich dich noch glücklich machen soll. Ich habe tausend Jahre lang im Meer gelegen, und habe die Erde erst vor einer Stunde wieder gesehen. Glaub mir, das kann sogar einen Geist verwirren.
Aber du brauchst mich ja auch nicht mehr. Du kannst jeden Tag hier zum Fischen hinkommen. Aber merke dir, du darfst dein Netz nur einmal am Tag auswerfen. Nicht häufiger. So, mein Fischer, nun will ich mich verabschieden. Lebe wohl.“ Und mit diesen Worten schüttelte sich der Geist hin und her und wurde zu einer riesengroßen Rauchwolke. Zischend und donnernd wie ein Gewitter verschwand er am Horizont.
Der Fischer atmete erleichtert auf. Dann nahm er die bunten Fische, legte sie in seinen Lederbeutel und machte sich auf den Weg in die Stadt. Als er zu Hause angekommen war, füllte er einen großen Behälter mit Wasser, setzte die Fische hinein und betrachtete sie. Sie waren wirklich von ungewöhnlicher Schönheit. Einer war gelb wie Messing, einer rot wie Rubin, einer weiß wie Milch und der vierte blau wie der Himmel. Immer wenn die Sonnenstrahlen sie trafen, leuchteten ihre Schuppen.
Nachdem der Fischer sie eine Weile lang betrachtet hatte, nahm er den Behälter und ging damit zum König. Als der König die Fische sah, staunte er sehr. Noch nie hatte er so schöne bunte Fische gesehen. „Wie gut sie wohl schmecken?“, fragte er sich. „Wir sollten sie der Köchin übergeben.“
Der Wesir befahl der Köchin, die Fische zu rösten. Dem Fischer aber zahlte er auf Befehl des Königs fünfhundert Dinare aus. Überglücklich kehrte der Fischer nach Hause zurück. Und weil sie so arm waren, kaufte er für seine Kinder, seine Frau und sich endlich Dinge, die sie schon lange nötig hatten. Darüber freuten sich alle sehr.
Zur gleichen Zeit legte die Köchin in der Küche des königlichen Palastes die Fische in eine Pfanne und begann, sie zu braten. Doch plötzlich gab es einen zischenden Laut, und die Wand klaffte auseinander. Aus der Wand trat ein wunderschönes Mädchen. Sie hatte weiße Haut und ihre dunklen Augen funkelten. Um den Kopf trug sie einen Schleier aus scharlachroter Seide, und Ringe mit kostbaren Edelsteinen zierten ihre Finger. In ihrer Hand hielt sie ein biegsames Bambusrohr.
Sie beugte sich zu den Fischen in der Pfanne hinunter und berührte die Pfanne mit dem Bambusrohr. Dann sagte sie: „Fische, oh ihr Fische, gefällt euch die Pfanne?“
Als die Köchin diese seltsame Erscheinung sah, bekam sie so einen großen Schrecken, dass sie ohnmächtig hernieder sank. Das Mädchen wiederholte ihre Frage ein zweites und noch ein drittes Mal. Schließlich hoben die Fische ihre Köpfe und sagten im Chor:
„Oh Bann des Bösen, musst du ihn lösen, halte nun ein! Lässt du uns braten, bedenk deine Taten, Wer uns verwünscht, verwünscht soll er sein!“
Da antwortete das seltsame Mädchen: „Vergeblich verwünscht mich verwunschenes Tier! Zu Tisch mit dem Braten, der Fisch soll geraten, Verraten, verwünscht und verwunschen von mir!“ Sie schlug dreimal mit dem Bambusrohr in die Luft. Dann verschwand sie so plötzlich, wie sie gekommen war.
Nur langsam erwachte die Köchin aus der Ohnmacht. Sie briet die Fische, wendete sie und briet sie von der anderen Seite. Doch in ihrer Aufregung ließ sie alle vier verbrennen. Da begann sie, laut zu jammern. Der Wesir erschien in der Küche und betrachtete die verbrannten Fische verärgert. „Bring sie dem König!“, befahl er. Nun begann die Köchin, zu weinen, und sie erzählte dem Wesir, was geschehen war.
