Die Geschichte Almansors
[von Wilhelm Hauff]
Auf einem algerischen Kaperschiff gab es einen jungen Mann, der nicht für das Sklavenkleid geboren schien, das man ihm angelegt hatte. Er hieß Almansor. Seine Kindheit verlebte er vergnügt und froh im Hause seinen Vaters, umgeben von Glanz und aller Bequemlichkeit der Erde.
Almansor wurde nicht weichlich erzogen, denn man sorgte sich schon frühzeitig um seinen Geist und seine Ausbildung. Sein Vater war selbst ein weiser Mann, der ihm die Lehren der Tugend vermittelte. Überdies hatte Almansor einen berühmten Gelehrten zum Lehrer, der ihn in allem unterrichtete, was ein junger Mensch so wissen muss. Der Junge mag etwa zehn Jahre alt gewesen sein, als die Franken über das Meer kamen und Krieg mit dem ägyptischen Volke führten.
Der Vater von Almansor hatte wohl das Misstrauen der Franken erregt, denn eines Tages kamen sie und verlangten zuerst seine Frau als Geisel. Als er sie nicht hergeben wollte, schleppten sie seinen Sohn gewaltsam in das fränkische Lager. Dort ging es ihm jedoch ganz gut, denn ein fränkischer Feldherr hatte Freude an seinen klugen Antworten. Der Feldherr sorgte dafür, dass es ihm an Speise und Kleidung nicht mangelte, aber die Sehnsucht nach Vater und Mutter machte den Knaben sehr unglücklich.
Da wurde das Lager plötzlich abgebrochen, und Almansor glaubte jetzt wieder heimkehren zu dürfen. Er hatte sich geirrt. Das Heer zog hin und her, führte Krieg mit den Mamelucken, und immer schleppten sie den jungen Almansor mit sich. Wenn er dann die Hauptleute oder die Feldherren anflehte, ihn doch heimkehren zu lassen, so verweigerten sie es. Sie sagten, er sei ein Unterpfand für die Treue des Vaters. So war er viele Tage lang mit auf dem Marsch.
Auf einmal entstand eine Bewegung im Heere, die dem Knaben nicht entging. Man sprach vom Einpacken, Zurückziehen und vom Einschiffen. Almansor war außer sich vor Freude. Wenn die Franken jetzt in ihr Land zurückkehrten, mussten sie ihn ja freilassen.
Das Heer zog mit Ross und Wagen zur Küste, und endlich war man so weit, dass man die Schiffe vor Anker liegen sah. Aber es wurde Nacht und man entschloss sich, am Ufer zu ruhen. Almansor verfiel in einen tiefen Schlaf, denn als er aufwachte, war es schon heller Tag. Er lag in einer kleinen Kammer, die er nicht kannte. Er sprang von seinem Lager auf und fiel gleich auf die Knie, denn der Boden schwankte heftig hin und her. Da raffte sich der Knabe auf und hielt sich an den Wänden fest, um aus dem Gemach zu kommen.
Endlich erreichte er eine kleine Treppe. Mit Mühe kletterte er hinauf, doch was für ein Schrecken! Ringsumher war nichts als Himmel und Meer. Er war auf einem Schiff. Da fing er kläglich an zu weinen und wollte sich schon ins Meer stürzen, um an Land zu schwimmen. Aber die Franken hielten ihn fest und versprachen, er würde bald wieder in seine Heimat zurückkehren.
Die Franken brachen ihr Wort; denn das Schiff segelte viele Tage lang weiter. Und als es endlich landete, war man nicht mehr an Ägyptens Küste, sondern in Frankistan! Immerhin hatte Almansor während der langen Fahrt schon etwas von der fremden Sprache gelernt, was ihm jetzt zustatten kam. Er wurde viele Tage lang durch das Land geführt. Überall strömte das Volk zusammen, um ihn zu sehen. Seine Begleiter gaben vor, er wäre der Sohn des ägyptischen Königs. Das sagten sie aber nur, um vorzutäuschen, dass Ägypten besiegt worden sei. Dann kamen sie in eine große Stadt, wo der Knabe einem Arzt übergeben wurde. Der nahm ihn in sein Haus und unterwies ihn in allen Sitten und Gebräuchen von Frankistan.
