Was passiert eigentlich im Herz? Dort züngelt ein Flämmchen! Das jedenfalls glaubte man fast eineinhalb Jahrtausende lang dem griechischen Arzt Galenos. Dann beschrieb der Arzt Willam Harvey am 17. April 1616 den Blutkreislauf.
Manchmal ist es ein bisschen schade, dass die moderne Wissenschaft so unromantisch geworden ist. Sie seziert den Körper in kleine Scheibchen, um festzustellen, dass darin nirgends eine Seele ist; sie löst die Flügel der Liebe auf in einem Cocktail aus chemischen Stoffen; und sie erklärt unseren Mutterplaneten Erde zu einem im Vakuum kreisenden Steinbrocken.
Flammende Herzen
Früher, ja früher - da war bekanntlich alles besser. Früher, da brannte zum Beispiel im Herzen eines jeden Menschen eine Flamme. Das wissen wir vom griechischen Arzt Galenos von Pergamon, der es im 2. Jahrhundert nach Christus aufschrieb. Diese Flamme sorgte für Wärme - und die wiederum für alle lebenswichtigen Prozesse. Gespeist wurde die Flamme durch Brennstoff; den Rauch, der dabei entstand, atmete der Mensch durch die Lunge nach draußen. Der Brennstoff war das Blut, gewonnen aus der Nahrung, produziert in der Leber, dann zum Herzen geschickt, wo es durch Poren in den Wänden in die Adern floss.
Diese Theorie hatte durchaus ihre Logik; doch stützte sie sich ausschließlich auf Mutmaßungen. Denn Untersuchungen, die Galenos und seine Zeitgenossen eines Besseren belehrt hätten, wurden damals nicht durchgeführt. Und auch später nicht. Jahrhunderte lang waren Untersuchungen an Leichen von der Kirche verboten. Ferner wurde Galenos' Lehrmeinung für bindend erklärt. Wer daran zweifelte, riskierte, als Ketzer bestraft zu werden. Nichts hält besser als ein Provisorium; und so hielt sich Galenos' Vorstellung von der Funktion des menschlichen Organismus 14 Jahrhunderte lang. Bis zum Jahr 1616.
Pumpende Herzen
William Harvey, Jahrgang 1578 und Leibarzt des englischen Königs, ist ein Wissenschaftler, der sich mit den bestehenden Thesen nicht zufrieden geben will.
Er stellt fest, dass die Menge des Blutes, die mit jedem Herzschlag in den Körper gestoßen wird, viel zu groß ist, als dass sie aus der Nahrung ständig neu gebildet werden könnte. Auch die brennstofffressende Flamme im Herzen will ihm nicht einleuchten. Und auch der Bau der Herzwände scheint ihm absurd: "Zum Teufel, es gibt keine Löcher!", schreibt er wutentbrannt. Sein Fazit: Das Herz ist die Pumpe, die das Blut durch die Adern presst - in den Körper, und von dort zurück zum Ausgangspunkt, immer im Kreis.
Am 17. April 1616 präsentiert Harvey seine Erkenntnisse in einer Vorlesung in London. Er untermauert sie mit einem Experiment: Er bindet einer Versuchsperson den Unterarm ab, bis der Rückstau des Blutes die Venen anschwellen lässt: Das Blut kann nicht zurückfließen. Harvey erntet Beifall - und Ablehnung. Als Ketzer wird er nicht verfolgt. Vielleicht, weil er schlau genug ist, Galenos' Lehre nicht als falsch zu bezeichnen. Er erklärt es so: Der antike Mensch sei eben noch anders gebaut gewesen.
Anders als die übrigen Mediziner seiner Zeit verließ sich Harvey nicht auf bloße Mutmaßungen. Seine Erkenntnis stützte sich auf Untersuchungen, Experimente, Messungen. Damit war er ein Pionier der modernen Wissenschaft. Nüchterne Beweise haben seither die Fantasie abgelöst - und so ist die Romantik aus der Wissenschaft verschwunden.