Der Wesir war sehr erstaunt darüber. „Wahrlich, das ist eine merkwürdige Geschichte“, sagte er. Dann ließ er den Fischer suchen, und als man ihn zu ihm brachte, sagte er zu ihm: „Wir benötigen unbedingt noch einmal vier Fische, aber es müssen genau die gleichen sein.“
Und wieder ging der Fischer hinunter an den See, warf sein Netz aus und zog genau die gleichen vier bunten Fische heraus, einen gelben, einen roten, einen weißen und einen blauen. Damit ging er zum Palast des Königs und übergab sie dem Wesir.
Der Wesir reichte sie der Köchin weiter und sagte: „Dieses mal will ich dabei sein, wenn du die Fische brätst. Ich will doch wirklich sehen, ob die Geschichte stimmt, die du mir erzählt hast.“
Die Köchin nahm die Fische und mache sich sofort ans Werk. Und wieder spaltete sich die Wand in zwei Hälften und das junge Mädchen erschien mit dem Bambusrohr in der Hand. Wieder berührte sie die Pfanne mit dem Bambusrohr und fragte:
„Fische, oh ihr Fische, gefällt euch die Pfanne?“ Und wieder schauten die Fische aus der Pfanne und antworteten im Chor: „Oh Bann des Bösen, musst du ihn lösen, halte nun ein! Lässt du uns braten, bedenk deine Taten, Wer uns verwünscht, verwünscht soll er sein!“
Und das Mädchen schlug mit dem Bambusrohr durch die Luft, das es nur so zischte und rief: „Vergeblich verwünscht mich verwunschenes Tier! Zu Tisch mit dem Braten, der Fisch soll geraten, Verraten, verwünscht und verwunschen von mir!“ Ihr Lächeln wirkte boshaft und um die Augen war ein dunkler Schein.
Als das Mädchen verschwunden war und die Mauer sich hinter ihr wieder geschlossen hatte, rief der Wesir: „Das ist ja eine merkwürdige Sache. Das muss ich unbedingt dem König erzählen.“ Und er ging zum König und erzählte ihm, was geschehen war.
Aber der König sagte: „Ich will das, was geschehen ist, mit eigenen Augen sehen.“ Wieder schickte er jemanden zum Fischer, damit er vier gleiche Fische fangen und zum Palast bringen sollte. Und wieder brachte der Fischer vier schöne Fische, die aussahen wie die anderen, die er gefangen hatte. Der König ließ ihm tausend Dinare dafür geben. Dann wandte er sich dem Wesir zu und sprach: „Brate du mir selbst die Fische.“
„Ich höre eure Befehle und gehorche“, entgegnete der Wesir. Und er legte die Fische in die Pfanne. Kaum hatte er das Feuer im Herd angezündet, öffnete sich erneut die Wand, und ein großer, starker Mann erschien. Seine Haut war schwarz wie Ebenholz, und in der Hand hielt er eine Keule, wie Kannibalen sie tragen.
Mit tiefer Furcht erregender Stimme sprach er die Fische an: „Fische, oh ihr Fische, gefällt euch die Pfanne?“ Und die Fische antworteten im Chor: „Oh Bann des Bösen, musst du ihn lösen, halte nun ein! Lässt du uns braten, bedenk deine Taten, Wer uns verwünscht, verwünscht soll er sein!“
Da sagte der Schwarze mit einer Stimme, die wie ein Heulen klang: „Vergebliche Wünsche! Was wollt ihr von mir! Der Fisch soll geraten, zu Tisch mit dem Braten! Verwunschene, Verratene, verwünschtes Tier!“
Dreimal schwang er dann seine Keule durch die Luft, lachte dröhnend und ging, wie er gekommen war. Als er gegangen war, atmete der König tief durch. „Bei Allah“, sagte er. „Diese Geschichte ist so merkwürdig, dass man ihr auf den Grund gehen muss. Und zweifellos spielen die Fische in dieser Geschichte eine große Rolle. Also, Wesir, hole mir den Fischer noch einmal.“
Und als der Fischer vor ihm stand, fragte er ihn: „Fischer, woher hast du diese Fische?“ Und der Fischer antwortete: „Aus einem See, der hinter einem Berg vor einer Stadt und zwischen vier Hügeln liegt.“ „Wie viel Tagreisen von hier sind das?“ wollte der König wissen. Doch der Fischer schüttelte den Kopf. „Keine Tagesreisen“, rief er. „Es sind nur drei Stunden bis zu dem See.“
Das wunderte den König sehr. Noch nie zuvor hatte er von diesem See gehört, der sich in der Nähe befand. Er befahl dem Fischer, ihn dorthin zu bringen, und so machten sich der König, seine Leibwächter und viel Gefolge auf den Weg hinter dem Fischer her zum See. Sie stiegen den Berg hinab und gingen durch die Wüste, die sie nie zuvor gesehen hatten. Und als sie schließlich an dem See in der Einöde angekommen waren und die bunten Fische dort schwimmen sahen, wunderten sie sich noch mehr.