Almansor musste fränkische Kleider anlegen, die sehr eng und knapp waren und bei weitem nicht so schön wie seine ägyptischen. Auch durfte er nicht mehr seine Verbeugung mit gekreuzten Armen machen, sondern musste mit der Hand seine ungeheure Filzmütze vom Kopfe reißen und mit dem rechten Fuß auskratzen. Er durfte auch nicht mehr mit übergeschlagenen Beinen sitzen, wie es im Morgenland so Sitte ist. Dafür musste er sich auf hochbeinige Stühle setzen und die Füße auf den Boden herabhängen lassen. Schließlich machte ihm das Essen wenig Freude. Alles, was er zum Munde bringen wollte, musste er auf eine Eisengabel stecken. Almansor hätte vielleicht seine Sprache verlernt, wenn da nicht ein Mann in jener Stadt gelebt hätte, der dem Knaben von großem Nutzen war.
Dieser gelehrte Mann verstand viele morgenländische Sprachen, wie Arabisch, Persisch, Koptisch und Chinesisch. Man gab ihm viel Geld, dass er diese Sprachen anderen Leuten beibrachte. Der Mann ließ nun den jungen Almansor jede Woche einige Male zu sich kommen und bewirtete ihn gut. Er hatte vornehme Kleider für den Knaben machen lassen, wie man sie aus Ägypten kannte. Diese Kleider bewahrte er in einem besonderen Zimmer auf. Wenn Almansor nun kam, wurde er mit einem Bediensteten in jenes Zimmer geschickt und musste sich nach seiner Landessitte ankleiden. Von da ging es dann nach "Kleinarabien". Das war ein großer Saal im Hause des Gelehrten.
Dieser Saal war mit allerlei Bäumen geschmückt, die sonst nur im Morgenlande wachsen. Persische Teppiche lagen auf dem Fußboden, und an den Wänden waren Polster. Auf einem dieser Polster saß der alte Gelehrte. Er sah nun ganz anders aus. Er hatte sich einen Turban aufgesetzt und einen grauen Bart umgeknüpft, der ihm bis zum Gürtel reichte. Dazu trug er noch einen Talar, weite türkische Beinkleider und gelbe Pantoffeln. So friedlich er auch war, an diesen Tagen hatte er einen türkischen Säbel umgeschnallt, und im Gürtel steckte ein Dolch. Dazu rauchte er aus einer langen Pfeife und ließ sich von seinen Leuten bedienen, die ebenfalls wie im Morgenland gekleidet waren. Einige hatten sich sogar Gesicht und Hände schwarz gefärbt.
Das alles musste Almansor sehr seltsam erscheinen, aber er durfte wenigstens seine Heimatsprache verwenden. Der Knabe musste beim Eintreten einen Friedensgruß sprechen, den der alte Perser feierlich erwiderte. Dann winkte er dem Jüngling, sich neben ihn zu setzen, und begann in verschiedenen Sprachen zu sprechen. Das nannte er eine gelehrte morgenländische Unterhaltung. Neben ihm stand ein Bediensteter, der ein großes Wörterbuch hielt. Wenn dem Alten dann die Worte ausgingen, winkte er seinem Sklaven, schlug flugs die passenden Seiten auf und redete weiter.
Almansor konnte auch sehr schön Persisch lesen, und das war der Hauptvorteil für den Alten. Er hatte viele persische Manuskripte. Aus diesen ließ er sich vorlesen, las es aufmerksam nach und merkte sich auf diese Art die richtige Aussprache. Das waren gute Tage, denn nie entließ der alte Gelehrte den Jungen unbeschenkt. So lebte Almansor einige Jahre in der Hauptstadt von Frankistan, doch nie wurde seine Sehnsucht nach der Heimat geringer.
Als er fünfzehn Jahre alt war, ereignete sich aber etwas, das Einfluss auf sein Schicksal nahm. Die Franken wählten einen Feldherrn zu ihrem König und Beherrscher.
Eines Tages ging Almansor über eine jener Brücken, die den breiten Fluss überquerten. Da sah er einen Mann mit dem einfachen Kleid eines Soldaten, der am Brückengeländer lehnte. Die Züge des Mannes fielen ihm auf, und er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben. Dieser Mann musste jener Feldherr der Franken sein, mit dem er oft im Lager gesprochen und der immer gütig für ihn gesorgt hatte. Almansor fasste sich ein Herz, trat zu ihm und sprach: "Salem aleikum, Petit-Caporal!" Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit scharfen Augen an und rief nach kurzer Überlegung: "Himmel, ist es möglich! Du hier, Almansor? Was macht dein Vater? Wie geht es in Ägypten? Was führt dich zu uns?"
