Im Jahr 2000 wurde weltweit die erste PISA-Studie durchgeführt. In dieser Studie wurde der Bildungsstand von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern in 32 verschiedenen Staaten unter-5 sucht. Damit wollte man überprüfen, wie leistungsfähig die Bildungssysteme der verschiedenen Länder sind.
PISA untersucht die Leistungen der Schüler in drei verschiedenen Kompetenzbereichen: Lesekompetenz, mathematische Grundbildung und naturwissenschaftliche Grundbildung.
Als die Ergebnisse der ersten PISA-Studie veröffentlicht wurden, war man in Deutschland
10 schockiert. Die Leistungen der deutschen Schüler waren viel schlechter, als man erwartet hatte. Fast jeder vierte 15-Jährige kann nur wie ein Grundschüler rechnen und versteht nur einfachste Texte. Außerdem zeigten die Ergebnisse, dass es in Deutschland weniger gut gelingt
als in anderen Industriestaaten, Schülerinnen und Schüler mit weniger guten Lernvoraussetzungen optimal zu fördern. Dies gilt besonders für leistungsschwache Schüler und für Kinder 15 ausländischer Familien. Aber auch im oberen Leistungsbereich werden Spitzenleistungen nur von relativ wenigen erreicht. Die Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit hohen Kompetenzen ist in Deutschland viel kleiner als in Staaten, die bei der PISA-Studie besser abgeschnitten haben. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass in Deutschland Schülerinnen und Schüler nicht genug individuell gefördert werden.
20 Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin beschäftigt sich intensiv mit den Ergebnissen der PISA-Studie. Insbesondere wird das deutsche Schulsystem mit den Schulsystemen von Staaten verglichen, die im PISA-Test erfolgreicher abgeschnitten haben. Durch diesen Vergleich will man herausfinden, wie das deutsche System verbessert werden kann.
Besonders interessiert man sich dabei für das Schulsystem von Finnland, das in der PISA-25 Studie Testsieger war.
Der Unterricht an finnischen Schulen ist sehr stark auf individuelle Förderung ausgerichtet.
Nicht alle Schüler erhalten die gleichen Aufgaben, sondern für jeden Schüler werden individuelle Wochenpläne ausgearbeitet. Außerdem wird in Finnland viel in die frühe Förderung von Kindern investiert. So benötigen zum Beispiel Kindergärtnerinnen und Kindergärtner seit 30 etwa zehn Jahren einen Hochschulabschluss. Eine einfache Ausbildung wie in Deutschland reicht nicht aus. Eine Stärke des finnischen Systems könnte auch in der Autonomie der Schulen liegen, denn die Schulen dürfen in Finnland ihre Lehrer selbst aussuchen. Außerdem bemüht man sich durch einen systematischen Vertretungsplan darum, dass es keinen Unterrichtsausfall gibt.
35 Die finnischen Verhältnisse sind allerdings nur bedingt mit den deutschen Verhältnissen vergleichbar. So gibt es beispielsweise zwischen Finnland und Deutschland einen deutlichen Unterschied beim Ausländeranteil. Und eine Analyse hat ergeben, dass bereits ein geringer Ausländeranteil an Schulen das Bildungsniveau erheblich senkt. In Finnland sind aber nur zwei Prozent der Bevölkerung Ausländer. Außerdem besteht für diese Kinder – anders als in 40 Deutschland – Kindergartenpflicht, damit sie die Sprache bei Schulbeginn richtig beherrschen. Deshalb gibt es in finnischen Schulen keine Kinder, die nicht richtig Finnisch können.
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass man in Finnland an den langen Abenden häufig liest oder fernsieht. Und da ausländische Filme nicht synchronisiert werden, sind schon die Kinder gezwungen, beim Fernsehen die Untertitel mitzulesen, und zwar schnell mitzulesen.