Der König fragte: „Ist jemand unter euch, der diesen See schon einmal gesehen hat?“ „Nein, wir kennen ihn nicht“, erwiderten alle, die in seinem Gefolge waren. „Bei Allah“, rief der König. „Ich will nicht eher nach Hause gehen, als bis ich alles über diesen See und die Fische herausgefunden habe.“
Dann befahl der König seiner Leibwache, sich um die Hügel herum zu verteilen und ein Lager aufzubauen. Nun dachte er eine Weile nach. Schließlich rief er seinen treuen Wesir zu sich und sprach zu ihm:
„Ich habe über diesen See nachgedacht, und wenn ich ehrlich bin, möchte ich gerne allein das Geheimnis dieses Sees mit seinen bunten Fischen erkunden. Und damit mich meine Leibwächter nicht suchen, wirst du dich vor mein Lager stellen und ihnen sagen, dass ich krank bin und meine Ruhe brauche.“
Der König liebte Abenteuer. Er nahm sein Schwert, band es um und brach heimlich auf. Die ganze Nacht über wanderte er um den See herum, doch er fand nirgends eine menschliche Siedlung oder irgendjemanden, den er hätte fragen können.
Erst als die Sonne aufging, sah er in der Ferne ein dunkles Haus. Als er näher kam, sah er, dass es ein Palast war. Es war aus schwarzem Stein gebaut und gewaltige Stahlplatten bedeckten das Dach. Der eine Flügel des Eingangstores war geöffnet, der andere geschlossen.
Der König klopfte, aber da er keine Antwort bekam, schritt er einfach durch das Tor in die Halle hinein. „Hallo!“ rief er laut. „He, ihr Bewohner des Schlosses. Hier steht ein Wanderer, der mit euch reden möchte.“
Er rief mehrere Male, aber niemand antwortete ihm. Da nahm er allen Mut zusammen und betrat den dunklen Palast. Aber auch hier war kein Mensch zu sehen.
Der Palast sah merkwürdig aus. An den Wänden hingen goldbestickte Stoffe, und Teppiche zierten die Türen. In der Mitte des Palastes gab es einen großen Innenhof, von dem aus man in vier Säle gelangen konnte. Über jeden Saal war eine Empore gebaut. Im Hof standen Bilder aus Marmor, und es gab sogar einen Springbrunnen mit vier goldenen Löwen, aus deren Mäulern Wasser floss.
Rings um diesen Hof flogen bunte Vögel. Auch zahme Tiere lebten hier und schliefen unter den schattigen Bäumen. So gab es Leben in diesem Hof, nur eben kein menschliches Wesen.
Der König setzte sich auf ein Sofa und träumte vor sich hin. Plötzlich hörte er nicht weit von sich entfernt ein langes Seufzen. Es kam aus tiefstem traurigstem Herzen. Und jetzt setzte eine Stimme ein, die klagend sang:„Oh schweres Schicksal, ungerechte Welt! Hört auf, ihr Schmerzen bittere Qual und seht, wie die Liebe das Herz in Trauer hüllt.“
Als der König das hörte, stand er auf und folgte der Stimme. Er fand eine Tür, die von einem Teppich verdeckt war. Als er den Teppich zur Seite schlug, blickte er in einen großen Saal. Und in der Mitte dieses Saales saß ein schöner und anmutiger Jüngling. Sein hübsches Gesicht hatte eine marmorweiße Stirn, die von bernsteinfarbenen Haaren eingerahmt wurde. Bekleidet war er mit einem langen Gewand aus bestickter Seide.