Nun konnte Almansor sich nicht länger halten. Er fing an, bitterlich zu weinen, und sagte: "Wisst ihr denn nicht, was eure Landsleute mit mir gemacht haben? Ich habe das Land meiner Väter seit vielen Jahren nicht mehr gesehen!" Das Gesicht des Mannes verdunkelte sich und er erwiderte: "Ich will nicht glauben, dass man dich aus Ägypten wegschleppt hat." "So ist aber", antwortete Almansor. "An jenem Tage, wo eure Soldaten sich einschifften, sah ich mein Heimatland zum letzten Mal. Sie nahmen mich einfach mit. Aber höre, Petit-Caporal! Vielleicht kannst du mir ja helfen."
Der Mann, lächelte und fragte, auf welche Weise er denn helfen solle. "Siehe", sagte Almansor, "es wäre unrecht, wollte ich von dir etwas verlangen. Wie ich sehe, bist du auch nur ein armer Mensch, obwohl du einst ein Feldherr warst. Nach deinem Rock und Hut zu urteilen musst du nicht in den besten Umständen sein. Aber die Franken haben ja neulich einen Sultan gewählt. Ohne Zweifel kennst du einige Leute, die sich ihm nähern dürfen."
"Nun ja", antwortete der Mann, "aber wie weiter?" "Beim Sultan der Franken könntest du ein gutes Wort für mich einlegen, Petit-Caporal. Dann brauche ich noch etwas Geld für die Reise übers Meer. Vor allem aber musst du mir versprechen, weder meinem Herrn noch dem arabischen Gelehrten etwas davon zu sagen." "Wer ist denn der arabische Gelehrte?", fragte der Mann weiter. "Ach, das ist ein sonderbarer Kauz. Von dem erzähle ich dir ein anderes Mal. Nun sage mir, willst du für mich sprechen?"
"Komm mit mir", sagte der Mann, "vielleicht kann ich dir schon helfen." "Jetzt?", rief der Jüngling mit Schrecken. "Um keinen Preis, da würde mich mein Herr, der Doktor, prügeln. Ich muss eilen, dass ich nach Hause komme." "Was trägst du denn in deinem Korb?" fragte der Mann und hielt ihn zurück.
Almansor errötete und wollte es anfangs nicht zeigen. Dann sagte er: "Siehe, Petit-Caporal, ich muss hier Dienste tun, wie der geringste Sklave meines Vaters. Der Doktor ist ein geiziger Mann und schickt mich jeden Tag eine Stunde weit auf den Gemüse- und Fischmarkt. Da muss ich dann unter den schmutzigen Marktweibern einkaufen, weil es dort um einige Kupfermünzen billiger ist. Siehe, für diesen schlechten Hering, für diese Hand voll Salat und für dieses Stückchen Butter muss ich jeden Tag zwei Stunden gehen. Ach, wenn mein Vater das wüsste!"
Der Mann war über die Not des Knaben gerührt und antwortete: "Komm nur mit mir und sei ohne Sorge. Der Doktor soll dir nichts mehr anhaben dürfen, auch wenn er heute weder Hering noch Salat verspeist! Sei guten Mutes und komm!" Er nahm Almansor bei der Hand und führte ihn mit sich. Sie gingen durch viele Straßen, und es wollte dem Jüngling wunderbar erscheinen, dass alle Leute die Hüte vor ihnen zogen. Almansor sagte dies auch zu seinem Begleiter, der aber lachte nur und sagte nichts.
Sie gelangten endlich zu einem prachtvollen Schloss. "Wohnst du hier, Petit-Caporal?", fragte Almansor. "Ja, hier ist meine Wohnung", antwortete der Mann, "und ich will dich zu meiner Gemahlin führen." "Ei, da wohnst du recht schön. Gewiss hat dir der Sultan freie Kost und Logis bewilligt!" "Diese Wohnung habe ich vom König, du hast wohl Recht", sagte der Mann und führte ihn in das Schloss. Dort stiegen sie eine breite Treppe hinauf, und in einem schönen Saal musste Almansor seinen Korb absetzen. Dann traten sie in ein prachtvolles Gemach, wo eine Frau auf einem Diwan saß. Der Mann sprach mit ihr in einer fremden Sprache, worauf beide lachten.
Nun sprach die Frau in fränkischer Sprache mit Almansor und fragte vieles über Ägypten. Endlich sagte der Petit-Caporal zu dem Jüngling: "Weißt du, was das Beste ist? Ich will dich gleich selbst zum König führen und bei ihm vorsprechen." Almansor erschreckte sich sehr und sprach: "Sage mir, muss ich vor dem König niederfallen? Muss ich mit der Stirne den Boden berühren? Was muss ich tun?" Der Mann lachte und versicherte, dies alles sei nicht nötig.