45 Auch bei der Schulgröße gibt es deutliche Unterschiede zwischen Finnland und Deutschland.
40 Prozent aller finnischen Schulen haben nicht mehr als 50 Schüler und nur drei Prozent aller finnischen Schulen haben mehr als 600 Schüler. Im Vergleich dazu liegt in Deutschland die durchschnittliche Schülerzahl pro Schule bei 600.
Nach diesem Vergleich mit dem finnischen System soll es um ein Merkmal gehen, das viele
50 der erfolgreicheren PISA-Staaten gemeinsam haben. Dieses Merkmal ist eine stärker ergebnisorientierte Systemsteuerung im Vergleich zu Deutschland. Was versteht man unter einer
ergebnisorientierten Systemsteuerung? Gemeint ist, dass in diesen Systemen regelmäßig Prü-
fungen stattfinden, um festzustellen, ob die Lernziele tatsächlich erreicht wurden.
In Staaten wie Australien, Finnland, den Niederlanden, Schweden oder den USA wird regel-
55 mäßig auf nationaler oder regionaler Ebene geprüft. Oberflächlich betrachtet scheinen diese
Systeme etwas sehr Ähnliches zu tun. In der praktischen Umsetzung bestehen jedoch einige
Unterschiede. Und es lohnt sich, diese Unterschiede genauer zu betrachten.
Ein zentrales Thema der Bildungsdiskussion in den USA ist das Problem der Vorbereitung von Tests. In den Bundesstaaten werden verschiedene Tests eingesetzt, um die Standards zu 60 sichern. Für die Beurteilung der Schulen und teilweise auch einzelner Lehrkräfte hängt viel von diesen Tests ab. Daher wird offenbar der Unterricht zum Teil darauf reduziert, die Schü-lerinnen und Schüler auf diese Tests vorzubereiten. Diese Tendenz wird zum Beispiel an der folgenden Äußerung eines amerikanischen Lehrers deutlich, der meinte: „Ich muss jetzt mit
dem Unterricht aufhören, um meine Schüler auf den Test vorzubereiten.“
65 In anderen Staaten scheint die Vorbereitung auf Tests dagegen weniger ein Problem zu sein.
Das ist vermutlich vor allem auf die Konzeption der Aufgaben zurückzuführen. In den Niederlanden beispielsweise werden regelmäßig nationale Schulleistungstests durchgeführt. In diesen Tests geht es nicht primär darum, Wissen abzufragen. Die Aufgaben verlangen vielmehr, dass die Schüler ihre vorhandenen Kenntnisse und Fertigkeiten flexibel in neuen Kon-70 texten anwenden. Deshalb ist es kaum möglich, gezielt für solche Tests zu üben. Im Idealfall setzen die Aufgabenstellungen nämlich voraus, dass die Inhalte tatsächlich verstanden worden sind. Das Problem der Testvorbereitung, wie es in den USA existiert, scheint es in den Niederlanden deshalb nicht zu geben.
Auch in Schweden sind Leistungstests in ähnlicher Weise konzipiert. Deshalb ist der Unter-
75 richt nicht auf Wissen beschränkt, das man einfach abfragen kann. Allerdings gibt es in Schweden eine andere negative Entwicklung. Hier scheinen sich die Tests negativ auf die Schwerpunktsetzung zwischen den Fächern auszuwirken. So berichten schwedische Kolleginnen und Kollegen davon, dass die drei Fächer, für die es nationale Tests gibt, intensiver unterrichtet werden als andere Fächer, für die es keine Tests gibt. Die Testfächer sind Schwe-80 disch, Englisch und Mathematik. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, werden nun inSchweden auch Tests in zusätzlichen Fächern eingeführt.
Für Deutschland wird die Qualität der Standards und der Tests also entscheidend bestimmen,ob das, was mit möglichen Veränderungen erreicht werden soll, auch tatsächlich erreicht wird.
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90 Worterklärungen und Vorentlastungen
PISA steht für „Programme for International Student Assessment“. Das Programm
wird von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführt.
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Lernvoraussetzungen Bedingungen, die Einfluss darauf haben, wie gut oder schlecht jemand lernt.