Als der König den Jüngling erblickte, sprach er zu ihm: „Friede sei mit dir!“ Doch der Jüngling erhob sich nicht und sein Gesicht blieb traurig. „Entschuldige, mein Herr, dass ich mich nicht erhebe“, sagte er. „Aber ich kann nicht.“ „Das macht nichts“, erwiderte der König. „Ich möchte nur wissen, was es mit diesem See und den bunten Fischen auf sich hat. Und warum gibt es dieses einsame Schloss und warum sitzt du hier und klagst.“
Der Jüngling antwortete: „Warum soll ich nicht klagen. Schau, in welchem Zustand ich mich befinde.“ Und er streckte seine Hand zu seinem Gewand aus und schob den Saum an die Seite. Der König erschrak, sah er doch nun, dass die untere Gestalt des Jünglings aus Marmor war. „Was ist geschehen?“ fragte der König entsetzt. Der Jüngling seufzte erneut tief und unglücklich. „Das ist eine lange Geschichte“, sagte er.
Und dann erzählte er die Geschichte von den bunten Fischen, dem einsamen Schloss und dem steinernen Prinzen.
Die Geschichte vom versteinerten Prinzen und den bunten Fischen
Mein Vater hieß Mahmud und war der König dieses Landes. Sein Land war wunderschön mit einer schönen Stadt am See und vier Inseln. Hier herrschte er siebzig Jahre lang. Dann starb er und ging heim zu Allah, dem Erhabenen. Nach seinem Tod ging die Thronfolge an mich.
Aber weil ich so jung war, nannte man mich weiterhin den Prinzen. Ich verliebte mich in die Tochter meines Onkels. Sie war jung und schön, und sie liebte mich ebenfalls. So lebten wir fünf Jahre lang glücklich miteinander. So jedenfalls glaubte ich.
Dann eines Tages ging meine Liebste ins Badehaus. Ich befahl dem Koch, mir ein Abendessen zu bereiten und legte mich in der Zwischenzeit auf mein Lager, um mich auszuruhen. Es war heiß an diesem Tag. Darum befahl ich zwei Sklavinnen, zu mir zu kommen und mit Luft zuzufächern. Eine der Sklavinnen stellte sich hinter meinen Kopf, die andere zu meinen Füßen, und sie fächerten mir Luft zu. Ich schloss die Augen, aber ich fand keinen Schlaf.
Die beiden Sklavinnen aber glaubten, ich sei eingeschlafen. Darum begannen sie, über mich zu sprechen. Die eine, die hinter meinem Kopf stand, begann. „Ach, unser armer Gebieter“, sagte sie. „Er tut mir so Leid. Wenn er wüsste, dass er eine Verbrecherin zur Frau hat.“ Und die andere zu meinen Füßen antwortete: „Ach ja, unser Gebieter ist so sorglos. Ich verstehe nicht, warum er das Treiben seiner Frau nicht bemerkt.“
Da erwiderte die andere. „Aber er kann ja auch nichts merken. Sie mischt ihm Mohn, Hanfsamen und Haschisch in seinen Schlaftrunk. Und erst wenn er fest eingeschlafen ist, macht sie sich auf und davon. Dann kann er natürlich nicht wissen, wohin sie geht und was sie tut. Und erst wenn sie wiederkommt und geheimnisvolle Kräuter unter seiner Nase verbrennt, erwacht er wieder.“
Als ich das hörte, war ich starr vor Entsetzen. Ich konnte kaum erwarten, dass die Nacht herein brach, denn dann wollte ich Gewissheit haben.
