Manchmal tut man Dinge, die niemand täte, wäre er man selber. Aber weil man selber man selber ist – der Philosoph unter den Skispringern Anton Innauer kennt darauf nur eine Antwort: „Ziiiehhh!“ Autor: Johannes Roßteuscher
Wer den Menschen heutzutage im Fernsehen sieht – die Mütze bis zu den Augenbrauen heruntergezogen, das kantige Kinn stoppelig, die Wangen zerfurcht – der hat vielleicht die Assoziation: ein Ötzi in Funktionskleidung. Und würde nicht als erstes daran denken, dass er einen der größten – ach sagen wir es halt – den größten Ästheten einer ehrwürdigen Wintersportart vor sich hat.
Fünf mal 20,0!
Punktlandung!
Und dazu liefert der Mann einmal mehr den Beweis, dass Menschen, die Schönes schaffen, nicht unbedingt selbst, nun ja Schönlinge sein müssen. Trifft man ihn, den Ästheten unter den Athleten, den Ganzheitlichen unter den Sportphilosophen ohne Skimütze und nicht mit von kalter Winterluft zusammengezogener Haut, zum Beispiel mit grauem Sakko und schwarzem Rollkragenpulli – dann wird aus dem zerfurchten Ötzischädel ein asketischer, sehr attraktiver Architekten- oder gar Philosophenkopf.
Also doch!
So nennt man ihn ja auch bis heute: Den Philosophen auf der Sprungschanze.
Dabei war der Innauer Toni zunächst in erster Linie ein Naturtalent. Nach eigener Auskunft schüchtern und rasend ehrgeizig zugleich. Aus Bezau in Vorarlberg – Vor-Rarrlberg, wie er selbst sagen würde. Seine Schüchternheit versucht er mit Skispringen in den Griff zu bekommen. Ausgerechnet. Sich mit fast 100 einen Abhang von fast 90 Prozent Gefälle hinunter zu stürzen auf dem man weder bremsen, noch abbiegen kann? Man würde es niemandem empfehlen – aber manchmal scheint es das Richtige zu sein: Der Teenager aus dem Bregenzerwald gilt schnell als Wunderkind – in einer Rige von Supertalenten im österreichischen Kader. Im Februar 1976, 17 Jahre alt und mit Haaren wie Günther Netzer, geht er bei den Olympischen Spielen in Innsbruck als Top-Favorit an den Start.
Nach überlegener Führung im ersten Durchgang verpatzt er den zweiten Sprung und wird nur Zweiter. Olympia-Silber mit 17 – für das Wunderkind eine Enttäuschung.
Ach na…
Was für ein Glück, dass ihm nur zweieinhalb Wochen später das gelingt, was kein Skispringer vor ihm geschafft hat. Bei den Skiflugwochen in Oberstdorf holt Toni Innauer nicht nur zwei Weltrekorde in drei Tagen. Am 6. März 1976 legt er den allerersten von sämtlichen Preisrichtern als perfekt gewerteten Sprung hin.
Fünf Mal die Höchstnote 20,0.
Man kann sich das heute noch anschauen: Innauer im roten Skianzug, roter, enger Helm, weiße Skibrille. Der Anlauf mit 39 Grad Gefälle besonders steil. Und dann ein Flug, auf dem Innauer aussieht wie eingefroren, so ruhig segelt er ins Tal. Eben wie – man verzeihe die Floskel – an der Schnur gezogen. Allerdings nur 168 Meter, diesmal kein Weltrekord. "Der Sprung war so perfekt, dass ich ihn zerstören musste, um zu überleben." erklärte Innauer später. Ein typischer Innauer-Satz. Gemeint war wohl: noch weiter zu fliegen, wäre gefährlich geworden.