Am 24. Juni 1995 wurde in Köln der Öffentlichkeit ein Mahnmal für schwule und lesbische Opfer nationalsozialistischer Verfolgung übergeben. Autorin: Brigitte Kohn
Frechheit siegt - nicht immer. Vor den Nazi-Gerichten eher selten. Der Briefmarkenhändler Julius Enoch versuchte es trotzdem. Man hatte ihn im Berliner Tiergarten in einer verfänglichen Situation mit einem anderen Mann ertappt. "Det waren doch nur Atemübungen", erklärte er vor Gericht. Er sei am fraglichen Juniabend 1936 mit einem Lied auf den Lippen nach Hause gegangen, wie es so seine Gewohnheit sei. Ein Unbekannter habe ihn angesprochen und um Nachhilfeunterricht in Sachen Sangeskunst gebeten. Den habe er gerne erteilt, aus praktischen Gründen liegenderweise im nahe gelegenen Park. Die Nazis fanden das weder glaubhaft noch komisch. Der Name Julius Enoch ist in den Listen des KZ Sachsenhausen unter der Nummer 37011 verzeichnet.
Gebrandmarkt mit dem rosa Winkel
Weit weniger hätte gereicht, um einen schwulen Mann in Gefahr zu bringen. Der berüchtigte Paragraph 175 wurde von den Nazis so verschärft, dass alle Formen homosexueller Begegnung, unter Umständen auch nur die "wollüstige Absicht", unter Strafe standen. Die "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung", gegründet durch den fanatischen Schwulenhasser Reichsführer der SS Heinrich Himmler, sammelte Namen und Daten. Ein Kuss, eine Geste, ein Blick, von Denunzianten als zweideutig interpretiert, konnte verhängnisvolle Auswirkungen haben. Schwule wurden zwar nicht so gnadenlos verfolgt wie beispielsweise Juden; sie hatten die Möglichkeit, ihre Liebesbegabung zu verbergen oder eine "Heilung" vorzutäuschen. Doch wer sich, gebrandmarkt mit dem rosa Winkel, in einem KZ wiederfand, hatte geringe Überlebenschancen. Schwule standen in der Lagerhierarchie ganz unten, wurden zwangskastriert, medizinischen Versuchen ausgeliefert, zu Tode geschunden.
"Totgeschlagen - totgeschwiegen"
Ganz unten standen sie lange Zeit auch in der Hierarchie des Gedenkens in der Bundesrepublik.
Hier galt der Paragraph 175 in seiner verschärften Form immerhin noch zwei Jahrzehnte, bis er 1968 und 1973 reformiert und 1994 ganz abgeschafft wurde.