Großväter und Großmütter haben ihren Enkeln und Urenkeln schon oft von schönen Schlangen erzählt, die goldene Krönlein auf ihrem Haupte tragen. Diese bekamen mancherlei Namen, wie Otterkönig, Krönleinnatter, Schlangenkönigin und dergleichen mehr. Und die Alten sagten, der Besitz eines solchen Krönleins bringe großes Glück.
Vor langer Zeit diente eine fromme und gutherzige Magd bei einem geizigen Bauern. Im Kuhstall des Bauern wohnte auch eine Krönleinnatter, die man nachts zuweilen gar wunderschön singen hörte.
Jeden Tag kam die treue Magd in den Stall, um die Kühe zu melken. Auch fütterte sie die Kühe und streute den ganzen Stall mit großer Sorgfalt ein, denn des Bauern Vieh ging ihr über alles. Manchmal kroch aber die Krönleinnatter aus einer Mauerspalte, wo sie auch wohnte. Dieses Schlänglein war so weiß wie ein weißes Mäuschen, und sah mit klugen Augen der Magd bei ihrer Arbeit zu. Die Magd hatte jedes Mal das Gefühl, als wolle die Schlange etwas von ihr haben.
Mit der Zeit gewöhnte sich die Magd an, warme Kuhmilch in ein kleines Untertässchen zu gießen und dem Schlänglein hinzustellen. Es trank die Milch mit Wohlbehagen und drehte dabei sein Köpfchen hin und her. So funkelte dann das Krönlein wie ein Diamant und leuchtete recht ordentlich in dem Stalle.
Die gute Magd freute sich über die weiße Schlange gar sehr. Und die Kühe gaben viel mehr Milch und brachten besonders schöne Kälbchen zur Welt, seit sie das Schlänglein mit Milch tränkte.
Da traf es sich einmal, dass der Bauer in den Stall trat, gerade als die Krönleinnatter ihr Töpfchen Milch schleckte. Und weil der Bauer über alle Maßen geizig war, schimpfte er wie ein Rohrspatz, als ob die arme Magd die Milch gleich eimerweise weggeschenkt hätte.
"Du miserable, nichtsnutze Magd!", schrie der Bauer zornig. "So gehst du also mit dem Hab und Gut deines Herrn um? Schämst du dich nicht, solch einen giftigen Wurm, der ohnedies den Kühen die Milch aus den Eutern saugt, auch noch zu füttern und an den Stall zu gewöhnen? Schier glaub' ich, dass du eine böse Hexe bist und dein Satanswesen es mit dem Teufelswurm treibt!"
Das arme Mädchen konnte diesen Vorwürfen nur mit Tränen begegnen, aber dem Bauern war es egal. Er schrie und zankte sich mehr und mehr in Zorn, vergaß die Treue und den Fleiß der Magd und hörte nicht auf zu toben. "Aus dem Hause, auf der Stelle!", wütete der Bauer. "Ich brauche keine Schlangen als Kostgänger! Ich brauche auch keine Milchdiebe und Hexendirnen! Schnür dein Bündel, aber gleich! Und mach, dass du aus dem Dorfe kommst. Lass dich nie mehr hier blicken, sonst zeig ich dich beim Amte an. Dann wirst du ins Loch gesteckt und kriegst den Staubbesen!"
Laut weinend rannte die gescholtene Magd aus dem Stalle, ging hinauf in ihre Kammer, und packte ihre Kleider zusammen. Ihr Bündel war schnell geschnürt, dann trat sie aus dem Hause und ging über den Hof. Da hörte sie im Stalle das Blöken ihrer Lieblingskuh. Der Bauer war aber schon weiter gegangen, also ging sie noch einmal hinein, um Abschied von ihrem lieben Vieh zu nehmen. Sie streichelte jede Kuh, und ihr Liebling leckte ihr noch einmal die Hand.
Da kam auch die Schlange mit dem Krönlein gekrochen und die Magd sagte: "Lebe wohl, du armer Wurm, jetzt wird dich niemand mehr füttern." Da hob sich das Schlänglein empor, als wollte es seinen Kopf in die Hand der Magd legen. Aber es war das Natterkrönlein, das in die Hand des Mädchens fiel, und die Schlange glitt aus dem Stalle.
Das arme Mädchen machte sich nun auf den Weg und wusste gar nicht, wie reich sie war. Denn wer das Natterkrönlein besitzt und bei sich trägt, dem gelingt alles zum Glücke. Er ist allen Menschen angenehm, und ihm wird Ehre und Freude zuteil.
Draußen vor dem Dorfe traf die Magd den reichen Sohn des Bürgermeisters. Er war der schönste Bursche im ganzen Dorfe, und sein Herz war schon länger in Liebe zu der jungen Magd entbrannt. Der junge Bursche grüßte sie und fragte, wohin sie denn gehe und warum sie aus dem Dienst scheide. Da klagte sie ihr Leid, doch der Bürgermeistersohn schickte sie kurzer Hand zu seiner Mutter. Wie nun die Magd zu der Frau Bürgermeister kam, da fasste die alte Frau gleich großes Vertrauen und behielt sie im Hause.
Am Abend kamen die Knechte und die Mägde zum Essen zusammen, da musste die neue Magd gleich das Tischgebet sprechen. Es war allen so, als kämen die Gebetsworte von den Lippen eines Engels, und alle wurden von einer wundersamen Andacht bewegt. Als das Gesinde dann die Stube verlassen hatte, fasste der Bürgermeistersohn die Hand des armen Mädchens, trat mit ihr vor seine Mutter und sagte: "Frau Mutter, segnet uns, denn ich will diese hier zur Frau nehmen, sonst keine. Sie hat es mir angetan!"
"Sie hat es uns allen angetan", antwortete die alte Frau Bürgermeister. "Sie ist so fromm, schön, demütig und makellos. In Gottes Namen und im Namen meines kürzlich verstorbenen Mannes segne ich euch und nehme das Mädchen von Herzen gern zur Schwiegertochter." So wurde die arme Magd zur reichsten Frau im Dorfe und zu einer glücklichen noch dazu.
Mit dem geizigen Bauern aber, der die treueste Magd wegen einer Hand voll Milch aus dem Hause getrieben hatte, ging es im Nu bergab. Zuerst musste er sein Vieh verkaufen, dann auch noch seine Äcker. Der reiche Bürgermeistersohn kaufte alles nur zu gern, und so konnte seine Frau die lieben Kühe, mit grünen Kränzen geschmückt, in ihren Stall führen. Sie streichelte die Kühe wieder und ließ sich die Hände von ihnen lecken. Auch das Melken und Füttern besorgte sie wieder gerne mit eigener Hand.
Und mit einem Male zeigte sich auch die weiße Schlange im Stalle. Da zog die Magd schnell das Krönlein hervor und sagte: "Das ist schön von dir, dass du zu mir kommst. Nun sollst du auch alle Tage frische Milch haben, so viel du willst. Hier hast du auch dein Krönlein wieder, mit tausend Dank, dass du mir so wohl geholfen hast. Ich brauche es nun nicht mehr, denn ich bin reich und glücklich durch Liebe, Treue und durch Fleiß." Da nahm die weiße Schlange ihr Krönlein wieder und wohnte fortan im Stalle der jungen Frau. So ruhte auf dem ganzen bäuerlichen Anwesen Friede, Glück und Gottes Segen.