"Sieht er schrecklich und majestätisch aus?", fragte Almansor weiter, "Hat er einen langen Bart? Macht er feurige Augen? Sage, wie sieht er aus?" Sein Begleiter lachte wieder und sprach: "Ich will ihn dir gar nicht beschreiben, Almansor. Du sollst selbst erraten, wer der König ist. Nur das will ich dir als Kennzeichen mitgeben: Wenn der König da ist, werden alle im Saale die Hüte ehrerbietig abnehmen. Der, welcher den Hut auf dem Kopf behält, der ist der König."
Jetzt nahm er ihn bei der Hand und ging mit ihm zum Saal des Königs. Ein Bediensteter öffnete die Türe, und da standen wenigstens dreißig Männer in einem Halbkreis, alle prächtig gekleidet. Sie waren mit Gold und Sternen überdeckt, wie es im Lande der Franken so Sitte ist. Sie hatten alle das Haupt entblößt, und Almansor fing nun an, nach demjenigen zu suchen, der den Hut auf dem Kopfe behalten hatte. Es war vergebens, denn alle hatten den Hut in der Hand. Der König konnte also nicht unter ihnen sein. Da fiel sein Blick zufällig auf seinen Begleiter, und siehe, dieser hatte den Hut auf dem Kopfe sitzen!
Der Jüngling war tief betroffen und sah seinen Begleiter lange an. Dann nahm er selbst seinen Hut ab und sagte: "Salem aleikum, Petit-Caporal! Soviel ich weiß, bin ich nicht der Sultan der Franken. Also kommt es mir nicht zu, mein Haupt zu bedecken. Nun weiß ich, wer der König ist!" "Du hast es erraten", antwortete jener, "und überdies bin ich dein Freund. Schreibe dein Unglück nicht mir, sondern den unglücklichen Umständen zu. Und sei versichert, dass du mit dem ersten Schiff in dein Heimatland zurücksegeln kannst. Gehe jetzt wieder hinein zu meiner Frau, und erzähle ihr vom arabischen Gelehrten und was du sonst noch weißt. Die Heringe und den Salat will ich dem Doktor schicken. Du aber kannst in meinem Palast bleiben."
Von diesem Tag an lebte Almansor glücklich und in Freuden. Den arabischen Gelehrten durfte er noch einige Mal besuchen, den Doktor sah er aber nicht mehr wieder. Nach einigen Wochen ließ ihn der König zu sich rufen und kündigte ihm an, dass ein Schiff vor Anker liege, das nach Ägypten fahre. Almansor war außer sich vor Freude. Nur wenige Tage reichten hin, um mit Schätzen und Geschenken reich beladen, die Heimreise anzutreten.
Aber Allah wollte ihn noch länger prüfen und ließ ihn die Küste seiner Heimat noch nicht sehen. Ein anderes fränkisches Volk, die Engländer, führten damals Seekrieg mit dem König. Sie nahmen ihm alle Schiffe weg, die sie besiegen konnten. So kam es, dass am sechsten Tage der Reise englischen Schiffe auch das Schiff von Almansor kaperten. Die ganze Mannschaft wurde auf ein kleineren Segler gebracht, das mit den englischen Schiffen weiterfahren sollte. Da kam ein Sturm auf und trieb die Schiffe auseinander.
Nun ist die See nicht weniger unsicher als die Wüste, wo Räuber die Karawanen überfallen und alles plündern. So geschah es, dass ein algerisches Kaperschiff den hilflosen kleinen Segler mit Almansor aufbrachte und die ganze Mannschaft in Algier auf den Sklavenmarkt führte.
Almansor kam zwar nicht in so harte Sklaverei wie die Christen, weil er ein rechtgläubiger Muselmann war. Seine Hoffnung, die Heimat und den Vater wiederzusehen, war jedoch verschwunden. Er lebte fünf Jahre lang bei einem reichen Manne und musste jeden Tag die Blumen gießen und den Garten fegen. Da starb der reiche Mann ohne einen Erben. Seine Besitzungen wurden zerrissen, seine Sklaven verkauft und Almansor in die Hände eines Sklavenhändlers gegeben. Dieser rüstete gerade ein Schiff aus, um seine Sklaven an einer anderen Küste teuer zu verkaufen.
Das Schicksal meinte es gut mit Almansor. Er wurde auf dem Markt seiner Heimatstadt zum Kauf angeboten, und sein eigener Vater kam vorbei. Almansor traute seinen Augen nicht und rief: "Sieh mich an, Vater!" Der Vater schaute auf, und seine Augen sahen ein leibhaftiges Wunder. Schnell bezahlte er den Preis für seinen Sohn, mochte es auch kosten, was es wollte. Dann gingen sie glücklich heim, wo Almansor noch lange von seinen Abenteuern erzählte.