Als die Tochter meines Onkels vom Badehaus zurückkam, aßen und tranken wir zu Abend, wie immer. Dann verlangte ich meinen Nachttrunk, und sie reichte mir den Becher. Diesmal aber hütete ich mich davor, davon zu trinken. Ich führte den Becher nur zum Schein an meine Lippen und goss das Getränk heimlich wieder aus. Dann legte ich mich auf mein Lager und tat, als wenn ich schliefe.
Da trat sie ganz nah an mein Bett und sah mich an. „Schlafe ruhig, schlafe fest. Und ich hoffe, dass du niemals mehr erwachst. Ich ekele mich vor dir und ich wünschte mir, ich könnte dich mit meiner Peitsche schlagen.“
Dann stand sie auf, zog sich die schönsten Gewänder an, besprengte sich mit herrlich duftendem Rosenwasser, nahm ihre Reitpeitsche, öffnete die Tür des Palastes und ging hinaus.
Nach einer Weile stand ich ebenfalls auf und ging ihr nach. Was ich nun erlebte, kann ich kaum wiedergeben, so unglücklich macht es mich. Sie ging hinaus zum Lehmhaus am Ende der Stadt, in einen Stadtteil, der bekannt ist für seinen schlechten Ruf. Dort traf sie sich mit einem Schwarzen.
Er war ein böser Mann und hatte Macht über Dämonen und dunkle Kräfte. Meine Frau war ihm verfallen. Sie fiel ihm vor die Knie und küsste seine Füße. Er aber lachte und trat sie mit den Füßen und tat ihr weh, aber sie ließ es sich alles gefallen.
Und durch das Fenster sah ich nun auch, in welcher Hexenküche sich die beiden befanden. Sie kannten sich beide mit Magie aus und vollzogen irgendwelche magischen Spiele und Hexereien, die ich nicht verstand. Ich sah jetzt meine geliebte Frau in einem ganz anderen Licht.
Schäumend vor Wut betrat ich den Hexenraum. Aber da war meine Frau auch schon verschwunden. Nun kam der Schwarze auf mich zu. Ich zog mein Schwert und schwang es gegen ihn. Damit verletzte ich ihn am Hals und an der Kehle. Doch es gelang ihm, zu fliehen.
Wirr kreisten die Gedanken in meinem Kopf herum. Ich rannte nach Hause, um mir meine Frau vorzuknöpfen, und vergaß, dass sie mit diesem schwarzen Mann ein Bündnis hatte, gegen das ich nicht ankommen konnte.
Ich fand sie zu Hause. Als sie mich sah, lachte sie, als wäre nichts geschehen. Da riss ich ihr die Peitsche aus der Hand und schlug sie damit ins Gesicht. Aber sie begann, laut zu lachen. Ich schlug heftiger, aber je mehr ich schlug, desto lauter lachte sie.
Dann rief sie plötzlich: „Kusch, Hund!“ und fuhr mit dem Satz fort: „Die Vergangenheit ist vergangen.“ Dann murmelte sie die Worte, deren Sinn ich nicht verstand: „Verwunschen, verwünscht sollst du sein! Werde halb Mensch und halb Stein.“ Und zur selben Stunde wurde ich so, wie ich bin: halb Mensch und halb Stein. Ich kann mich nicht mehr rühren, bin weder tot noch lebendig. Sie aber nahm ihre Peitsche und schlug mich, bis ich blutete.
Dann verwandelte sie auch mein Land. Sie verzauberte die Inseln in vier Berge, ließ die Stadt in den See sinken und verwandelte alle Untertan zu Fischen. Die Mohammedaner wurden zu weißen Fischen, die Juden zu gelben, die Christen zu blauen und die Parsen zu roten.“
Der König sah den jungen Prinzen an und fragte: „Wo kann ich dieses schreckliche Weib finden?“ Der junge Prinz erwiderte: „In diesem Lehmhaus mit der Kuppel lebt der schwarze Mann. Sie geht jeden Tag zu ihm und bringt ihm geheimnisvolle Kräutertees und Zaubertränke.
Jeden Tag aber, bevor sie zu ihm geht, kommt sie bei mir vorbei, um mich mit ihrer Peitsche zu schlagen. Das tut furchtbar weh, weil ich mich nicht bewegen und mich nicht schützen kann. Ich schreie und flehe sie um Gnade an, aber sie hat kein Mitleid mit mir. Im Gegenteil. Ich glaube sogar, es macht ihr Spaß, zu sehen, wie sehr ich leide.
