Pagagnini, der Teufelsgeiger, ein Superstar seiner Zeit. Jeder wollte ich hören und sehen - nicht nur die oberen Zehntausend. Autor: Simon Demmelhuber
München tobt, München kreischt, München rast: Paganini ist da! Endlich! Die Zeitungen überschlagen sich, schwärmen, taumeln schnappatmig durch alle Register der Begeisterung. Wochenlang haben sie ihre Leser angespitzt mit überschäumenden Jubelarien und schaurig schönem Gemunkel über dunkle Geheimnisse, Blutfrevel oder gar Satansverlöbnisse.
Teufelsgeiger und…
Nun wollen alle ihn sehen, den Teufelsgeiger, den Magier, "der einem die Tränen in die Augen und das Herz aus dem Leibe spielt." Und Paganini liefert. Seine Violine singt, schmeichelt, schmachtet wie keine zuvor. Sie klagt, sie jauchzt, reißt Himmel und Hölle auf, verzückt und entrückt. Kaum ist der letzte Ton verklungen, bricht das Inferno los. Das königliche Hof- und Nationaltheater kocht. Frauen fallen in Ohnmacht, Männer heulen, Applaus ohne Ende. Das ist mehr als Musik. Es ist ein Erlösungswerk: Paganini sprengt den Deckel vom Drucktopf des sittenstrengen Obrigkeitsstaates, liefert die Lizenz zum Überschwang, zur Seelenbrunst, zur legitimen Ekstase.
So viel Rausch steckt an. Auch Altkönigin Karoline von Bayern wünscht den Wundermann zu hören. Privatissime selbstverständlich. Nicht in der Landeshauptstadt, sondern in Schloss Tegernsee. Am 23. November 1829 ist es so weit. Im Festsaal ihres Witwensitzes empfängt die Monarchin einen Kreis durchlauchtigster Hoheiten und handverlesener Honoratioren zum Hauskonzert des Starvirtuosen.
…Fidelschlawiner
Stühle scharren, Kleider rascheln, Stimmen wogen. Dann wird es ruhig. Stille breitet sich aus. Wie ein Ehrenteppich für die Leibhaftwerdung eines Mysteriums. Doch etwas pickt an der Weihe, zerfranst den Zauber. Etwas von draußen. Vor den Fenstern rumort es. Ein gedämpftes Getrappel, leise, doch unüberhörbar. Die Ursache ist rasch geklärt:
An die hundert Bauern sind vor dem Schloss aufmarschiert und ersuchen untertänigst, die Türen zu öffnen, damit sie im Garten mithören dürfen. So viel Kunstsinn rührt die Königin. Höchst huldvoll bittet sie den Trupp herein, der sich unter Getrampel und Geschiebe im Saal hinten aufreiht.
Dann gibt es nur noch ihn: Paganini! Da steht er und spielt, das rechte Bein vorgestellt, die Arme dicht am Leib. Alles ist spitz an ihm: Der Blick, das Gesicht, die Nase, die Spinnenfinger, der knochige Körper. Ein zuckender, pechschwarzer Strich im Kerzenschimmer, ein zaundürrer Rabe, der sich in einem Netz aus Tönen verheddert und zappelnd um Freiheit ringt.