Und dann, wenn sie mich geschlagen hat, läuft sie zu dem Schwarzen und pflegt ihn mit ihren Zaubertränken. Ich glaube, dass ich ihn mit meinem Schwert sehr schwer verletzt habe. Jetzt habe ich das Gefühl, dass sie das halbe Leben, das sie mir weggenommen hat, für ihn benötigt, damit er nicht stirbt.
Diese Frau ist wirklich böse. Sie hat einen Hass auf die ganze Welt. Nur diesem Schwarzen ist sie ergeben, wie eine Sklavin. Beide aber haben geheimnisvolle dämonische Kräfte, die sie von grausamen Geistern aus der Unterwelt bekommen.“
Als der König das hörte, fasste er einen Plan. Er wartete, bis es Nacht wurde und die Stunde des Zaubers herein brach. Dann nahm er sein Schwert und ging hinaus zu dem Lehmhaus in dem düsteren Stadtteil.
Als er an dem Haus angekommen war, sah er durch das Fenster brennende Kerzen und Räucherstäbchen, aber auch Folterinstrumente. Da wurde ihm sehr unheimlich zumute, und sein Mut sank. Als er aber den Schwarzen bemerkte, dachte er an den armen Prinzen und nahm allen Mut zusammen. Er erhob sein Schwert, ging entschlossen auf ihn zu und tötete ihn mit einem kräftigen Hieb.
Dann entkleidete er den Mann und warf ihn in eine Grube. Nun zog er selbst die Kleider des Schwarzen an, färbte sein Gesicht und legte sich auf das Lager unter der Kuppel. Dabei hielt er das Schwert unter der Decke fest umklammert. Die Kerzen erloschen und das Haus hüllte sich in Finsternis und Schweigen.
Eine Stunde später kam die Zauberin zu dem verwunschenen Prinzen. Als sie ihn sah, lachte sie laut und höhnisch und schlug ihn mit der Peitsche. Der Prinz stöhnte laut auf vor Schmerz und bat um Gnade, doch je mehr er weinte, desto härter schlug sie zu.
Dann verließ sie ihn, um zu dem Schwarzen ins Lehmhaus zu gehen, und ihm Zaubertränke und Kräutertees zu bringen. Es war dunkel im Raum, darum tastete sie sich an das Lager heran und rief: „Oh, mein Geliebter, sprich zu mir! Ich will deine Stimme hören. Du hast schon so lange nicht mehr zu mir gesprochen, mein Herr und Meister.“ Und sie begann, zu weinen.
Da antwortete der König in der Dunkelheit zu ihr mit langsamer Stimme, und bemühte sich dabei, die Stimme des Schwarzen nachzumachen. „Hu“, sagte er. „Ich finde dich widerwärtig!“
Die Zauberin schrie laut auf. „Mein Geliebter, bist du geheilt?“ rief sie entsetzt. Mit schwacher Stimme antwortete der König: „Du elendes Weib. Du verdienst es nicht, dass ich das Wort an dich richte.“
„Warum?“, fragte sie schluchzend. „Weil du jeden Tag nichts anders tust, als deinen Mann auszupeitschen“, entgegnete der König. „Und er weint und jammert bis zum Morgengrauen. Das bringt mich um den Schlaf und lässt meine Kräfte immer mehr entschwinden. Wenn du ihn gut behandeln würdest, hätte ich meine Kräfte längst wieder erlangt.“
Die Zauberin war höchst verwundert über diese Worte. „Ich wusste nicht, dass du das nicht magst“, sagte sie. „Aber wenn du es befiehlst, will ich ihn aus diesem Zustand erlösen.“ „Ich befehle es!“, erwiderte der König. „Nur wenn er Ruhe hat, kann auch ich meine Ruhe finden.“ „Ich werde dir gehorchen!“, versprach die Zauberin.
Sie stand auf und verließ das Haus mit der Kuppel. Dann ging sie zu dem Palast, in dem sich der Prinz immer noch bewegungslos befand. Sie nahm einen Krug, füllte ihn mit Wasser und sprach magische Zaubersprüche in das Wasser. Dann kochte sie es und besprengte den Jüngling damit.
Dabei sprach sie die Worte: „Bei des Wortes Gewalt! Beim geheimen Bann! Vorbei! Nimm die alte Gestalt wieder an!“ Da erhob sich der junge Mann, stellte sich auf seine Füße und dankte Allah für seine Erlösung.
Sie aber schrie ihn an: „Scher dich fort! Ich will dich nie wieder sehen! Wenn du mir noch einmal unter die Augen trittst, bringe ich dich um!“ Da drehte er sich um und verließ sie, so schnell er konnte.
Sie aber kehrte in das Lehmhaus mit der Kuppel zurück und sprach: „Oh mein Gebieter, ich bin froh, dass ich dich wieder sehe. Bitte steh auf, damit ich dich besser sehen kann.“ Der König aber sprach und verstellte dabei seine Stimme, so dass sie sich schwach und gebrochen anhörte: „ Du hast mir erst einen Teil meiner Ruhe zurück gegeben. Es gibt noch etwas Schlimmes, was du für mich tun musst, damit ich wirklich geheilt bin.“
„Was ist das Schlimme, oh Meister?“ rief sie. „Die Fische im See“, murmelte der König. „Sie sind eigentlich die Bewohner der Stadt, die es früher gab, und die vier Inseln. Nachts, zur Stunde um Mitternacht heben sie die Köpfe aus dem See und sprechen Flüche über dich und mich. Wegen diesen Flüchen ist es mir nicht möglich, meine Kräfte wieder zu erlangen. Nur wenn du sie befreist, kann ich wirklich gesund werden.“
Als die Zauberin diese Worte hörte, lief sie so schnell sie konnte zum See hinaus. Sie nahm ein wenig von dem Wasser und murmelte geheimnisvolle Worte. Kurze Zeit später begannen sich die Fische zu schütteln und zu strecken. Einer nach dem anderen wurde zum Menschen, wie er es gewesen war, bevor die böse Zauberin ihn mit ihrem Bann belegte. Auch der Zauber über die Stadt und den See lösten sich auf und die Stadt erblühte zu neuem Leben.
Die Bazare wurden geöffnet, der Handel erblühte, der See kehrte an seine Stelle zurück und die vier Hügel wurden wieder zu Inseln.
Nun kehrte die junge Frau zum König zurück, immer noch in dem Glauben, es sei ihr Geliebter. Lächelnd sprach sie zu ihm: „Reiche mir deine Hand, mein Meister.“ „Komm ganz nah zu mir heran“, erwiderte der König mit schmeichelnder Stimme.
Doch kaum war sie neben sein Lager getreten, ergriff er sein Schwert und stach es ihr tief in die Brust. Sie schrie laut auf, fiel nieder und starb.
Der König verließ das Haus und traf auf den Jüngling, der einst verzaubert war. Der Jüngling lief auf ihn zu, küsste ihn und dankte ihm aus tiefstem Herzen. Der König aber fragte ihn: „Möchtest du nun in deiner Stadt bleiben oder willst du mit mir in meine Stadt kommen?“
„Mein König!“, rief der Jüngling. „Die Entfernung zwischen deiner Stadt und meiner ist viel zu groß.“ „Aber nein“, erwiderte der König. „Drei Stunden ritten wir. Dann aber wanderte ich noch eine Nacht.“
„Oh König, du träumst“, erwiderte der Jüngling. „Um in deine Stadt zu gelangen, braucht man ein ganzes Jahr. Wenn du wirklich, wie du sagst, in so kurzer Zeit hierhin gekommen bist, kann es nur an dem Zauber gelegen haben. Nun aber ist der Zauber vorbei und es gelten wieder andere Gesetze. Aber ich, oh König, werde dich nicht verlassen. Nie wieder und nicht einen Lidschlag lang.“
Der König war überglücklich darüber. „Da Allah mir bis jetzt keine Kinder geschenkt hat, sollst du von nun an mein Sohn sein“, sagte er. Da fielen sie einander um den Hals und freuten sich königlich.
Der König und der Prinz kehrten zum Palast zurück. Dort ließ der Jüngling die Großen seines Landes zu sich kommen. „Ich werde nun auf eine große Reise gehen und vielleicht nicht wiederkommen“, sagte der Prinz. „Ich bitte euch, alles gut zu verwalten, damit alles in die rechten Hände gelangt.“
Dann brachen die beiden zu ihrer Reise auf. Das Herz des Königs brannte vor Sehnsucht nach seiner Stadt. Fünfzig Gefolgsleute begleiteten sie. Die vielen Kamele, die sie bei sich führten, waren mit Geschenken beladen.
Sie reisten ein ganzes Jahr lang, Tag und Nacht. Fast hatten sie schon die Hoffnung aufgegeben, die Stadt zu erreichen. Dann aber waren sie endlich am Palast des Königs angekommen. Da trat der treue Wesir mit seinen Soldaten heraus, um den König zu empfangen.
Er hatte sich große Sorgen um den König gemacht. Monat für Monat hatte er ihn am See gesucht. Schließlich hatte der Fischer sie zurückgeführt. Danach aber, als sie versuchten, abermals an den See zu gelangen, hatten sie ihn nicht wieder gefunden. Nur wenn der Fischer sie führte, konnten sie dorthin gelangen.
Dies alles, besonders aber das Verschwinden des Königs hatte alle beängstigt. Nun aber hatte alle Sorge ein Ende. Die Soldaten schrieen vor Freude. Sie begleiteten den König in seinen Palast und geleiteten ihn zum Thron. Ein großes Fest wurde gefeiert, und der König beschenkte die Armen.
Am nächsten Tag sprach der König zu seinem Wesir: „Lass mir den Fischer kommen, der mir damals diese Fische gebracht hat.“ Da schickte der Wesir den Fischer, denn durch ihn war damals der Zauber bemerkt worden.
Der Fischer trat zum König. Der ließ ihn in schöne Gewänder kleiden und fragte ihn nach seiner Familie. „Ich habe einen Sohn und zwei Töchter“, berichtete der Fischer.
Da ließ der König die Kinder holen und sie gefielen dem König sehr. Die Töchter waren anmutig und freundlich. Der König fand Gefallen an ihnen und heiratete später die Ältere, der Prinz wählte die jüngere als seine Frau. Den Sohn behielten beide bei sich und ließen ihm Ehren und Reichtum zukommen. Der alte Fischer aber wurde zum Schatzmeister ernannt.
Dann schickte der König den Wesir zu der Stadt mit den vier Hügeln und ließ ihn Herrscher über das Gebiet werden. Er gab ihm die fünfzig Gefolgsleute mit, die ihn damals auf seiner Reise begleitet hatten.
Der König und der Prinz aber lebten glücklich bis an ihr Lebensende. Noch oft sprachen sie von der Hexe, dem Schwarzen und den bunten Fischen.
Der Fischer aber, der zum Schatzmeister ernannt wurde, wurde sehr wohlhabend, und gehörte schließlich zu den reichsten Männern der Stadt. Die Menschen schätzen ihn sehr, und sie schüttelten erstaunt den Kopf, wenn er ihnen erzählte, er wäre früher nicht Schatzmeister, sondern ein Fischer gewesen, der eine Flasche fand.
Dies alles erzählte Scheherazade dem König. Es gefiel ihm. Er schlief am Tage ein und freute sich auf die kommende Nacht und eine neue Erzählung von Scheherazade. Als es Abend wurde, sagte der König Schahrirar: „Das war eine merkwürdige Geschichte von dem Geist aus der Flasche, unheimlich und wundersam.“
Doch Scheherazade antwortete: „Nicht wundersamer als die Geschichte von dem Magnetberg und dem Mann aus Messing! Auch sie ist unheimlich, doch sie glänzt wie ein Märchen aus uralten Zeiten.“ „Erzähle!“, forderte der König.
Und Scheherazade erzählte die Geschichte des Adschib, der ein Lastträger war. Denn so beginnt das Märchen von dem Magnetberg.